Es gibt wohl wahrscheinlichere Dinge, als das ein Filmgenre wirklich jemals seinen absoluten, niemals zu toppenden Höhepunkt erreicht und auf ewig und von sämtlichen Generationen begeisterter Zuschauer als unumstößlich betrachtet wird. Stark vereinfacht dargestellt: galten in den 1960ern und ‘70ern toughe Cop-Thriller wie „Bullitt“ (1968) und „Dirty Harry“ (1971) als das Maß im Actionbereich, eroberten in den ‘80ern die Kracher „Lethal Weapon“ (1987) und „Stirb langsam“ (1988) die vorderen Positionen unter den Hochgünstlern, während nicht wenige in den 2000ern CGI-Overkll wie „Transformers“ (2007) als Genrehöhepunkt fehleinschätzen. Schlurfenden Zombiehorden wie in „Die Nacht der lebenden Toten“ (1968) oder der subtilen Spannung von John Carpenters „Halloween“ (1978) stehen im Horrorbereich heute der Infiziertenterror eines „28 Days Later“ (2002) und die Folterexzesse der „Saw“-Reihe gegenüber. Geschmäcker ändern sich halt. Bei einem toten Genre wie dem Western, bei dem nur noch sporadisch Beiträge für letzte Nervenzuckungen sorgen, müsste der Krösus einfacher zu bestimmen sein. Und tatsächlich ragen hier zwei Meisterwerke sehr deutlich aus der Masse heraus: im US-Western sind es „Die glorreichen Sieben“ (1960) und im Subgenre des Italo-Westerns Sergio Leones „Il buono, il brutto, il cattivo“ (1966).
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Bloß ein einzelner Köter streunt durch die verlassene Stadt. Zwei Männer stehen einem Dritten gegenüber. Die blutunterlaufenen Augen hängen tief in ihren gegerbten Gesichtern. Der Wind wirbelt Staub auf, die Männer bewegen sich angespannt aufeinander zu, legen die Revolver unter ihren Mänteln frei. Aber sie haben es nicht aufeinander abgesehen. Die Männer stürmen in einen abgewrackten Saloon, ein kurzer Schusswechsel, dann springt er aus dem Fenster. Er hat zwei der Männer getötet, den dritten schwer verletzt. »Whoever double-crosses me and leaves me alive, he understands nothing about Tuco.« Er ist Tuco, è il cattivo, er ist der Hässliche.
Ein Farmer bekommt Besuch von einem Mann, bei dessen Anblick der Farmer weiß, welches Schicksal ihn erwartet. Ruhig, doch mit seinem bedrohlichen Blick den Farmer nie aus den Augen lassend, füllt der Mann sich Essen auf. Nimmt ein paar Löffel zu sich. Dann erfährt der Mann mehr, als er wissen wollte. Er erfährt den Namen, den er für seinen Auftraggeber Baker herausfinden sollte und er erfährt von einer verschwundenen Regimentskasse, gefüllt mit Gold. Für sein Leben und Bakers Tod zahlt der Farmer dem Mann eintausend Dollar. Doch der Mann tötet den Farmer – und er tötet seinen Auftraggeber Baker. »When I'm paid, I always follow my job through.« Er ist Sentenza, è il brutto, er ist der Böse.
Tuco wird von drei Kopfgeldjägern aufgehalten. Zweitausend Dollar sind auf seinen Kopf ausgesetzt. Doch ein vierter Mann sticht die Konkurrenz durch drei gezielte Schüsse aus. Er schleppt Tuco in die nächste Stadt. Die Anklageschrift des mexikanischen Banditen wird verlesen und mit einem Strick um den Hals sieht Tuco dem sicheren Tod entgegen. Doch der Kopfgeldjäger rettet ihn, flüchtet mit Tuco, teilt sich mit ihm das Kopfgeld und kassiert in der nächsten Stadt ein weiteres Mal ab. Doch als die Masche der beiden beinahe schief geht und Tuco einen höheren Anteil verlangt, setzt der Kopfgeldjäger, genannt der Blonde, ihn mitten in der Wüste aus. »Such ingratitude after all the times I saved your life.« Er ist der Blonde, è il bueno, er ist, und hier setzt der Film sein zynischstes Grinsen auf, der Gute.
