Mit „Mein Leben mit Mozart" hatte schon der französische Schriftsteller Eric-Emmanuel Schmitt bewiesen, wie interessant und unterhaltsam Erzählungen zum Privat- und Beziehungsleben echter Legenden sein können – ganz gleich, wie authentisch diese Erzählungen letztendlich sein mögen. Und weil jeder ein ganz eigenes Verhältnis zu den Werken derartiger Ikonen hat, braucht es schon einen besonders geschickten Erzähler, um jeden Zuhörer einzeln anzusprechen und zur Beschäftigung mit den Großen einzuladen. Wenn ein wortgewandter Dandy wie Stephen Fry („Sherlock Holmes 2", „V wie Vendetta") über seine schon in frühester Kindheit entflammte Begeisterung für das Komponisten-Genie Richard Wagner schwadroniert und dabei zur Europafahrt auf den Spuren der Opernlegende ansetzt, ist ein solcher Erzähler gefunden. Auch wenn Experten in der von Patrick McGrady inszenierten Musik-Dokumentation „Wagner & Me" nichts Neues erfahren und Laien nach einer Wikipedia-Recherche ähnlich klug sein werden, kann man sich dem trockenen Charme des verschmitzten Schauspielers, Autors und Komikers Fry und dem zentnerschweren Bombast des Musik-Titanen Richard Wagner kaum entziehen.
Da Stephen Fry selbst nach eigenen Angaben vollkommen unmusikalisch ist, musste er Zeit seines Lebens ein Zaungast der großen Musik bleiben. Auch aus diesem Grund, so scheint es, nahm er das Angebot an, nicht nur als Dokumentarfilmer hinter den Kulissen der Bayreuther Festspiele umherzuspuken, sondern auch das halbe Europa zu bereisen, um sich mit Wagner-Spezis über den umstrittenen Komponisten zu unterhalten. So besucht er unter anderem die Schweiz, wo der politisch engagierte junge Wagner einst nach der gescheiterten Revolution von 1848 ins Exil ging und sich dort nicht nur von einem reichen Gönner aushalten ließ, sondern auch ein Verhältnis mit dessen Frau führte. Ebenso machte Fry einen Abstecher nach Russland, wo die Opern schon zu Wagners Lebzeiten sehr erfolgreich aufgeführt wurden. Und nach Bayern, wo sich der ewige Schnorrer W. vom irren König Ludwig II. – einem fanatischen Fan des genialischen Pleitegeiers – seine immensen Schulden tilgen und ein Opernhaus bauen ließ.
Dabei werden Wagners biografische Stationen ebenso unter die Lupe genommen wie seine musikalischen Meilensteine. Einmal wird lang und breit über den berühmten Tristan-Akkord aus „Tristan und Isolde" referiert – ohne, dass dabei Langeweile aufkäme. Dafür ist Frys gleichermaßen kindliche wie distinguierte Begeisterung einfach zu ansteckend. Einen Dämpfer bekommt dieser Enthusiasmus nur, sobald es um Wagners keineswegs verhohlenen Antisemitismus geht – oder darum, wie gerne sich die Nazis von seinen Werken inspirieren ließen. Besonders Hitlers Bezugnahme auf Wagner wird beleuchtet, wenn Fry einen Abstecher nach Nürnberg macht, wo bei Nazi-Machtdemonstrationen oft auf die Musik des alten „Ringschmieds" zurückgegriffen wurde. In solchen Momenten legt sich die Stirn des Juden Fry in Falten und es kommt echte Abscheu zum Vorschein, die jedoch bald wieder in Bewunderung für die Musik umschlägt.
Frys Liebe zu Wagner ist nicht bedingungslos, sondern hochgradig ambivalent – dass der Mann zwar ein Genie, dabei aber auch ein radikaler Ideologe und Exzentriker war, wird hier nie unterschlagen. Wenn die Reise dann freilich ins Mekka des Wagner-Kults – nach Bayreuth – führt, dann nimmt Fry auf dem berühmten Dirigentenstuhl Platz und plauscht darüber, sich bei seinen augenzwinkernden Trockenübungen wie ein Kind im Süßigkeitenladen zu fühlen. Das ist witzig, wenngleich nicht sonderlich substanziell. Aussagekräftiger ist da schon sein Gespräch mit der Wagner-Urenkelin Eva Wagner-Pasquier, das eher unangenehm daran erinnert, welch pompös-prätentiösen Stellenwert die Bayreuther Festspiele im heutigen Kulturbetrieb eingenommen haben und wie sehr mit Wagners Namen und Werk geschachert und geklüngelt wird.
Mit zunehmender Spieldauer wird allerdings dann ersichtlich, wie formelhaft Fry den Film aufgebaut hat. Schön der Reihe nach reist der Regisseur der Biografie seines Doku-Objekts hinterher, schwärmt und bespricht sich mit Experten, die auf Musikalisches, Ideologisches und Privates eingehen – woraufhin ein neuer Schauplatz aufgesucht, weitergeschwärmt und einmal mehr gefachsimpelt wird. Dreh- und Angelpunkt dieser erzählerisch-geographischen Bewegung bleibt Bayreuth. Hier sieht man Fry durch die Proberäume, die Requisitenkammern und den Orchestergraben schleichen und große Augen machen. Doch so redundant die episodische Erzählung gelegentlich und spätestens nach rund einer Stunde Spielzeit auch wirken mag, so spaßig bleibt es dabei, sich von Fry mit einer Extraportion britischem Charme durch die Stationen führen zu lassen. Einen besseren Guide kann man sich hier kaum vorstellen – ob Fry wohl auch für weitere Kino-Portraits großer Kulturschöpfer zu haben wäre?
Fazit: Wagner- und Opernfans dürfte Stephen Frys unterhaltsame Dokumentation zwischen subjektivem Portrait und leichtfüßigem Reisebericht ohnehin interessieren – allen anderen wird mit „Wagner & Me" eine angenehm zwischen Euphorie und Kritik ausbalancierte Perspektive auf die Welt der sogenannten Hochkultur eröffnet.