Das beliebteste Ziel von Sacha Baron Cohen sind die Vorurteile der US-Amerikaner gegen alles und jeden. Es gibt zurzeit wohl keinen Zweiten, der die amerikanische Doppelmoral (Freiheit über alles, aber Anderssein geht gar nicht) so schonungslos offenlegt wie der britische Kultkomiker. Ob als kasachischer Journalist in „Borat" oder schwuler Österreicher in „Brüno" – Sacha Baron Cohen hat in seiner Karriere bereits einige Kunstfiguren erschaffen, mit denen er die finstere Seite der US-amerikanischen Seele an die Oberfläche zerrt. In diese Kerbe schlägt Cohen auch mit seiner neuesten Kreation: General Aladeen ist der despotische Diktator des fiktiven afrikanischen Staates Wadiya, für den sich bei einer Schwangerschaft nur die Frage stellt: Junge oder Abtreibung? Gute zehn Jahre nach den Anschlägen auf das World Trade Center scheint auch dieser Charakter wie geschaffen, um den angsterfüllten Amerikanern mal ganz gewaltig auf den Zahn zu fühlen. Aber auch wenn die Figur an sich erneut überzeugt, führt der Wechsel weg vom dokumentarischen „Jackass"-Style hin zum reinen Spielfilm doch dazu, dass Larry Charles‘ „Der Diktator" am Ende spürbar weniger Biss hat als seine Vorgänger.
Nur noch ein paar Wochen, dann wird General Aladeen (Sacha Baron Cohen) endlich seine erste Nuklearwaffe in den Händen halten. Diesem Moment hat der frauenfeindliche, Israel-hassende und sein Volk leidenschaftlich unterdrückende Diktator des afrikanischen Staates Wadiya schon lange entgegengefiebert. Aber gerade jetzt macht die UN mal wieder Stunk. Also reist Aladeen mit seinem Gefolge in den Geburtsort von Aids (= New York), um dort vor den Vereinten Nationen eine 14-stündige Rede zu halten und den anderen Staaten zu verklickern, dass er mit seinem Atomprogramm selbstverständlich nur friedliche Zwecke verfolgt... Kaum in den USA eingetroffen, wird Aladeen jedoch gekidnappt. Ihm gelingt zwar die Flucht, aber ohne seinen Bart glaubt ihm niemand, dass es sich bei ihm tatsächlich um einen gefürchteten Diktator handelt...
Sacha Baron Cohen kennt keine Hemmungen. Diesen Umstand hat er in all seinen Filmen und TV-Shows immer wieder unter Beweis gestellt – und auch in „Der Diktator" sind jene Szenen mit Abstand am besten, in denen der britische Extremkomiker die Grenzen des politisch Korrekten pulverisiert. Das fängt schon damit an, dass er seinen Film dem kürzlich verstorbenen nordkoreanischen Diktator Kim Jong-il widmet und General Aladeen in seinem Gasthaus den mit Verdauungsproblemen kämpfenden Bin Laden beherbergt (die Amis haben 2011 lediglich einen Doppelgänger erschossen). Aber selbst das ist noch harmlos im Vergleich zu einigen wirklich grandios-finsteren Gags, etwa wenn Aladeen auf seiner Spielekonsole ein an „Wii-Sports" angelehntes, extra für Hobby-Terroristen entwickeltes Game daddelt, in dem man Selbstmordanschläge verüben oder den Überfall auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München nachspielen kann.
Aber es muss nicht immer politisch sein, Cohen treibt auch den groben Gross-Out-Humor so sehr auf die Spitze, dass er tatsächlich schon wieder witzig ist. Der absolute Höhepunkt: In der wohl abgefahrensten Geburtsszene der Filmgeschichte verliebt sich General Aladeen in die Öko-Tussi Zoey (Anna Faris), während sich ihre Hände im Inneren einer gerade gebärenden Ladenbesucherin zufällig berühren – inklusive Innenansicht der Vagina und wiederholtem Eindringen in die falsche Öffnung. Klingt bescheuert, aber die Filmemacher überziehen die Szene dermaßen, dass es schon wieder genial ist.
Zwischen diesen Höhepunkten sieht es hingegen recht mau aus, was in erster Linie daran liegt, dass Sacha Baron Cohen in „Der Diktator" auf seine schärfste Waffe verzichten muss: die Reaktionen von Uneingeweihten. Natürlich waren Cohens Darstellungen des kasachischen Journalisten in „Borat" und des schwulen Fashion-Experten in „Brüno" nicht weniger als brillant, aber was die Filme so erfolgreich gemacht hat, waren zu einem guten Teil eben auch die spontanen Reaktionen von arglosen Amerikanern, die gar nicht wussten, dass ihr Gegenüber nur eine Kunstfigur ist. In „Der Diktator" gibt es einige Stellen, die genauso funktionieren sollen wie in „Borat" oder „Brüno". Darunter eine Szene im Helikopter, in der Aladeen und ein zweiter arabisch aussehender Passagier sich in einer fremdländischen Sprache unterhalten und dabei englische Ausdrücke wie „9/11 2012" oder „Empire State Building" fallenlassen. Ihnen gegenüber sitzt ein amerikanisches Touristenpärchen, das sich vor Angst fast in die Hosen macht. Nur: Diesmal ist das Pärchen eben nicht echt, es sind zwei Schauspieler, und so ist ihre panische Reaktion nur noch halb so lustig.
Ohne die dokumentarischen Momente von „Borat" und „Brüno" braucht „Der Diktator" plötzlich einen richtigen Plot. Dieser basiert sehr lose auf dem Buch „Zabibah and the King" – eine irakische Propaganda-Liebesgeschichte, die von niemand Geringerem als Saddam Hussein persönlich (bzw. seinem Ghostwriter) verfasst wurde. Natürlich reist der König im Buch nicht in die USA, sondern verliebt sich statt in die Geschäftsführerin eines New Yorker Bioladens in eine einfache Frau aus dem irakischen Volk. Aber so amüsant die Wahl genau dieser Vorlage auf dem Papier auch klingt, bei der Umsetzung als Filmhandlung haben sich die Drehbuchautoren nicht gerade mit Ruhm bekleckert: Der Plot bleibt eine bloße Aneinanderreihung einzelner Sketche. Und von denen verpuffen viel zu viele als harmlose Kalauer.
Fazit: Auch wenn Sasha Baron Cohen als "Diktator" erneut einige bitterbös-satirische Situationen kreiert, ist die kalauerdurchtränkte Komödie zwischen den Höhepunkten nicht so dolle.