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Es ist ein seltener Genuss, drei Figuren mit einerseits solch spielerisch scheinender Leichtigkeit, andererseits einer derartigen Präzision, in der jeder Blick, jede Geste einzig ihr eigen ist, vorgeführt zu bekommen. Sergio Leone macht bereits in der rund halbstündigen Einführung seiner Protagonisten mehr richtig, als andere Filmschaffende über ihre gesamte Karriere verteilt. Jeder Kamerawinkel, aus dem er Tuco, Sentenza, den Blonden und ihre jeweiligen Gegenüber einfängt, jene Wechsel, in denen er das Geschehen in völliger Ruhe stehen, Geräusche im Hintergrund ertönen lässt, oder in denen er Ennio Morricones brilliante Musik über den Moment legt, alles passt so bravourös zueinander, dass man jeder einzelnen Szene Applaus spenden möchte. Spricht der deutsche Filmtitel aus unerfindlichen Gründen von „Zwei glorreiche Halunken“, hat man es in Wahrheit natürlich mit drei alles andere als glorreichen Outlaws zu tun, die den Westen nicht auf der Suche nach Glanz und Glorie, noch nicht einmal nach dem üblichen Motiv der Freiheit und Ungebundenheit durchstreifen, sondern die einzig auf der Jagd nach dem größtmöglichen persönlichen Vorteil sind. Und dieser beziffert sich für sie nicht in Landbesitz, Ansehen oder gar Ruhm, sondern knallhart in Dollar.
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Sentenza hat bereits von dem Farmer von der Existenz des Geldschatzes erfahren, die beiden anderen hingegen stoßen, nachdem Tuco den Blonden aus Rache ebenfalls in die Wüste verschleppt, auf eine führerlose Kutsche voll mit getöteten Soldaten der Konföderierten. Nur einer von ihnen ist noch am Leben und mit seinen letzten Atemzügen lässt er Tuco wissen, dass der Schatz auf einem Friedhof in Sad Hill vergraben liegt, während der Blonde den Namen auf dem Grabstein erfährt. So werden die beiden zur gemeinsamen Sache gezwungen. Diese Geschichte dreier Männer, die auf der Jagd nach dem großen Geld nicht nur miteinander im ständigen Konflikt stehen, sondern die sich zusätzlich durch die Wirren des Sezessionskriegs schlagen müssen, erzählt Leone in epischer Breite, mit herausragenden Einzelmomenten und in einer unerreichten Gesamtkomposition.
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Obwohl „Il buono, il brutto, il cattivo“ jeder romantischen Verklärung des Wilden Westens, jener breitbeinigen Machomännerphantasie aus der Ära eines John Wayne, eine Ladung Kautabak mitten ins Gesicht spuckt, obwohl selbstloses Heldentum hier unter Soldaten und Söldnern so wenig verbreitet ist, wie unter Banditen und Mördern, wird der Film nie zur zeigefingerschwenkend ermahnenden Korrektur oder Parodie dieser Sichtweise. Dafür ist er viel zu sehr und ausgeprägt er selbst, um den Bezug zu anderen herstellen zu müssen, geschweige denn, über diesen funktionieren zu wollen. Leone zeigt eine von Moral gesäuberte Welt, in der jeder nur für das einsteht, was für ihn gerade am wichtigsten ist, was sich innerhalb eines Augenaufschlags ändern kann. So treibt Tuco den Blonden tagelang durch die Wüste New Mexicos und will ihm gerade den Todesschuss verpassen, als die Kutsche auftaucht. Und als der Blonde plötzlich der einzige ist, der den Namen auf dem Grabstein kennt, kümmert Tuco sich liebevoll und besorgt um die Genesung seines besten Freundes. Diese zynische Härte kostet „Il buono, il brutto, il cattivo“ immer wieder voll aus, die Charaktere offenbaren ganze Bahnhöfe voll sadistischer Züge, aber vor allem ist der Film dennoch immer eines: teuflisch unterhaltsam.
