Nina Hoss ist eine der größten, wenn nicht die größte deutsche Schauspielerin ihrer Generation. Beispielsweise in den Filmen von Christian Petzold („Yella", „Jerichow") offenbart sich ihr außergewöhnliches Talent für subtile Darstellungen; eher mittelmäßige Filme wie „Anonyma - Eine Frau in Berlin" wertet sie durch ihre starke Präsenz merklich auf. In „Fenster zum Sommer" von Regisseur Hendrik Handloegten („Liegen lernen") übernimmt Hoss nun erneut eine interessante Hauptrolle und trägt viel dazu bei, dass die von einer magischen Grundstimmung getragene Liebesgeschichte bis zum Ende unter Spannung bleibt – auch wenn das vom Regisseur selbst verfasste Drehbuch, das den gleichnamigen Roman von Hannelore Valencak aus dem Jahr 1967 sehr frei adaptiert, nicht immer konsequent durchdacht ist.
Mitten im Sommer: Gemeinsam mit ihrer neuen Liebe August (Mark Waschke) ist Juliane (Nina Hoss) in einem Auto auf dem Weg von Berlin in ihre alte Heimat Finnland. Am Abend schläft die Frau an der Schulter ihres Geliebten ein – morgens wacht sie jedoch im winterlichen Berlin auf. Verwirrt realisiert Juliane, dass sie ein halbes Jahr in der Zeit zurück gereist ist, in eine Phase, in der sie noch mit ihrem langjährigen Ex-Freund Philipp (Lars Eidinger) zusammen ist. August hat sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht getroffen, er weiß nicht einmal um ihre Existenz, und auch ihre im Mai tödlich verunglückte Freundin Emily (Fritzi Haberlandt) lebt noch. Um August erneut zu treffen, will Juliane alles genauso machen wie zuvor – und gleichzeitig den Unfalltod von Emily verhindern...
Es ist eine große Frage, die „Fenster zum Sommer" stellt: Entsteht Liebe durch Zufall oder ist es das Schicksal, das zwei Menschen zusammenführt? Können August und Juliane erneut ein Paar werden? Die üblichen Paradoxien des Zeitreisemotivs treten zugunsten des zentralen Liebeskonflikts in den Hintergrund. Dass Juliane ihren zukünftigen Geliebten beispielsweise schon vor dem eigentlichen ersten Treffen aufsucht und eine Nacht mit ihm verbringt, ihm einen Liebesbrief schreibt und trotz ihres Versuchs nicht alle ihre Handlungen des zum zweiten Mal durchlebten halben Jahres auf gleiche Weise wiederholen kann, ändert an den großen Wendepunkten der sechs Monate nichts: Regisseur Hendrik Handloegten verortet die Liebe zwischen Juliane und August als schicksalhaft.
Trotz ihres Wissens um die Geschehnisse bis zum Sommer kann Juliane nur sehr bedingt in den Lauf der Dinge eingreifen. In eleganten und schnörkellosen Bildern erzählt „Fenster zum Sommer" diese von einem unerhörten Ereignis eingeleitete Reise in die eigene Vergangenheit. Das winterliche Berlin erscheint als Reflexion des inneren Zustands der Hauptfigur, die sechs Monate neben sich stehend auf das Treffen mit August wartet, während das sommerliche Finnland vom Anfang, das in kurzen Einschüben als Licht am Ende des Tunnels aufblitzt, zum Ort ihrer Sehnsucht aufsteigt. Täglich macht Juliane ein Kreuz in ihren Kalender, erwartet voller Hoffnung jenen Tag im Mai, an dem sie August in einem Berliner Café trifft und ist besorgt, dass der Liebesfunke nicht ein zweites Mal überspringen könnte.
Für Wahrscheinlichkeitskrämer dürfte die nicht in aller Konsequenz durchdachte Zeitreise der Protagonistin ein Ärgernis darstellen, denn im Grunde sollten schon kleinste Veränderungen für einen völlig anderen Ablauf der Ereignisse sorgen. Doch die elegante filmische Umsetzung und die durch die Bank hervorragende Besetzung des Liebesdramas lassen die komplexeren Aspekte alsbald in den Hintergrund treten. Genauer gesagt: hinter eine wunderbare Nina Hoss, die den Film dominiert und das Interesse am Ausgang der Geschichte durchweg aufrecht erhält.