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    Spiel auf Zeit
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Spiel auf Zeit
    Von Lars-Christian Daniels

    Als Erfolgsregisseur Brian De Palma Nicolas Cage Ende der 90er Jahre für die Hauptrolle in seinem ambitionierten Echtzeit-Thriller „Spiel auf Zeit" verpflichtete, stand der Schauspieler gerade im strahlenden Zenit seiner Karriere. Für die grandiose Leistung als Alkoholiker in dem Trinkerdrama „Leaving Las Vegas" war der US-Amerikaner 1995 mit Lob förmlich überschüttet und mit dem Oscar als Bester Hauptdarsteller ausgezeichnet worden. Auch die drei üppig budgetierten Blockbuster „Con Air", „The Rock" und „Im Körper des Feindes" avancierten zu internationalen Kassenschlagern und Cage war gefragter denn je. „Spiel auf Zeit" blieb an den Kinokassen jedoch überraschend hinter den Erwartungen zurück und geriet in den folgenden Jahren fast ein wenig in Vergessenheit. Zum Klassikerstatus fehlt De Palmas Thriller, der nach einem fulminanten Auftakt in der zweiten Hälfte dramatisch an Schwung verliert, tatsächlich einiges. „Spiel auf Zeit" ist zwar über weite Strecken brillant inszeniert, das Drehbuch, das der Regisseur gemeinsam mit David Koepp („Spider-Man", „Jurassic Park") schrieb, erreicht aber nie die Klasse von De-Palma-Klassikern wie „Carrie", „Die Verdammten des Krieges" oder „Carlito's Way".

    Let's get ready to rumble! Es ist Fight Night im Millennium Hotel, einem riesigen Gebäudekomplex samt Box-Arena mitten in der Spielerstadt Atlantic City. Der ebenso exzentrische wie bestechliche Detective Ricky Santoro (Nicolas Cage) ist vor Ort für die Sicherheit verantwortlich, hat aber eher seine hohen Wetteinsätze auf Boxlegende Lincoln Tyler (Stan Shaw) im Kopf als die Sicherheit des US-Verteidigungsministers, der in einer der vorderen Reihen am Ring Platz nimmt. Just in dem Moment, als der mit Außenseiterquoten angetretene Gegner den hünenhaften Tyler unerwartet ausknockt, erschießt ein Scharfschütze den Minister aus dem Hinterhalt. Navy-Offizier Kevin Dunne (Gary Sinise), der den Politiker begleitet und seit Jahren eng mit Santoro befreundet ist, kann den Terroristen erschießen. Die anschließenden Ermittlungen, bei denen politisch brisante Waffengeschäfte ans Tageslicht kommen, konzentrieren sich schnell auf die hübsche Julia Costello (Carla Gugino) und die vollbusige Serena (Jayne Heitmeyer), die Dunne und Santoro kurz vor den Schüssen entscheidend abgelenkt hatten...

    Es dauert fast eine Viertelstunde, bis der staunende Betrachter zusammenzuckt und sich fragt: War das gerade tatsächlich der erste Schnitt? Exakt zwölf Minuten und 50 Sekunden dauert De Palmas spektakulär inszenierte Eröffnungssequenz. Er fängt die aufgeheizte Atmosphäre in der Arena mit eindrucksvollen Kamerafahrten ein, verzichtet dabei auf jeden sichtbaren Schnitt und weicht dem aufgekratzten Santoro keinen Zentimeter von der Seite. So stellt der Regisseur den hitzköpfigen Detective von Beginn an in den Mittelpunkt der Handlung – und lässt ihn dann im urplötzlich ausbrechenden Chaos ebenso verdattert zurück wie den Zuschauer, der von den Ereignissen auch vollkommen überrascht wird. In diesen hochspannenden und fulminanten ersten Minuten schneidet Cutter Bill Pankow („Die Unbestechlichen") übrigens in Wahrheit ganze acht Mal – allerdings sind die Schnitte gut verborgen und für das menschliche Auge deutlich weniger offensichtlich als etwa im Suspense-Klassiker „Cocktail für eine Leiche (Rope)" von De-Palma-Vorbild Alfred Hitchcock, der als einer der ersten ein ähnliches Manöver einsetzte.

    Auf den grandiosen Establishing Shot, der Kameraeinstellung zur Einführung von Schauplätzen und Protagonisten, auf deren Kunst sich De Palma besonders gut versteht, folgt eine moderne Variante von Akira Kurosawas richtungsweisendem Meisterwerk „Rashomon": Mithilfe von Split-Screen-Montagen, durch Rückblenden und mit Aufzeichnungen der Überwachungskameras lässt De Palma uns das Verbrechen wieder und wieder aus verschiedenen Perspektiven erleben, ohne dabei jedoch den Bogen zu überspannen. Denn anders als Kollege Pete Travis in „8 Blickwinkel" beendet der Regisseur die packend illustrierten Bruchstücke des Mordgeschehens gerade in dem Moment, als sich erstmalig Langeweile einzuschleichen droht. Cage knüpft in der Rolle des exzentrischen Selbstdarstellers Santoro an seine kultverdächtige Performance als Pastor Troy in „Im Körper des Feindes" und darf im Zusammenspiel mit dem nicht minder überzeugenden Gary Sinise („Forrest Gump") für den einen oder anderen schauspielerischen Glanzpunkt sorgen. Stück für Stück rekonstruiert er das unübersichtliche Geschehen in der Arena – ein spannendes Puzzlespiel, das nach einer Dreiviertelstunde leider ein jähes Ende findet.

    Dann nämlich geben De Palma und Koepp dem Geschehen eine scharfe Wendung und erweitern zugleich die Perspektive des Zuschauers. Ab sofort befindet sich dieser gegenüber dem noch immer ahnungslosen Santoro im Vorteil: Was der gestresste Cop nicht wahrhaben will und erst nach mühsamer Videoanalyse als Tatsache akzeptiert, ist für den längst in die dunklen Machenschaften eingeweihten Betrachter ein alter Hut. Überraschungen bleiben so im weiteren Verlauf aus, auch die Rahmenhandlung fällt reichlich konventionell und wenig spannend aus. Auch die moralischen Skrupel Santoros, der von der Gegenseite das obligatorische lukrative Angebot für sein Schweigen erhält, werden als dramaturgische Pflichtübung absolviert. Als kleines Kabinettstückchen der Spannungsinszenierung erweist sich immerhin noch das von den Casino-Kameras eingefangene Versteckspiel der verängstigten Julia, die einem schmierigen Gast ein Schäferstündchen im Hotelzimmer in Aussicht stellt und schon bald zwischen alle Fronten gerät. Hätte Koepp diese nicht so früh geklärt – wer weiß, ob aus „Spiel auf Zeit" nicht ein durchgängig hochkarätiger Thriller geworden wäre.

    Fazit: Brian De Palma liefert einen vor allem in der ersten Filmhälfte temporeichen und handwerklich herausragenden Echtzeitfilm ab, dem mit fortlaufender Spieldauer leider die Puste ausgeht. Der Abspann hält zwar noch ein letztes Schmankerl für den aufmerksamen Beobachter bereit, in Erinnerung bleibt aber in erster Linie die atemberaubende, spektakulär inszenierte Eröffnungssequenz.

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