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Der wild mit seiner Mimik wirbelnde Eli Wallach, der finster unter seiner Hutkrempe vorlugende Lee Van Cleef und Clint Eastwood, ständig eine Zigarre lässig im Mundwinkel und immer nur dann redend, wenn es etwas zu sagen gibt. Im Dreieck umkreisen sie einander, stets auf die nächste Gelegenheit lauernd, den anderen zu übervorteilen. Wallach, in seiner berühmtesten Rolle neben dem Bösewicht Calvera aus „Die glorreichen Sieben“, steht im krassen Gegensatz zum mimischen Minimaleinsatz auf Seiten seiner Kontrahenten. Aber der verschlagene, oft überkandidelte und ständig Fluchtiraden loslassende Mexikaner Tuco ist keinesfalls nur die Spaßkanone des Films. Er zeigt verbissene Härte, wenn es darauf ankommt, erhält aber auch eine durchaus tragische Seite, als er seinem Bruder, einem Mönch, begegnet. Auch der Blonde darf Regung zeigen, wenn er und Tuco auf ihrem Weg mehrmals mit den Auswirkungen des Kriegs konfrontiert werden und wenn jemand wie er Bemerkungen über dessen Sinnlosigkeit abgibt, dann klingen diese aus seinem selten geöffneten Mund umso glaubwürdiger. Einzig Sentenza, der auf Seiten der Nordstaaten in einem Lager als Aufseher Gefangene ausplündert und foltert, um an die Informationen über den Goldschatz zu gelangen, bleibt was ihm zugewiesen ist: der böse.
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Neben den perfekt gegeneinandergestellten Eigenheiten der Charaktere, aus denen sich schon eine Unmenge an Spannung und Humor ergibt, überzeugt Leones Mammutwerk in allen Bereichen, in denen ein Western überzeugen muss‘, darüberhinaus aber auch in allem, in dem ein Film an sich überzeugen kann‘. Die Shootouts sind von flirrender Spannung, Sets und Ausstattung fern jeden aus Handlung und Zeit reißenden Zweifels, die überwiegend in Spanien entstandenen Außenaufnahmen sind eine einzigartige Kulisse und die gesamte Produktion ist mit ihrem Budget von knapp 1,3 Millionen ungemein aufwendig, mit teils pompösen Panoramen und Schlachgemälden. Der epische Showdown auf dem Friedhof, in dem sich Tuco, Sentenza und der Blonde zum letzten Duell gegenübertreten, perfektioniert Leones Mischung aus Weitwinkelaufnahmen und extremen CloseUps von Gesichtern, Augen und Händen, die immer näher in Richtung ihrer Colts wandern. Neben vielen unvergesslichen Momenten ist dieses finale Aufeinandertreffen in all seiner Wucht und Würde der endgültige Stempel, den „Il buono, il brutto, il cattivo“ unter die Dokumente der Filmgeschichte gesetzt hat.
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»You see, in this world there's two kinds of people, my friend: Those with loaded guns and those who dig. You dig.« Der klassische Western servierte süßes, hier gibt’s saures: Eastwood, Van Cleef und Wallach traten als abgebrühte, dreckige und moralisch verseuchte Desperados das Erbe gesetzestreuer Westernhelden wie Henry Fonda, Gary Cooper und James Stewart an und sorgten mit ihren stilbildenden Leistungen ebenfalls für den Ankerschlag des Films in die tiefsten und weitreichendsten Annalen filmischen Schaffens. Besonders Eastwoods schweigsamer Antiheld wurde zu einem Sinnbild des Genres und er macht aus dem Blonden einen Son of a Bitch, der seinesgleichen sucht. Die kriegskritischen Töne, die der Film anschlägt, wenn Tuco und der Blonde in Gefangenschaft geraten und wenn sie später direkt in den Kampf an einer Brücke hinein- und zwischen die Fronten geraten, wirken nie aufgesetzt, sondern geben ein bitter-authentisches Bild eines sinnloses Konfliktes ab, vor dessen Hintergrund sich drei sich selbst am nächsten stehende durch ein staubig-dreckiges Leben schlagen.
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171 Minuten sind eine lange (Lauf)Zeit, aber besser als mit Leones Bravourstück und gleichzeitigem Abschluss seiner mit „Für eine Handvoll Dollar“ (1964) und „Für ein paar Dollar mehr“ (1965) begonnenen „Dollar“-Trilogie kann man sie kaum verbringen. „Il buono, il brutto, il cattivo“ ist tatsächlich einer jener seltenen Fälle, in denen ein Regisseur auf dem Höhepunkt seines Könnens und mit der optimalen Ausreizung seiner Fähigkeiten etwas Unerreichbares zu schaffen im Stande war. Inszenierung, Kamera, Musik, Schnitt – alles perfekt und zwar auf einer Ebene, die wirklich jeder sehen, hören fühlen und erleben kann, selbst ohne jemals auch nur einen einzigen anderen Film gesehen zu haben. Manche Filme muss man sehen, andere kann oder sollte man sehen – bei diesem hier sollte man einfach nur dankbar sein, das man ihn sehen darf.
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Kompletter Blog siehe: http://christiansfoyer.wordpress.com/2010/02/20/review-il-bueno-il-brutto-il-cattivo/