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    Der Schaum der Tage
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Der Schaum der Tage
    Von Björn Becher

    In seiner französischen Heimat gilt der 1959 im Alter von nur 39 Jahren verstorbene Boris Vian als Kultautor und sein zentrales Werk „Der Schaum der Tage“ ist dort ein Klassiker, der seit Generationen zur Pflichtlektüre weltschmerzgeplagter Teenager gehört. Auch Oscarpreisträger Michel Gondry verehrt das Buch und hat es nach eigener Aussage seit der frühesten Jugend mehrfach gelesen. Der Bildermagier und Schöpfer surreal-eigenwilliger Werke wie „Vergiss mein nicht“ und „Science Of Sleep“ scheint auch genau der richtige Mann für die Verwandlung von Vians abgefahrener Romanwelt in eine mitreißend-sinnliche Kinoerzählung zu sein. Diese Rechnung geht allerdings nur zu Beginn auf. Wenn die anfangs romantisch-komische Geschichte einen immer dramatischeren Ton annimmt, verflacht „Der Schaum der Tage“ zu einem seltsam blutleeren Liebesfilm. Obwohl das im Original über zwei Stunden lange Drama für den internationalen Markt einschließlich Deutschland von Gondry persönlich um rund eine halbe Stunde gekürzt wurde, zieht es sich gegen Ende unglaublich in die Länge. Die nun bewusst trist gehaltenen Bilder garniert der Regisseur zwar weiterhin mit dem ein oder anderen hübschen Einfall oder kuriosen Detail, doch seinem „Schaum der Tage“ fehlt es dabei am Allerwichtigsten: den Emotionen.

    Jazz-Fan Colin (Romain Duris) genießt das Leben und ist froh, genug Geld zu haben, um nicht arbeiten zu müssen. Mit seinem Rechtsanwalt und Koch Nicolas (Omar Sy) hat er zudem einen ständigen Begleiter, der – gemeinsam mit einer Maus (Sacha Bourdo) - seinen Haushalt schmeißt. Trotzdem beneidet er seinen fast mittellosen besten Freund Chick (Gad Elmaleh), denn der verschwendet zwar sein knappes Geld für den von ihm grenzenlos verehrten Philosophen Jean-Sol Partre (Philippe Torreton), hat aber mit Alise (Aïssa Maïga) auch eine schöne Freundin. Erst als Colin auf einer Party der lebenslustigen Chloé (Audrey Tatou) begegnet, verliebt er sich ebenfalls Hals über Kopf. Schnell wird geheiratet und dem jungen Glück scheint nichts mehr im Wege zu stehen. Doch dann geht es Chloé immer schlechter. Ein Arzt (Michel Gondry) diagnostiziert, dass eine Seerose in ihrem linken Lungenflügel wächst, die sie immer schwächer werden lässt. Der verzweifelte Colin investiert sein ganzes Geld, um Chloé zu helfen und nimmt jede nur denkbare erniedrigende Arbeit an, um ihre Behandlung bezahlen zu können…

    Mit „Der Schaum der Tage“ entführt Michel Gondry den Zuschauer mal wieder in eine zauberhaft-surreale Welt. Colin, Chloé und ihre Freunde leben zwar an einem Ort, der Paris frappierend ähnelt, aber der nur wenig mit der schnöden Realität der Metropole an der Seine zu tun hat, sondern vielmehr an das poetische Porträt der Stadt in Filmen wie „Zazie“ oder „Die fabelhafte Welt der Amelie“ erinnert. Hier kann der Fernsehkoch auch schon mal direkt aus Colins alter Flimmerkiste heraus die richtige Zutat reichen, ein anderes Mal schweben die Figuren buchstäblich über den Wolken oder fahren in einem durchsichtigen Auto umher. Immer wieder findet Gondry bezaubernde und faszinierende Bilder – ein früher Höhepunkt ist eine Tanzszene, in der die Protagonisten mit absurd langen und biegsamen Beinen zu Duke Ellingtons „Chloe“ schwofen. Hier ist Gondrys künstlerischer Rang als einer der besten und innovativsten Musikvideo-Regisseure der jüngeren Vergangenheit unverkennbar. Doch ein Spielfilm bringt allein schon wegen seiner Länge andere erzählerische Anforderungen mit sich als hat ein Musikvideo und Gondry schafft es in diesem Fall nicht, den anfänglichen Schwung und Einfallsreichtum über die gesamte Distanz zu erhalten.

