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    Die Unsichtbare
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Unsichtbare
    Von Christian Horn

    Mit seinem Drama „Novemberkind" legte der deutsche Regisseur Christian Schwochow ein durchaus respektables Kinodebüt vor. In „Die Unsichtbare", seinem zweiten Spielfilm, ergründet der Filmemacher nun das Innenleben einer jungen Schauspielerin, deren zerrüttete Identität zunehmend mit dem lustbetonten Charakter ihrer Hauptrolle in einem Theaterstück verschwimmt. Wie Natalie Portman im thematisch vergleichbaren „Black Swan" dominiert die dänische Hauptdarstellerin Stine Fischer Christensen das gelegentlich etwas zu zerfahren erzählte, dabei aber zweifelsfrei sehenswerte Psychodrama.

    Seine neue Theaterinszenierung des Stücks „Camille" will der angesehene Regisseur Kaspar Friedmann (Ulrich Noethen) ausschließlich mit Schauspielstudenten besetzen. Sehr zur Verwunderung ihrer Kommilitonen entscheidet er sich bei der Hauptrolle ausgerechnet für die zurückhaltende Fine Lorenz (Stine Fischer Christensen), die als Schauspielerin wenig Präsenz zeigt und während einer Probe sogar auf der Bühne einschläft. Kaspar will Stines (selbst-)zerstörerische Aspekte hervorlocken und sie zur männerverschlingenden, sexuell aufreizenden Camille formen. Schnell wirkt sich der psychische Druck auf Stines Verhalten gegenüber der überforderten Mutter Susanne (Dagmar Manzel), ihrer geistig behinderten Schwester Jule (Christina Drechsler) und ihrer nachbarlichen Romanze Joachim (Ronald Zehrfeld) aus...

    In puncto Thematik drängt sich ein Vergleich zwischen „Die Unsichtbare" und Darren Aronofskys Psychodrama „Black Swan" mit Oscar-Preisträgerin Natalie Portman förmlich auf: Hier wie dort verändert eine große Hauptrolle das Wesen einer Schauspielerin, die vom Unschuldigen und Naiven immer weiter in psychische Abgründe taumelt. In beiden Fällen ist die psychologische Beobachtung auf die Sexualität und Körpererfahrung der jeweiligen Protagonistin fokussiert. Außerdem bleiben beide Filmemacher ganz nah an ihren tragischen Figuren, kaum eine Einstellung kommt ohne sie aus – und dabei kann Stine Fischer Christensen („Nach der Hochzeit") ihrer übergroßen Kollegin durchaus das Wasser reichen.

    Der Dänin gelingt es, sowohl die intimen Szenen im familiären Umfeld, als auch die Grenzgänge während der Proben und die von der Theaterrolle überlagerte Liebesgeschichte zum Nachbarn Joachim ungeheuer intensiv auszuspielen. Bei allen Gemeinsamkeiten gibt es aber dennoch einen wesentlichen Unterschied zwischen den beiden Produktionen: Während Aronofsky in „Black Swan" vor allem auf den oberflächlichen Effekt zielte und die psychische Hölle seiner Protagonistin in drastischen, brillant inszenierten Horrorszenen auslotete, schlägt Schwochow in „Die Unsichtbare" einen weit ruhigeren Tonfall an und verortet die beunruhigenden Aspekte seiner Geschichte eher im Kleinen.

    Weil sich Schwochow jedoch bisweilen in den vielen Parallelhandlungen der Geschichte verheddert, erreicht „Die Unsichtbare" nie die einschneidende Konsequenz, die Aronofskys Film zu einem so spannenden Erlebnis machte. Und das, obwohl Ulrich Noethen („Comedian Harmonists") den Regisseur als knallharten Egomanen anlegt, der rücksichtslos in der Vergangenheit der verunsicherten Frau bohrt. Die Wandlung der schüchternen Fine zur verwegenen Camille bleibt dennoch stets nachvollziehbar – vor allem, weil Fischer Christensen so wunderbar mit ihren starken Kollegen harmoniert: In Nebenrollen treten Anna Maria Mühe („Lila, Lila"), Gudrun Landgrebe („Rossini"), Ulrich Matthes („Der Untergang"), Corinna Harfouch („Auf der Suche") und Ronald Zehrfeld („Im Angesicht des Verbrechens") auf.

    Fazit: Wie bereits bei seinem Erstlingswerk zeigt Christian Schwochow in „Die Unsichtbare" inszenatorisches Talent und präsentiert ein atmosphärisch stimmiges Drama, in dem er die Identitätskrise seiner Hauptfigur aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Bisweilen hätte den vielen Handlungssträngen jedoch eine Straffung gut getan – letztlich ist es Stine Fischer Christensen, die den Film im Innersten zusammenhält.

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