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    Gotti
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,0
    schlecht
    Gotti
    Von Carsten Baumgardt

    Was hätte das für ein Film werden können, wenn Mafia-Spezialist und Meisterregisseur Martin Scorsese inszeniert hätte, der uns solch grandiose Mobster-Epen wie „GoodFellas“ oder „Casino“ geschenkt hat… Doch die Realität bei „Gotti“ sieht so aus, dass Schauspieler und Gelegenheitsregisseur Kevin Connolly (der „E“ aus „Entourage“) das Biopic-Drama über die Lebensgeschichte des New Yorker Mafiabosses John Gotti (1940 bis 2002) spektakulär in den Sand gesetzt hat. Obwohl mit der schillernd-exzentrischen Persönlichkeit des Titelhelden und seinen (Schand)Taten alle Zutaten für ein packendes Mafia-Drama da sind, stimmt in „Gotti“ einfach gar nichts.

    Man kann sich den Film vorstellen wie ein Sinfoniekonzert, das von den Musikern mit verstimmten Instrumenten bestritten wird. Jeder Ton ist daneben, jeder Akkord klingt schief. Und so wirkt auch „Gotti“ komplett chaotisch. Das beginnt mit ständigen wilden Zeitsprüngen und setzt sich mit klischeehaften So-stellt-man-sich-die-Mafia-vor-Dialogen sowie einer komplett sterilen Inszenierung fort: ein emotions- und spannungsloser Totalausfall, der einen ratlos zurücklässt.

    Anfang der 2000er Jahre: Das Oberhaupt der berüchtigten New Yorker Mafia-Familie Gambino, der zu lebenslänglicher Haft verurteilte John Gotti (John Travolta), sitzt krebskrank im Gefängnis und wartet dort auf den Tod. Sein ebenfalls inhaftierter Sohn John Jr. (Spencer Rocco Lofranco) sucht bei einem Treffen mit seinem geliebten Vater nach dessen Zustimmung für einen Deal mit der Staatsanwaltschaft, der ihm die Freilassung bringen könnte. Doch Gotti Senior ist oldschool, hasst Polizisten und gibt als Boss stets die Devise aus, nie mit den Cops zusammenzuarbeiten oder zu „singen“…

    Mitte der 1980er Jahre: Gotti putscht sich zum Boss des Clans hoch, indem er den bisherigen starken Mann Paul Castellano (Donald John Volpenhein) mit einem Attentat aus dem Weg räumen lässt… In den 1990ern steigt Gotti dann zu einem Medienstar auf, der auf den Titeln der großen Magazine omnipräsent ist und sich so gute Beziehungen verschafft hat, dass fast alle Gerichtsprozesse gegen ihn ergebnislos verlaufen, was ihm den Namen „Teflon Don“ einbringt.

    Der Gambino-Clan zählt zu den fünf Familien, die das organisierte Verbrechen in New York beherrschen. Einer der schillerndsten Bosse der Cosa Nostra war John Gotti, der die Gambino-Geschäfte von 1985 bis 2002 führte (ab 1992 aus dem Knast heraus). Wahrlich keine schlechte Hauptfigur für einen Film – und so gab es vor Kevin Connollys Werk auch bereits mehr als ein halbes Dutzend Produktionen über Gotti – meist fürs Fernsehen. Außerdem diente der Amerikaner italienischer Abstammung auch als Vorbild für die Figur des von Joe Mantegna gespielten Joey Zasa in „Der Pate III“.

    Und gegen die Idee, den charismatischen Mobster mit John Travolta („Saturday Night Fever“) zu besetzen, was der ausdrückliche Wunsch der Gotti-Familie war, ist natürlich ebenfalls nichts einzuwenden. Denn obwohl der „Pulp Fiction“-Star seine besten Zeiten inzwischen hinter sich hat, hat er mit seiner grandiosen Performance in der Anthologieserie „American Crime Story: The People V. O.J. Simpson“ zuletzt gezeigt, dass er es noch draufhat. Doch was ist schiefgegangen?

    Es ist schwer zu sagen, wann „Gotti“ genau auf die falsche Spur geraten ist. Das Projekt, das am Ende für günstige zehn Millionen Dollar realisiert wurde, geistert schon seit 2011 durch Hollywood, was sich auch darin zeigt, dass sage und schreibe 44 Produzenten (!) in den Credits genannt werden. Im Laufe der Zeit sollten Regisseure wie Nick Cassavetes („Wie ein einziger Tag“), Barry Levinson („Rain Man“) oder Joe Johnston („Captain America – The First Avenger“) die Inszenierung übernehmen, warfen aber allesamt das Handtuch, sodass letztlich Kevin Connolly (nach „Gardener Of Eden“ und „Dead Eleanor“) zu seiner dritten Kinoregie gekommen ist. Auch von einst vorgesehenen Schauspielern wie Al Pacino, Joe Pesci, Shia LaBeouf oder James Franco ist keine Spur mehr. Doch ein heftig rotierendes Personalkarussel ist ja durchaus nichts Ungewöhnliches in Hollywood.

