Viele Filmemacher tragen die Absichten hinter ihren Projekten deutlich sichtbar von sich her. Warum auch nicht? Komödien bezwecken, dass man sich auf die Schenkel klopft. Action-Filme sollen den Adrenalinpegel hochschießen lassen, Dramen emotionale Reaktionen hervorrufen. Doch es gibt auch Filme, die wie ein trojanisches Pferd daher gerollt kommen, solche wie Avi Neshers „Ein Sommer in Haifa". Auf den ersten Blick wirkt sein Sommermärchen wie ein entspannter Reigen mit allerhand Liebeleien und nostalgischen Späßen. Hinter der hübschen Fassade verbirgt sich aber noch eine ganz andere, traurige Welt. Ob man sich nun von der äußeren Leichtigkeit oder der inneren Schwere berühren lässt – gelungen ist „Ein Sommer in Haifa" in jedem Fall.
Eine Erbschaft führt den israelischen Mittfünfziger Arik (Eyal Shehtal) und seinen Vater Yozi zurück in ihre alte Heimat, den Küstenort Haifa. Dort erleben sie eine Stadt im Ausnahmezustand, die sich mit der täglichen Gefahr durch Raketenbeschuss arrangiert hat. Bei einem Spaziergang wird Arik von Erinnerungen an den letzten unbeschwerten Sommer seines Lebens im Jahre 1968 eingeholt. Der Besuch seiner aufreizenden Cousine Tamara (Neta Porat) und seine Bekanntschaft zum mysteriösen Holocaust-Überlebenden Yankele (Adir Miller) stellten das Leben des jungen Arik (Tuval Shafir) damals gehörig auf den Kopf. Während Tamara seine Libido und sein Herz in Wallung bringt, wird er von Yankele, der sich als Partnervermittler für hoffnungslose Fälle verdingt, als Schnüffler auf dessen Klienten angesetzt. Im Chaos der Gefühle verliert der Nachwuchsdetektiv schnell die Übersicht...
So charmant und leichtfüßig „Ein Sommer in Haifa" oft wirkt, so wuchtig ist das Drama, das hier immer wieder angetippt wird. Jede Familie in Haifa kämpft auf ihre Art mit dem Schrecken des Holocaust, den Erinnerungen begegnen die Menschen entweder mit Schweigen und Verdrängung oder mit schierer Verzweiflung. Während Ariks Eltern stumm bleiben, sucht Yankele die Konfrontation mit seinen Erlebnissen. Irgendwie muss es weiter gehen, da sind sie sich einig – doch wie? Die Vergangenheit ist nicht ihre einzige Sorge. Ein Jahr nach dem Sechs-Tage-Krieg ist klar, dass ihre neue Heimat nicht mit Worten zu verteidigen ist. All das nimmt Arik jedoch nur am Rande wahr. Sein Augenmerk liegt auf Tamara, die allen Jungen den Kopf verdreht und Stimmung in den verschlafen-bürgerlichen Mief bringt.
In solchen Momenten läuft Nesher Gefahr, in verklärenden Jugendzauber-Kitsch zu verfallen. Er schafft es jedoch immer wieder, die Balance zwischen Dramatik und Humor zu finden. Zu heftige Rührseligkeiten spart er dabei ebenso wie schnelle Lacher aus. Besonders interessant - wenn auch nicht voll ausgearbeitet - ist der Detektiv-Aspekt: Arik, der mit größter Freude von Dashiell Hammetts „Der gläserne Schlüssel" bis Erich Kästners „Emil und die Detektive" jeden Krimi-Schmöker verschlingt, schlüpft unter Yankeles Leitung bald selbst in die Haut eines Schnüfflers.
Tatsächlich sind alle Zutaten eines Kriminalfilms alter Schule vorhanden. Ein einsamer Held, ein geheimnisvoller Auftraggeber, mehrere Femme Fatales, verzweifelte Liebende auf Abwegen und allerhand nicht aufgearbeitete Traumata – im Drehbuch, das Nesher zusammen mit Amir Gutfreund verfasst hat, sind diese Elemente deutlich zu erkennen. Inszenatorisch jedoch sträubt sich Nesher gegen den eigenen Impuls, wenn er konsequent auf einen echten Spannungsaufbau verzichtet und sich stattdessen lieber seine sommerleichte Atmosphäre zur Entfaltung bringt. Spaß macht Neshers Detektiv-Exkurs trotzdem, weil er einfach gut zum Protagonisten passt und damit nie wie ein bloßer Selbstzweck wirkt.
Fazit: Avi Neshers „Ein Sommer in Haifa" ist ein gelungener Balanceakt zwischen unschuldiger Liebelei, naiv-detektivischen Schlenkern und Holocaust-Aufarbeitung.