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    Take Shelter - Ein Sturm zieht auf
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Take Shelter - Ein Sturm zieht auf
    Von Tim Slagman

    Die Psyche eines Menschen filmisch darzustellen, gehört wohl zu den größten Herausforderungen an jeden Regisseur. Artikuliert sich das Unbewusste in jedem von uns am ehesten als Sprache, als Geräusch oder als Bild – oder gar noch über andere Sinne, die gar nicht zum Repertoire des Kinos gehören? Und welche Bilder wählt man aus, vordergründig realistische Wiedergaben oder sinnlich überbordende Metaphern? Hans Weingartner gelang 2001 mit „Das weiße Rauschen" unter hohem Einsatz ungewöhnlicher gestalterischer Mittel ein mitreißendes Porträt eines Schizophrenen. Jeff Nichols geht in seinem Drama „Take Shelter" behutsamer ans Werk als Weingartner. Seine souveräne Inszenierung überzeugte die Kritiker beim Sundance-Festival und bei den Filmfestspielen in Cannes, wo Nichols 2011 zwei Auszeichnungen mit nach Hause nehmen durfte. Doch im Dschungel der Ambivalenzen und Zweifel, die er an der Erkrankung seines Protagonisten streut, verliert sich Nichols ein wenig und entlässt sein Publikum schließlich mit einer irritierenden Wendung.

    Curtis LaForche (Michael Shannon) scheint in einer Kleinstadt in Ohio ein typisches Leben irgendwo zwischen Arbeiterklasse und Kleinbürgertum zu führen. Tagsüber schuftet er für seine Familie auf dem Bau, abends kehrt er zurück ins langsam abzustotternde Eigenheim. Einzig der Zustand seiner taubstummen Tochter Hannah (Tova Stewart) nagt am Idyll – bis Curtis‘ Träume beginnen: Visionen, in denen sich unheilvolle schwarze Wolken am Himmel zusammenziehen und verschwommene Gesichter an die Fenster seines Autos drängen. Curtis verliert zunehmend den Halt, seiner Frau Samantha (Jessica Chastain) wagt er sich nicht zu offenbaren. Die Diagnose Schizophrenie, die vor Jahrzehnten schon seine Mutter ereilte, erwägt er – doch die Fahrt zum nächsten Spezialisten ist angeblich zu weit. Schließlich verbeißt Curtis sich in die Fertigstellung eines Schutzbunkers im Garten, denn schließlich braut sich irgendwo da draußen ein gewaltiger Sturm zusammen...

    Jeff Nichols lässt sich viel Zeit damit, das langsame Abdriften eines Mannes in seine eigene hermetisch abgeriegelte Wahnwelt darzustellen. Wenn Curtis mit seinen Therapeuten spricht, mit seiner Frau oder seiner Mutter, dann inszeniert Nichols dies mit großer Geduld im minutenlangen Dialog und mit invasiven Nahaufnahmen. Der Alltag im ländlichen Ohio ist, so wird immer wieder subtil durch kleine Einwürfe in den Dialogen deutlich, geprägt vom Kampf des einfachen Mannes um seine wirtschaftliche Existenz im Amerika nach dem großen Hypotheken-Crash. Und diesem Alltag entziehen die Bilder von Kameramann Adam Stone jede Farbe. Ein graues Land beschwört er herauf, das die Seelen seiner Bewohner schleichend mit Verzweiflung infizieren muss.

    Denn vielleicht kommt da ja wirklich ein Sturm auf die ahnungslosen Menschen zu. Curtis' Träume leitet Nichols ohne jeden ästhetischen Bruch ein, kein unwirklicher Lichteinfall, keine unheilvolle Musik deutet die Verschiebung auf eine andere Wirklichkeitsebene an – bis sich ein allzu riesiger Vogelschwarm zusammenrottet oder bis das Grauen Curtis aus dem Schlaf scheucht. Lediglich in einer meisterhaft inszenierten Vision, in der sich zum ersten Mal auch Samantha zur Bedrohung entwickelt, zitiert Nichols so offensichtlich wie effektiv die Muster des Horrorfilms – um sie dann umso überraschender zu unterlaufen. Ein Blick von Samantha zum Küchenmesser, dann ein Kopfschütteln von Curtis. Nichts weiter.

    Nichols gleicht das scheinbar Wahre und das mutmaßlich Imaginierte über weite Strecken des Films sehr gekonnt aneinander an. Doch sein auf den ersten Blick so schlüssiges wie stimmig umgesetztes Konzept zeigt auch Schwächen. Curtis‘ erratisches Verhalten bleibt auch für den Zuschauer, der sich doch so tief drin in Curtis‘ Kopf glaubte, letztlich unerklärlich. Immer wieder flicht Nichols die Ahnung ein, seine Halluzinationen könnten mehr sein als nur das und gibt dann vor, diese Frage ein für allemal beantwortet zu haben – nur, um diese Antwort in der allerletzten Szene wieder zu konterkarieren. Statt die Ambivalenzen seiner Geschichte aufzulösen, trickst Nichols bis zur letzten Sekunde mit ihnen herum. Als Cliffhanger für den 19. Teil eines Horror-Franchises mag diese Vorgehensweise üblich sein, in Nichols bis dahin starkem Film wirkt sie jedoch fehl am Platze.

    Fazit: „Take Shelter" überzeugt durch den subtilen Einsatz filmischer Mittel und die große Geduld, mit der Jeff Nichols die Nöte der Hauptfigur entfaltet. Die Verunsicherung, ob nun Wahn oder Wirklichkeit diese Figur motivieren, sorgt für eine dichte Atmosphäre und unterschwellige Spannung, die am Ende leider einem erzählerischen Jahrmarktstrick geopfert wird.

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