Entweder man übersetzt ihn ins Deutsche oder man lässt ihn, wie er ist. Aber was soll die immer häufiger gesehene Praxis, englische Filmtitel für den deutschen Markt durch andere englische Filmtitel zu ersetzen? Es ist jedenfalls kaum ersichtlich, warum etwa „Taken" auf „deutsch" plötzlich „96 Hours" heißen muss und es ließen sich etliche weitere abschreckende Beispiele aufzählen. Aber wir wollen uns die gute Laune, mit der wir nach Scott Speers Tanzfilm-Fortsetzung „Step Up 4: Miami Heat" aus dem Kino gekommen sind, nicht gleich wieder verderben. Stattdessen drücken wir beide Augen zu, denn am Ende hat sich der Film seine Untertitel „Miami Heat" (in Deutschland) und „Revolution" (in den USA) beide redlich verdient: Scott Speer zeigt spektakuläre Körper, die in spektakulären Choreographien unter der gleißenden Sonne Floridas alles bisher im Genre des 3D-Tanzfilms Gesehene (mit Ausnahme der Wim-Wenders-Doku „Pina") in den Schatten stellen. Aber nebenbei belebt er eben auch jene geradezu revolutionäre Aufbruchstimmung wieder, die Barack Obama mit seiner „Yes We Can"-Kampagne angestoßen hat, bevor sie im Laufe seiner Amtszeit immer mehr von den Problemen des präsidentiellen Alltags überlagert wurde.
Der Preis ist verlockend. 100.000 Dollar hat YouTube für den Videokanal ausgelobt, der am schnellsten auf 10 Millionen Abrufe kommt. Natürlich ist es nicht leicht, auf dem Videoportal gegen Evergreens wie singende Katzen oder kotzende Babys anzustinken, aber Kellner Sean (Ryan Guzman) und seine Crew wollen es trotzdem versuchen. An verschiedenen Orten Miamis organisieren sie unter dem Namen „The Mob" spektakuläre Flashmobs, ausgeklügelte Überraschungsauftritte an öffentlichen Orten, deren Mitschnitte auf YouTube schon bald mehrere Millionen Hits gesammelt haben. Aber nicht alles ist eitel Sonnenschein im Sonnenstaat Florida: Der Bauunternehmer Anderson (Peter Gallagher) hat das gesamte Viertel aufgekauft, in dem Sean und seiner Freunde leben. Die etwas heruntergekommene Gegend soll einem modernen Luxushotel weichen. Doch „The Mob" weiß sich zu wehren: Die Gruppe verwandelt ihre Performance Art kurzerhand in Protest Art. Dass Sean in der Zwischenzeit mit Andersons Tochter Emily (Kathryn McCormick) angebändelt hat, macht die Situation allerdings nicht unbedingt einfacher...
Was hat es nun mit dem deutschen Titel auf sich? „Miami" ergibt sich von selbst, immerhin erobert The Mob gleich in der atemberaubenden Auftaktsequenz eine Kreuzung der vielbefahrenen Ocean's Avenue in der Metropole am Atlantik, wo am Flashmob auch hüpfende Autos teilnehmen, die von den Tänzern wie wilde Pferde mit dem Lasso gebändigt werden. Der 3D-Effekt mag technisch nicht in derselben Liga wie „Hugo Cabret" oder „Avatar" spielen, aber Musikvideospezialist Scott Speer hat in seinem Spielfilmregiedebüt keine Hemmungen, ihn bei passender Gelegenheit bis zum Anschlag auszureizen – und das Ergebnis spricht für sich. Dabei kommt der Schauplatz Miami immer wieder wunderbar zur Geltung, aber wie steht es um die ebenfalls in Aussicht gestellte Hitze? Was ist mit „Heat"? Hitze ist im tropischen Klima Floridas ohnehin fast ein Dauerzustand, aber unter heißer Sonne gibt es hier zusätzlich heiße Tänze zu heißen Rhythmen – und heiße neue Stars.
Ob Hauptdarsteller Ryan Guzman allerdings etwas Ähnliches gelingt wie Channing Tatum, für den der erste „Step Up"-Film das Sprungbrett zu einer beeindruckenden Hollywoodkarriere mit Filmen wie „G.I. Joe" und „Magic Mike" war, darf bezweifelt werden - dafür fehlt dem Newcomer die unverwechselbare Natürlichkeit seines Vorgängers. Aber was das Tanzen (und den Körperbau) angeht, hält Guzman durchaus mit Tatum mit. Und auch die Frau an seiner Seite kann sich sehen lassen: Wie zuletzt Julianne Hough („Footloose", „Rock of Ages") ist nun auch Kathryn McCormick der Sprung aus einer TV-Tanzshow auf die große Leinwand gelungen. Ihre Moves sind heiß (und gekonnt!), die Bikinis knapp, was will man(n) mehr. Trotzdem ist es ein Glück, dass Emily sich im Film auf modernen Ausdruckstanz spezialisiert hat, denn in ihren gemeinsamen Choreographien mit Sean bringen die beiden ihre Gefühle füreinander deutlich glaubhafter rüber als in den hüftsteifen Dialogen, die aber ohnehin auf das nötige Minimum reduziert sind. Miami Heat? Passt!
Angesichts des Originaltitels „Step Up Revolution" fragt man sich nach dem ersten Drittel des Films schon, ob so was in Hollywood mittlerweile tatsächlich schon als Revolution durchgeht. Immerhin geht es den Flashmobbern zu Beginn des Films lediglich um Aufmerksamkeit für ihre YouTube-Videos und um ein Preisgeld von 100.000 Dollar, das umgelegt auf die einzelnen Tänzer nicht einmal ausreichen dürfte, um die Produktionskosten der extrem aufwändigen Auftritte wieder reinzuholen. Aber dann kommt der bereits benannte Umschwung von der Performance-Kunst zum künstlerisch ausgedrückten Protest. Die Flashmob-Darbietung im Museum, bei dem sich die Tänzer per Bodypainting zunächst als Kunstwerke tarnen, ist die mit Abstand kreativste des Films. Aber noch deutlich kraftvoller ist jene im Foyer eines Bürokomplexes, bei der die Crew-Mitglieder im klassischen „Mad Men"-Business-Outfit inklusive schwarzem Hut und ebenso schwarzer Aktentasche gegen die Gleichförmigkeit des Kapitalismus antanzen. Das ist kritische Kunst, wie sie mitreißender kaum sein kann. Und weil meist auch die Revolutionäre von ihrem eigenen Aufstand mitgerissen werden, spart Scott Speer auch einen düster-brutalen Auftritt nicht aus, bei dem The Mob deutlich übers Ziel hinausschießt. Revolution? Auf jeden Fall! (Auch wenn man sich beim letzten Satz des Films – Stichwort Nike - besser die Ohren zuhält.)
Fazit: Scott Speer hat mit „Step Up 4: Miami Heat" den besten Film der Reihe gedreht und den Streetdance damit endgültig zur legitimen Kino-Kunstform erhoben. Allein die spektakulären Flashmob-Choreographien sind den Eintritt – selbst inklusive saftigem 3D-Zuschlag – allemal wert.