Das Original bleibt weiter unerreicht
Von Jochen Werner„Hellraiser“, das Regiedebüt des damals 34-jährigen Schriftstellers Clive Barker, zählt im Gegensatz zu den vielen, vielen Fortsetzungen zu Recht zu den legendärsten Horrorfilmen der 1980er-Jahre. Bis heute hat die nachtfinstere Geschichte um einen mysteriösen Würfel, der ein Tor in eine Höllendimension öffnet und so Torwächtern und Folterknechten (den sogenannten Zenobiten) Zugang in unsere fragile Realität gewährt, nichts von ihrem blanken Terror oder ihrem morbiden Reiz verloren. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass das zentrale Tabu, an dem Barker hier rührt, so auch heute noch gültig ist, selbst wenn Gewaltdarstellungen in den vergangenen 40 Jahren ihre Schockwirkung ansonsten weitgehend verloren haben: In den zu monströsen Tableaus zerschundenen Körpern aus „Hellraiser“ offenbart sich schließlich der erschreckend schmale Grat zwischen sexueller Erregung und sadistischem Schmerz.
Der nun erschienene Reboot „Hellraiser: Das Schloss zur Hölle“ hat trotz des kassenträchtigen Titels lange gebraucht, um endlich fertiggestellt zu werden: Bereits 2006, im Zuge der ersten großen Remake-Welle des modernen amerikanischen Horrorfilms, gab es eine Ankündigung. Dass es dann trotzdem so ewig gedauert hat, mag auch mit einer gewissen Ratlosigkeit zu tun gehabt haben, scheint doch kaum einer der ikonischen Splatterfilme jener Ära weniger geeignet für eine Anpassung an die konventionelleren Erwartungshaltungen eines heutigen Mainstream-Publikums. Mit David Bruckner, dem Regisseur atmosphärisch starker Horrorfilme wie „The Ritual“ oder „The House At Night“, konnte man schließlich nach jahrelangem Hin und Her einen sehr begabten Filmemacher für das Reboot gewinnen, der auch bei eigentlich skeptischen Fans des Originals eine gewisse Vorfreude zuließ. Das Ergebnis ist nun allerdings eine bestenfalls ambivalente Angelegenheit.
Der legendäre „Hellraiser“-Würfel hat im Reboot so viele neue Funktionen, dass man ihn fast schon als das Schweizer Taschenmesser unter den Höllentor-Öffnern bezeichnen müsste.
Dabei beginnt „Hellraiser: Das Schloss zur Hölle“ geradezu klassisch. Der Würfel, der im Reboot über zahlreiche neue Features verfügt und so beinahe zu einer Art Schweizer Taschenwürfel wird, wechselt in einer konspirativen Übergabe den Besitzer. So gerät er in die Hände des reichen und wohl aus Langeweile sadomasochistischen Lebemanns Voight (Goran Visnjic), woraufhin das erste Opfer erst seine Haut, dann seine Gliedmaßen und schließlich sein Leben verliert. Die Ketten und Haken, die aus dem Nichts auftauchen und in das Fleisch der Opfer schießen, haben sich als Leitmotive selbst in den billigsten Sequels gehalten – und es nun natürlich auch in den neuen „Hellraiser“ geschafft. Nach diesem Auftakt wechselt Bruckner allerdings das Register und wir müssen uns über längere Plotdistanzen zunächst einmal mit einer Clique eher nerviger Teens und Tweens herumschlagen.
