Lange Jahre stand Doku-Entertainer Morgan Spurlock im Schatten des umstrittenen Agitprop-Propheten Michael Moore („Kapitalismus: Eine Liebesgeschichte"). Dass die beiden Filmemacher überhaupt so häufig verglichen wurden und werden, liegt vor allem daran, dass Spurlocks Debüt „Super Size Me" überwiegend als Kapitalismuskritik im Sinne Moores verstanden wurde. Dabei unterscheiden sich die Doku-Ansätze der beiden Männer grundlegend: Moore versteht sich als Guerilla-Dokumentarist im Kampf gegen politische Korruption, Spurlock dagegen erprobt das, was er in Frage stellt, am eigenen Leib; in „Super Size Me" als bester McDonald's-Kunde aller Zeiten, in „Where In The World Is Osama Bin Laden?" als Amerikaner, dessen Vorurteile auf einem Roadtrip durch die arabische Welt auf die Probe gestellt werden. Seinen Kritikern gilt Spurlock als eitler Gecko, der bloß Allgemeinplätze zu bieten habe: McDonald's-Gelage machen krank, wer hätte das gedacht? Amerikaner haben Vorurteile über Muslime, sag bloß! Und jetzt, man horche auf: Werbung ist manipulativ und omnipräsent! In „The Greatest Movie Ever Sold" geht es allerdings um ein ganz anderes Problem: Kann ein Dokumentarfilmer Product Placement thematisieren, ohne dabei zum Werbe-Komplizen zu werden?
Es war einmal in Hollywood: Morgan Spurlock (Morgan Spurlock) vernimmt, dass sich mit Product-Placement-Verträgen Unsummen verdienen ließen und viele Filmprojekte überhaupt nur auf diese Weise finanzierbar seien. Gesagt, getan – um das mit 1,5 Millionen Dollar wunderbar überschaubare Budget für seinen neuen Film „The Greatest Movie Ever Sold" aufzutreiben, geht Spurlock auf Tournee durch die PR-Büros namhafter Konzerne. Sein Konzept: Die Konzerne sollen Werbezeit in einem Aufklärungsfilm über Product-Placement-Mechanismen einkaufen. Also muss Spurlock erst einmal erkunden, welchen Markt- und Markenwert er als Regisseur nach seinen ersten beiden Filmen hat – und lernen, wie er sich als Werbepartner zu bewerben und gegen die mächtigen Konzerne zu wappnen hat. Dafür holt er Rat ein - bei Rechtsanwälten und Coaches, beim Politfreigeist Ralph Nader und der Intellektuellen-Ikone Noam Chomsky, bei Kultregisseur Quentin Tarantino („Inglorious Basterds"), „Star Trek"-Retter J.J. Abrams und Hollywood-Handwerker Brett Ratner („X-Men: Der letzte Widerstand").
„The Greatest Movie Ever Sold" ist das Dokument seiner eigenen Entstehung. Und was dann? Ein Film über Werbung, oder Werbung im Doku-Gewand? Spurlock legt gehässig los, spaziert auf der Suche nach möglichen Werbepartnern erst einmal quer durch einen Supermarkt und bricht über seine albernen Werbeclip-Phantasien in schallendes Gelächter aus: „Langsam zoomt die Kamera heraus, zeigt erst einen Mann in einer schäumenden Wanne, dann seinen Sohn auf der Linken und schließlich einen Esel auf der Rechten - „Mane'n'Tail" („Mähne und Schwanz"), das Shampoo für Mann und Tier!" Er zeigt Konzern-Vertreter, die keinen Schimmer haben, wie sie ihre Marken überhaupt charakterisieren sollen – gönnerhaft empfiehlt Spurlock, ein Shampoo lieber nicht als „technologisch fortschrittlich" zu bewerben. Und er sonnt sich im Misstrauen potentieller Geschäftspartner, es ist der Beweis dafür, dass ihm ein Ruf voraus eilt.
Grundgelehrt philosophieren Spurlock und seine Alliierten über Werbung daher, über Gehirnwäsche und audiovisuelle Umweltverschmutzung. Eindrucksvoll unterstreicht ein kurzer Abstecher ins vollkommen werbebefreite, seltsam nackte Sao Paolo, wie untrennbar der alltägliche Werbe-Overkill mit der Ästhetik der modernen Großstadt verknüpft ist. In diesen Episoden hat Spurlock noch die volle Kontrolle über seinen Film. Und zwar auch dann noch, wenn er zunehmend beklagt, zu welch' weitreichenden Auflagen er sich nun bereits verpflichtet hätte, um seine Geschäftspartner zahlungswillig zu stimmen. Denn dabei inszeniert sich Spurlock erst recht als mutigen Doku-Faust, der mit dem Einfluss des Industrie-Mephisto ringt. „It's pretty amazing to see behind the curtain, like we've gotten to on this film." Der Blick hinter den Vorhang – der höchste Triumph des modernen Journalisten!
Die PR-Profis der Hyatt-Hotelkette, der JetBlue-Fluggesellschaft oder des Saftherstellers POM Wonderful machen derweil schlichtweg ihre Arbeit und nutzen die Gunst der Stunde: Bereits während der mitgefilmten Vertragsverhandlungen wird profiliert, was das Zeug hält – hinter der Kulisse ist vor der Kulisse. Da neckt Spurlock seine diszipliniert-höfliche Verhandlungspartnerin, ob sie vor Vertragsabschluss noch irgendwelche Sorgen hätte. Die wiederum lächelt zuckersüß in die Kamera: „Ich bin immer besorgt – anderenfalls wäre ich keine gute jüdische Mutter." Durch ihr Mitwirken an einem mutmaßlichen Aufklärungsfilm geben sich die beteiligten Konzerne transparent, zeitgeistig, hip. Mehr noch: Die Unternehmer treten als Filmprotagonisten auf und hinter der Marke hervor, sie schaffen eine Assoziation zwischen schlagfertigem Auftritt und Markenname.
Und all das, bloß um 1,5 Millionen Dollar aufzutreiben? Wie muss das da erst bei nennenswerten Budgets ablaufen? Spurlocks Interviewpartner aus der Blockbuster-Riege kommen zwar nur kurz zu Wort, dafür aber auch umso schneller auf den Punkt. Für Abrams ist der Fall klar: „I'm a storyteller, not a storyseller." Der oft als braver Auftragsregisseur belächelte Ratner hingegen bekennt: „We're all selling out!" – eine nüchterne, ehrliche Antwort. Schließlich sind nur die wenigsten Regisseure im Hollywood-Studiosystem so privilegiert wie Spielberg-Protegé Abrams, der große Rest muss sich der wirtschaftlichen Realität des Filmemachens und den Auflagen ihrer Financiers beugen. In diesem Sinne hat Spurlock auch keine hippe Kapitalismuskritik à la Moore und kein Doku-Pendant zu Jan Kounens „39,90 (Neununddreißigneunzig)" entworfen. Vielmehr hat er einen in seiner Ambivalenz herausfordernden Film geschehen lassen – einen über Werbung, der zugleich Werbung sein musste, um produziert werden zu können.
Kurz: „The Greatest Movie Ever Sold" ist eine höchst unterhaltsame Demonstration wirtschaftlicher Zusammenhänge.