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    Der Vorname
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Der Vorname
    Von Tim Slagman

    Es liegt nahe, die französische Komödie „Der Vorname" von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière mit Roman Polanskis „Der Gott des Gemetzels" zu vergleichen. Nicht nur, dass beide Filme auf erst wenige Jahre alten Bühnenhits basieren, auch die Zutaten für das jeweilige Erfolgsrezept sind praktisch identisch: eine Wohnung, ein paar Leute – und jede Menge ebenso scharfzüngiger wie hochamüsanter Knatsch. Die von den Schreibern des Stücks persönlich adaptierte und inszenierte Kinoversion von „Der Vorname" ist jedoch weniger zynisch als Polanskis Yasmina-Reza-Verfilmung und auch die satirischen Spitzen sind eher dezent gesetzt. Delaporte und de la Patellière präsentieren uns in erster Linie ein komisches Lehrstück über die Mechanismen von Humor und Schadenfreude.

    Pierre (Charles Berling) und Élisabeth (Valérie Benguigui) sind ein linksliberales, bildungsbürgerliches Ehepaar mit zwei Kindern. Sie ist Lehrerin und berüchtigt für ihre Strickpullis, er Literaturprofessor und berühmt für seine Cord-Sakkos. Die beiden haben zum Abendessen eingeladen, Elisabeth, genannt Babou, kocht mal wieder marokkanisch. Die Gäste sind Claude (Guillaume de Tonquédec) Babous bester Freund seit Kindertagen, ihr Bruder Vincent (Patrick Bruel) und dessen schwangere Frau Anna (Judith El Zein). Noch bevor Anna eingetroffen ist, kommt das Gespräch auf den Namen, den Vincent und seine Gattin für ihr Kind ausgewählt haben. Vincent ziert sich, lässt die Runde raten, legt Fährten und löst das Rätsel schließlich auf. Seinen männlichen Spross will der sonst so unkultivierte Makler nach einem Romanhelden benennen und zwar ausgerechnet nach Adolphe, dem Protagonisten des gleichnamigen Buchs von Benjamin Constant, einer berühmten Figur der französischen Literatur. Doch diese Wahl ist mehr als umstritten...

    Bekannt wurden Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière in Frankreich zunächst als Film- und Fernsehautoren, die unter anderem am Sci-Fi-Animationsepos „Renaissance" und am Jean-Reno-Actionfilm „22 Bullets" beteiligt waren. Da scheint die bewusste Beschränkung auf einen einzigen Schauplatz beinahe wie Koketterie. Der Beginn von „Der Vorname" ist allerdings von betonter Aktivität, erst danach erinnert die Begrenzung auf ein Wohnzimmer ständig an die Bühnenherkunft des Stoffes. In der ersten Einstellung ist ein Lieferant zu sehen, der irrtümlich mit drei Pizzen unterwegs zur Wohnung von Pierre und Elisabeth ist, dazu informiert eine Stimme aus dem Off (gesprochen von Vincent-Darsteller Patrick Bruel) über die Geschichte der Namenspatrone der durchfahrenen Straßen - die sind meist Märtyrer, deren Schicksal nebenher mit zeitgenössischen Zeichnungen, Stichen und Gemälden von derben Exekutionspraktiken illustriert wird – und schließlich werden wir auch noch über Berufe und Macken der Gastgeber in Kenntnis gesetzt. Der Tonfall dieses Beginns schwankt zwischen augenzwinkernd-sympathisch und allwissend-gönnerhaft. Und als die Besucher eintreffen, geht es erst einmal so weiter: Es wird geredet und geredet, sehr gewandt und total gewitzt, alle Merkmale einer dieser typisch französischen, unheimlich kultivierten Konversationskomödien sind versammelt und es ist dabei alles etwas zu viel des Guten.

    Aber dann wird immer klarer, dass die Regisseure ein intelligentes Verwirrspiel mit den Konventionen der Komödie und mit einigen im französischen Kino gern bemühten Klischees treiben. Der Plauderton ist nur der trügerische Anfang, bald wird nicht nur dem porträtierten Milieu, sondern auch dem Publikum der Spiegel vorgehalten. Wenn die Clique anfangs miteinander lacht, über die Insider-Witze der gemeinsamen Vergangenheit und all die kleinen Gemeinheiten, die nur scheinbar längst vergeben sind – so heißt es zu einem Ultraschallbild unter großer Heiterkeit: „Wie sein Vater, er neigt nach rechts" – dann ist das noch geradezu langweilig. Erst als es im Gespräch um den Babynamen geht und von dort aus schnell um viel mehr, um Politik und Moral, wenn sich der Konflikt vom Banalen zum Bedeutenden entwickelt, sich rasend schnell ausbreitet und wie ein Flächenbrand in alle Richtungen lodert: Da wird es spannend. Gerade weil die Figuren nie denunziert und nie vollkommen der Lächerlichkeit preisgegeben werden, sind diese entlarvenden Momente die stärksten des Films. Dabei ist nicht jede Wendung gelungen und nicht jede Pointe sitzt, auch das Breitbildformat, in dem dieses Kammerspiel gedreht wurde, wirkt etwas aufdringlich – zuweilen rückt die Kamera den Schauspielern doch arg auf die Pelle. Aber die temporeiche Achterbahnfahrt von Dialog und Witz führt konsequent vom Oberflächlichen zum Grundsätzlichen und wird so zu einem perfekten Beispiel intelligenter Unterhaltung.

    Fazit: Stark geschrieben, mit Verve gespielt: „Der Vorname" ist eine witzig-satirische und gleichzeitig liebevolle Abrechnung mit all den kleinen Verlogenheiten, die sich auch unter Freunden und im Kino finden.

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