    Das zentrale Problem liegt hier vielmehr beim Drehbuch. Dem Skript von Lem Dobbs („The Score“) und Leo Rossi („Reine Nervensache“), das auf den selbst publizierten Memoiren von John Gotti Jr. (er war auch als Berater am Set) basiert, mangelt es an allem. Die hölzernen und irritierend schlicht gehaltenen Dialoge wirken maximal künstlich und unglaubwürdig und die verworrene Dramaturgie verhindert endgültig, dass das Publikum irgendwie Anteil an der Geschichte von John Gotti nehmen kann. Ausgehend von dem Gespräch zwischen dem kranken Senior und seinem Sohn John Jr. im Gefängnis springen die Filmemacher wild zwischen den 70er, 80er, 90er und 2000er Jahren hin und her, ohne einen roten Faden zu spinnen. Zwischendurch wechselt Connolly auch noch unvermittelt die Erzählperspektive vom alten Gotti zum Junior (und wieder zurück).

    In dem ganzen erzählerischen Durcheinander ist die Beziehung des älteren und des jüngeren John Gotti, das einzige, an was sich der Zuschauer ein wenig festhalten kann, alles andere wirkt so beliebig, dass man nie weiß, warum Connolly einem das gerade erzählt. Außerdem sind die einzelnen Szenen meist extrem kurz und dauern selten länger als eine Minute, was den Eindruck des Fragmentarischen und Unzusammenhängenden noch verstärkt.

    Eine weitere Folge dieser Erzählweise ist, dass es keinerlei emotionale Entwicklung und auch keine Vorbereitung von besonders dramatischen Momenten gibt, deren Wirkung damit minimal bleibt. Beispielhaft ist da der Unfall, bei dem Gottis zwölfjähriger Sohn Frank (Nico Bustamante) aus Versehen auf der Straße totgefahren wird. Der Junge spielte zuvor in der Geschichte keine Rolle und was nun passiert, sieht man zunächst nur aus weiter Entfernung. Als man sich gerade alles zusammengereimt hat, ist der Spuk wieder vorbei und man sieht einen trauernden Gotti. Man hat als Betrachter bei solch einer konfusen Inszenierung keine Chance, die für eine funktionierende Geschichte nötige Orientierung zu finden.

    Und auch auf den Wedegang der Hauptfigur kann man sich hier kaum einen Reim machen. Connolly beginnt seinen Film im Gefängnis, springt dann aber irgendwohin und erzählt eine kleine Episode aus der Vergangenheit, bis er zur nächsten holpert, ohne dass John Gotti dabei überhaupt zu einer Figur entwickelt wird. Wie ist Gotti vom Mafia-Fußsoldaten zum Oberboss aufgestiegen? Warum wird er geachtet und gefürchtet? Wie kann er aus dem Gefängnis weiter regieren? Man bekommt nicht die geringste Ahnung davon im Film – es bleibt pure Behauptung. Travolta müht sich zwar, gegen das schwache Drehbuch anzuspielen, ist aber chancenlos.

    Zu den großen Schwächen gesellen sich dann auch noch störende Kleinigkeiten: Da durchbricht John Travolta in der ersten Szene die vierte Wand und spricht direkt zum Publikum, preist vor der deutlich als Rückprojektion erkennbaren Brooklyn Bridge stehend die Vorzüge seiner Hood: „Lasst mich euch etwas erzählen: New York ist die verdammt nochmal großartigste Stadt der Welt – meine Stadt.“ Eine überzeugende Hommage sieht anders aus. Und wenn es über Mafiagangster heißt, sie seien entweder tot oder im Knast, behauptet Gotti absurderweise: „Ich bin beides.“ Das hat fast etwas von einer Parodie. In das unausgegorene Gesamtbild fügt sich schließlich auch der wild-kuriose Score von US-Hip-Hopper Pitbull (ja, auch das Thema von „Shaft“ (!) musste hier aus irgendwelchen Gründen noch rein) mit einem deplatzierten Rap über den Medienstar Gotti als „Höhepunkt“.

    Fazit: Kevin Connollys Mafia-Drama „Gotti“ ist ein chaotisch inszeniertes, und erzählerisch zielloses Fiasko hart am Rande der ungewollten Selbstparodie.

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