    Mit der Erkrankung von Chloé wechselt Gondry den Erzählton. Immer trister werden die Bilder, selbst die einzelnen absurden Ideen am Rande haben nun oft auch etwas Depressives an sich. Diese Akzentverschiebung ist im Prinzip vollkommen schlüssig, schließlich wächst mit dem immer aussichtsloseren Kampf gegen die Krankheit und ihre Kosten die Verzweiflung. Aber der Regisseur, der mit dem versponnen-zärtlichen „Vergiss mein nicht“ einen der großen wahrhaft romantischen Filme der jüngeren Vergangenheit gedreht hat, ist zu Beginn so sehr auf seine absurden visuellen Einfälle und das ganze Drumherum konzentriert, dass er seine eigentlichen Hauptfiguren Colin und Chloé darüber zu Statisten in einem Kuriositätenkabinett verkommen lässt. Wenn er dann den Hebel umlegt, erzielt ihr tragisches Schicksal nicht die emotionale Wirkung, die hier zu erwarten gewesen wäre. Das hat Gondry selbst erkannt und versuchte dem Problem nach der Veröffentlichung in Frankreich entgegenzuwirken. Er holte den Cutter Tariq Anwar („The King's Speech“, „American Beauty“) an Bord, um eine kürzere Fassung zu produzieren. Hier liegt der Fokus nun deutlich stärker auf den beiden Liebenden, einige Nebenhandlungen und Abschweifungen wurden empfindlich gekürzt oder fielen ganz der Schere zum Opfer: Die Maßnahmen hatten allerdings nicht den gewünschten Effekt.

    Während der Nicolas von „Ziemlich beste Freunde“-Star Omar Sy und Gad Elmalehs Chick sowie dessen Beziehung zu seiner Freundin Alise in der internationalen Fassung nun so stark an den Rand gedrängt werden, dass recht offensichtlich etwas fehlt, bleiben Colin und Chloé weiterhin recht leblos. Das liegt auch an der Besetzung, die nicht unbedingt einleuchtet: Romain Duris („Der wilde Schlag meines Herzens“, „Mademoiselle Populaire“) und „Amélie“ Audrey Tautou sind mit inzwischen 39 und 37 Jahren einfach ein bisschen alt für die Darstellung der ersten großen und bedingungslosen Liebe, von der Boris Vian in seinem Roman erzählt (wo der Mann 21 ist und seine Angebetete spürbar noch jünger). Abgesehen davon ist Gondry zu verliebt in die Erschaffung seiner eigenen Welt, der er immer wieder den Vorzug vor den Figuren gibt. So gibt es in „Der Schaum der Tage“ über die gesamte Laufzeit zwar immer wieder starke Einzelmomente wie etwa eine Szene, in der sich der Pazifist Colin nackt auf einen Erdhaufen legen muss, in den Metalleicheln gepflanzt wurden. Aus denen wachsen dann Waffen, die aber durch die friedliebende Einstellung des jungen Mannes ausgesprochen schlapp und so für den Krieg unbrauchbar sind. Solche gestalterisch und erzählerisch überzeugend umgesetzten Details verhindern jedoch ebenso wenig wie die vor allem in der ersten Hälfte eindrucksvolle visuelle Gestaltung, dass der Film mit Fortlauf der Handlung zu einem immer ermüdenderen Unterfangen wird.

    Fazit: „Der Schaum der Tage“ hätte das Zeug zu einer Kult-Adaption eines Kult-Buches. Doch Ausnahmeregisseur Michel Gondry bleibt zu verliebt in die auch visuell extravagante Erschaffung einer absurden Welt: Für tiefergehende Emotionen ist in dieser Liebesgeschichte einfach kein Platz.

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