Dabei ist die Protagonistin Riley (Odessa A'zion) eigentlich gar keine so uninteressante Figur. Mit der eigenen Sucht kämpfend, hat sie bei den Anonymen Alkoholikern ihren Lover Trevor (Drew Starkey) kennengelernt, einen etwas prolligen Typen mit White-Trash-Attitüde, der von Anfang an eine gewisse Gefahr verkörpert und daher auch von Rileys dezidiert diverser WG-Clique – ihr schwuler Bruder Matt (Brandon Flynn), sein PoC-Boyfriend Colin (Adam Faison) und die asiatisch-amerikanische Mitbewohnerin Nora (Aoife Hinds) – instinktiv abgelehnt wird. Das (Selbst-)Zerstörerische der Sucht, der Reiz der Gefahr, die Erotik des Untergangs und die Lust daran, immer und immer wieder das zu tun, was schlecht für einen ist – allein in dieser Konstellation steckt viel drin, was Bruckners Reboot zu einem großartigen „Hellraiser“-Film machen könnte.
Leider nutzt er fast nichts von diesem überreichen Potenzial und entscheidet sich stattdessen, einen ziemlich konventionellen Okkult-Horrorfilm zu erzählen – und das über weite Strecken noch nicht einmal besonders gut. Der erste Schritt in die falsche Richtung besteht bereits darin, dass er den gerade in ihrer ultimativen Rätselhaftigkeit und Ungreifbarkeit so höllischen Zenobiten feste Regeln auferlegt. In einer Art Notizbuch findet Riley eine detaillierte Gebrauchsanweisung für den Multifunktionswürfel, der nicht mehr nur das Tor zu unendlichem Leid und Schmerz weit öffnet, sondern eher zum Instrument für Dieses & Jenes in Sachen Jenseits wird. Zwar versuchten die zahlreichen Sequels auch immer mal wieder, Dinge zu erklären und Origin Stories für Würfel und Zenobiten zu erzählen, die man allesamt eigentlich lieber nicht gewusst hätte.
Dabei allerdings widersprachen sie sich derart munter, mitunter gar im selben Film, dass das Enigmatische im wild wuchernden „Hellraiser“-Kosmos dadurch eher noch verstärkt wurde. Eine absolut gesetzte Konstante jedoch gab es, an der auch im billigsten Sequel nicht gerüttelt wurde: der Todestrieb der Protagonisten selbst! Es ist stets die Erschütterung der permeablen Grenze zwischen Lust und Schmerz, die sie nach dem Würfel streben lässt und so die Zenobiten in ihre Welt einlädt. Wenn es in Bruckners Film heißt, die körpermodifizierten Dämonenwesen versprächen zwar Lust, hätten jedoch lediglich Leid zu bieten, liegt der Gedanke nahe, dass die Macher dieses Reboots Barkers Film schlichtweg überhaupt nicht verstanden (oder allzu politisch korrekt glattgebügelt) haben: Aus Lust durch Schmerz und Schmerz durch Lust wird im Reboot kurzerhand Schmerz statt Lust.
Pinhead ist im Reboot zum ersten Mal weiblich – wenn man von den sadistischen Höllenwesen überhaupt in solchen Kategorien sprechen kann.
„Genug ist ein Mythos“, erklärt Voight an einer Stelle, warum er sich trotz seines Reichtums an die Zenobiten gewandt hat. Das wäre eigentlich auch eine passende Maxime für den mythologisch und visuell oft überbordenden „Hellraiser“-Kosmos – wird hier aber vor allem in Bezug auf die Lauflänge wörtlich genommen: Das für einen Horrorfilm dieser Art unerhörte Überschreiten der 2-Stunden-Marke rechtfertigt er nämlich eigentlich nie. Mit viel zu viel Leerlauf und unnötigen Erklär-Passagen schleppt sich „Hellraiser: Das Schloss zur Hölle“ über zähe 122 Minuten. Dabei findet er durchaus einige alptraumhafte Bilder oder Set Pieces, die für sich überzeugen können – Bruckners Talent im Kreieren von Atmosphäre ist auch in diesem letztlich enttäuschenden Film nicht komplett verloren gegangen.
Fazit: Zu konventionell, zu langatmig, zu auserklärt: David Bruckners Reboot des Splatterfilm-Klassikers hat eine Handvoll starker Momente und viel Potenzial, enttäuscht aber am Ende doch auf ganzer Linie.