Brad Anderson hat sich durch seine Arbeit an Serien wie „The Wire“, „Boardwalk Empire“, „The Killing“, „Fringe“ oder „The Shield“ als zuverlässiger Regisseur von Qualitätsfernsehen in Hollywood etabliert. Daneben gilt er seit seinem hervorragenden Psycho-Thriller „Der Maschinist“ (mit dem auf Haut und Knochen abgemagerten Christian Bale) aber auch als guter Kino-Handwerker mit Potential, was er mit dem spannungsgeladenen Eisenbahn-Actioner „Transsiberian“ unterstrichen hat. Mit dieser Doppelbegabung für Film und Fernsehen erweist sich Anderson als genau der richtige Mann für den rasanten Thriller „The Call - Leg nicht auf!“: Zunächst wurde der Serienkiller-Reißer als TV-Serie konzipiert, ehe man entschied, den Stoff als knackigen Anderthalb-Stünder auf die große Leinwand zu bringen. Für den Regisseur ist das kein Problem, er macht das voller sattsam bekannter Allgemeinplätze steckende B-Movie durch seine geschickte Inszenierung zu spannender Kino-Unterhaltung – jedenfalls über zwei Drittel. Im 08/15-Schlussakt gibt Drehbuchautor Richard D’Ovidio dann jedoch alle interessanten Ansätze zugunsten eines überkandidelten und wenig stimmigen Finales auf, was den Gesamteindruck deutlich trübt.
Jordan Turner (Halle Berry) nimmt in der Telefonzentrale des Los Angeles Police Departments Notrufe entgegen und gehört zu den besten Kräften im Team. Auch ihre Beziehung zum Straßenpolizisten Paul Philipps (Morris Chestnut) läuft bestens, doch dann gerät Jordans Welt aus den Fugen: Sie verschuldet durch einen dummen Fehler den Tod eines Mädchens (Evie Thompson), das zu Hause überfallen und anschließend entführt wurde. Jordan verfällt in tiefe Selbstzweifel, gibt ihre alte Position auf und wird stattdessen Ausbilderin. Doch als die Anfängerin Brooke (Jenna Lamia) mit einem Notruf überfordert ist, muss Jordan kurzerhand das Gespräch übernehmen und bekommt es erneut mit dem brutalen Kidnapper und Mörder Michael Foster (Michael Eklund) zu tun. Dieses Mal hat er die Jugendliche Casey Welson (Abigail Breslin) entführt und in den Kofferraum eines Autos gesperrt. Über ein verstecktes Mobiltelefon hält der Teenager Kontakt zur 911-Notrufzentrale mit Jordan. Der Kampf ums Caseys Leben beginnt…
Die einzelnen Elemente der Handlung sind aus zahllosen Genrefilmen bekannt und hr Verlauf ist jederzeit vorhersehbar, aber Regisseur Brad Anderson sorgt dafür, dass „The Call“ trotzdem durchweg spannend und über weite Strecken sogar nervenaufreibend ist. Durch seine effektvolle und temporeiche Inszenierung holt er das Maximum aus Richard D’Ovidios („Exit Wounds“, „13 Geister“) Drehbuch heraus, kann aber nicht alle Schwächen übertünchen. Wer es als Zuschauer mit der Plausibilität nicht allzu genau nimmt, hat hier jedenfalls definitiv mehr Spaß. Für all diejenigen dagegen, die einfach nicht glauben wollen, dass der Kidnapper so blöd ist, ständig laut Musik zu hören (weshalb er nicht mitbekommt, wie sein Opfer hinten im Kofferraum laut polternd um sein Leben kämpft) oder die bezweifeln, dass die Verkehrsteilnehmer auf den vielbefahrenen Straßen von L.A. so dicke Tomaten auf den Augen haben, dass sie nicht sehen, wenn jemand eimerweise weiße Farbe aus einem defekten Auto kippt, ist „The Call“ ein eingeschränktes Vergnügen.
Wer an ein solches Genrewerk wie „The Call“ allerdings allzu erbsenzählerisch herangeht, der ist ohnehin im falschen Film, denn schon die Grundidee hat mit Logik und Wahrscheinlichkeit nicht mehr viel zu tun. Hollywood-Produzenten reden in solchen Fällen gern von High-Concept-Filmen. Da kommt es nicht darauf an, dass eine Annahme realistisch ist, sondern dass sie eine möglichst starke Ausgangssituation bietet. Da gilt es dann einfach zu glauben, dass man Dinosaurier klonen kann (wie in „Jurassic Park“), dass die Ausstellungsstücke im New Yorker Museum Of National History nachts lebendig werden (wie in „Nachts im Museum“) oder eben dass das Leben einer Person an einer mobilen Telefonverbindung hängt, die nicht unterbrochen werden darf. Ähnlich wie beim artverwandten Thriller „Final Call“ (mit Kim Basinger) steht die Prämisse von „The Call“ bei genauerem Hinsehen auf mehr als wackeligen Füßen. Obwohl er immer wieder aufs Äußerste strapaziert wird, reißt der absurd dünne Handlungsfaden vorerst jedoch nicht, denn Spannungsexperte Anderson hilft mit Dynamik über einige Untiefen hinweg und bringt nebenbei sogar einen fast dokumentarischen Aspekt in den Film, indem er die internen Abläufe und Prozesse in der Communications Division der LAPD genau in den Blick nimmt und so ein facettenreiches Bild der Arbeit dieser Polizeiabteilung zeichnet. Erst als Halle Berry gegen Ende diese Notrufzentrale verlässt, um die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, sackt die Spannungskurve ab.
Es ist bedauerlich, dass Anderson seinem einfachen, aber effizienten Erzählkonzept nicht bis zum Ende treu bleibt. Nach dem Schauplatzwechsel wird das Verhalten der Figuren immer wüster und unglaubwürdiger. Die Motivation des Killers stellt sich als albern, belang- und substanzlos heraus, wobei zu allem Überfluss auch noch alles, was dazu vorher gesagt wurde, plötzlich nicht mehr zählt und zugunsten einer fragwürdigen Schlusswendung geopfert wird, mit der die niedrigsten Instinkte des Publikums befriedigt werden sollen. Immerhin machen die Schauspieler das Beste daraus: Halle Berry („Cloud Atlas“, „Stirb an einem anderen Tag“) ist als Profitelefonistin eine perfekte Sympathieträgerin. Auch mit Abigail Breslin („Little Miss Sunshine“, „Zombieland“) lässt sich prima mitleiden und mitfiebern. Der Jungstar verbringt einen Gutteil der Handlung hysterisch und hyperventilierend, schluchzend und schreiend in einem Kofferraum, das Finale muss Breslin zudem leicht bekleidet bestreiten. Sie meistert die undankbare Aufgabe aber hervorragend und kommt auch mit den schwierigen Umständen bestens zurecht. Ähnliches gilt für Michael Eklund („Watchmen“, „88 Minutes“) als Serienkiller: Trotz der Eindimensionalität der Figur, die am Ende regelrecht in sich zusammenfällt, strahlt der Schauspieler permanente Bedrohung, Wahnsinn, Unberechenbarkeit und Gefahr aus.
Fazit: Brad Andersons „The Call“ ist ein rasanter und geschickt inszenierter Hochgeschwindigkeits-Thriller, dessen wackliges Handlungsgerüst gegen Ende wie ein Kartenhaus zusammenstürzt.