Mit dem israelischen Drama „Mein Herz tanzt“ gab es im deutschen Kinojahr 2015 bereits einen Film zu sehen, der von arabischen und jüdischen Identitätskonflikten im Staat Israel handelte. In der französischen Produktion „Der Sohn der Anderen“ treibt Regisseurin Lorraine Lévy dieselbe Thematik nun auf die Spitze. Eine Säuglingsverwechslung zwischen einer jüdischen und arabischen Familie wird erst 18 Jahre später bemerkt und zwingt beide Familien, die unterschiedlicher nicht sein könnten, unerwartet dazu, zusammenzurücken – damit begegnen sich auch ihre verschiedenen Religionen und Kulturen. Dieses Zusammentreffen hat vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts eine besondere Brisanz, zugleich haben die Probleme und Themen etwas universell Verständliches, was dem Film fast eine philosophische Dimension gibt. Auch darin erinnert „Der Sohn der Anderen“ an Hirokazu Koreedas großartigen japanischen Film „Like Father, Like Son“, in dem eine sehr ähnliche Geschichte erzählt wird. Dass sie auch bei Lévys Drama weitgehend funktioniert, ist einem feinfühligen Drehbuch mit klischeebereinigten Dialogen und faszinierenden, gut gespielten Figuren zu verdanken.
Im Zentrum des Films steht die Frage nach einer doppelten Identität: Joseph (Jules Sitruk), der in einer mondän-jüdischen Familie in Frankreich aufgezogen wurde, ist genetisch arabischer Abstammung; Yacine (Mehdi Dehbi), der als Sohn einer einfachen palästinensischen Familie im Westjordanland aufgewachsen ist und erst später zum Lernen nach Frankreich zog, ist eigentlich der Sohn jüdischer Eltern. Der von den biologischen Eltern vorgegebenen Identität steht also eine soziokulturell-erzieherische Identität gegenüber und es ist ein kluger Schachzug der Filmemacher, keiner der beiden Prägungen in irgendeiner Weise den Vorrang zu geben. Ihnen geht es bei dieser dramaturgischen Versuchsanordnung vor allem darum, die Beteiligten zu zwingen, über den Tellerrand der verhärteten Fronten im israelisch-palästinensischen Konflikt hinwegzuschauen: Wie man es dreht und wendet – beide Familien müssen das jeweils für sie Fremde als einen Teil des Eigenen anerkennen. Diese Erkenntnis vermittelt Regisseurin Lévy ganz seriös und mit dem Nachdruck eines Plädoyers, ohne in allzu grobe Vereinfachungen und Klischees zu verfallen. Zwar gibt es dabei eine Tendenz, die Figuren mit exemplarischen Problemen zu überfrachten, und der uninspirierte Schlussakt ist nicht auf der Höhe der übrigen Handlung, doch das schmälert den guten Gesamteindruck nicht nachhaltig.
Fazit: Das französische Themen-Drama „Der Sohn der Anderen“ ist ein sehenswerter und betont neutraler Beitrag zum Israel-Palästina-Konflikt mit einer bedenkenswerten übergreifenden philosophischen Fragestellung.