David Mamet ist eines der ganz großen Genies unter den Erzählern in Hollywood. Der Theater-Autor schrieb Meisterwerke wie „Glengarry Glen Ross“ oder das Horrordrama „Edmond“ für die Bühne. Auch deren Filmadaptionen zeigen sein einzigartiges Gespür für schnelle, rhythmische und kontroverse Dialogfeuerwerke. Immer wieder wirken seine Wort-Stakkatos mehr musikalisch als im eigentlichen Sinne filmisch. Und immer sind sie vollgestopft mit Informationen über seine Figuren und die Welt, in der sie leben. Seine Fähigkeit als ökonomischer Erzähler, der eine Geschichte bis aufs bloße Skelett entkleiden kann ohne ihr Gewicht zu mindern, machte ihm in Hollywood viele Freunde. Mamet ist nicht nur als Drehbuchautor gefragt, sondern wird immer wieder als Skriptdoktor zu Rate gezogen, wenn Dialoge noch den letzten Schliff benötigen. So unterschiedliche Arbeiten wie „Ronin“, „Wag the Dog“, „Auf Messers Schneide - Rivalen am Abgrund“ oder „Die Unbestechlichen“ stehen so in seiner Filmografie. Zudem erfand Mamet die Serie „The Unit“ und nahm auch immer wieder selbst auf dem Regiestuhl Platz („Spartan“, „Redbelt“). Mit der HBO-Produktion „Phil Spector“ über den Prozess der gefallenen Musikproduzentenlegende gleichen Namens liefert er nun einen weiteren Beweis seines Talents ab. Mit Helen Mirren und einem manisch aufspielenden Al Pacino in der Titelrolle hat er zwei echte Asse im Ärmel, Schauspieler, die sich in der Welt Mamets mehr als wohl fühlen.
Eigentlich will die Strafverteidigerin Linda Kenney Baden (Helen Mirren) die Verteidigung des legendären Musikproduzenten Phil Spector (Al Pacino) gar nicht übernehmen. Das Genie Spector, das beschuldigt wird, in seinem Haus das einstige Starlet Lana Clarkson erschossen zu haben, ist ein wirrer, jähzorniger Unsympath. Und auch wenn es viele Ungereimtheiten im Tathergang gibt, glaubt sie nicht daran, dass sich ernsthafte Zweifel an seiner Schuld zu einem Freispruch ummünzen lassen. Dennoch wird sie von ihrem Boss zu dem Mandat gedrängt und macht sich daran, Verteidigungsstrategien zu entwerfen und eine Version der Tatnacht zu entwickeln, die das Unglück als tragischen Unfall bei einem psychosexuellen Machtspiel darstellen soll. Ihr größtes Problem sind jedoch nicht die Indizien für ihre Version des Tathergangs, sondern der Angeklagte selbst. Der ausgebrannte Exzentriker Spector sieht einfach wie der geborene Täter aus – und Image wiegt im modernen Justizapparat schwerer als der Zweifel zugunsten des Angeklagten...
Immer mehr Filmemacher nutzen den amerikanischen Pay-TV-Sender HBO als Partner für Projekte, die im Kino nicht zu realisieren wären. Frei von Effekthascherei oder falschem Sentiment entstehen dort erwachsene, intelligente und konzentrierte Arbeiten, wie sie im Kino Mangelware geworden sind. Sei es Gus Van Sant, der mit HBO-Rückendeckung seine famose Todestrilogie („Elephant“, „Gerry“ und „Last Days“) verwirklichte, Curtis Hanson mit dem Finanzkrisen-Drama „Too Big To Fail“, Philip Kaufman mit seinem epischen Biopic „Hemingway And Gellhorn“ oder Steven Soderbergh, dessen „Behind The Candelabra“ den Hollywood-Studios „zu schwul“ war: HBO macht in Sachen anspruchsvolle Filmkunst dem Kino längst Konkurrenz. Da freut es umso mehr, dass auch der alte Theater- und Drehbuch-Profi Mamet nach seiner Mitarbeit an John McNaughtons Mafia-Biopic „Meyer Lansky – Amerikanisches Roulette“ (1999) erneut mit HBO zusammen arbeitet. Unterstützt von dem Darsteller-Dream-Team Mirren und Pacino gelingt ihm dabei ein konzentriertes, mit 90 Minuten angenehm kompaktes und von scharfzüngigen Wortgefechten nur so strotzendes Erzählkunststück.
Mamet verheizt seine Edelmimen nicht mit dem Vorhaben, ihre Psyche und ihre Motivationen bis in den letzten Winkel zu durchleuchten. So bleibt Helen Mirrens Rolle der Verteidigerin wider Willen vor allem eine Skizze und ein Platzhalter der unbestechlichen Sachlichkeit. Nicht ihre Biografie zählt, sondern ihre Arbeit – so darf man Mirrens Linda hier vor allem beim Denken, Kombinieren, Abwägen und Staunen zusehen. Was wie eine undankbare Rolle anmuten mag, ist bei der Oscarpreisträgerin („Die Queen“) jedoch faszinierend anzusehen. Überhaupt tut es gut, eine zweckdienliche Figur zu begleiten, die an Vernunft und Sachlichkeit appelliert, ohne sich zu stark emotional zu exponieren. Diese Rolle übernimmt hier ein anderer.
Al Pacino („Heat“, „Der Pate“) gibt als Spector alles und liefert eine Performance ab, die durchaus als Overacting, gar als Freakshow abgetan werden könnte. Und doch ist es nahezu unmöglich, den Blick von diesem zwischen mitleiderregender Zerbrechlichkeit und kaum zu bändigendem Größenwahn taumelnden Derwisch abzuwenden. Wenn sich Pacino leicht bucklig durch die Szenerie quält und Monologe von sich gibt, in denen er Popkultur, Starkult, Musikgeschichte und menschliche Abgründe unter die Lupe nimmt, geben sich Genie und Wahnsinn die Klinke in die Hand. Den alten Pacino nochmal in einer so dreidimensionalen Performance bewundern zu dürfen, ist ein echter Hochgenuss. Sein Spector wirkt wie ein Gespenst aus einer vergangenen Ära, das die Gegenwart daran erinnert, dass Showbusiness einmal mehr war als domestizierte Cash-Maschinerie, dass Showbusiness mit echter Gefahr und echtem Wahnsinn zu tun hatte.
Inszenatorisch tritt Mamet einen Schritt zurück und überlässt den Darstellern das Feld – seine Theaterherkunft wird auch bei „Phil Spector“ sehr deutlich sichtbar. Gegliedert ist sein Film in eine Handvoll großer Dialog-Stücke, in denen schnell gesprochen wird und Fakten pfeilschnell durch den Raum geschossen werden. Visuell aufregend ist das nie, aber darauf kommt es Mamet auch nicht an. In erster Linie ist „Phil Spector“ ein thematischer, gewissermaßen ein diskursiver Rundumschlag. So größenwahnsinnig es im Showbusiness auch zugehen mag – der Justizapparat, der sich in prestigeträchtigen Fällen selbst als große Bühne begreift, auf der rationelle Argumente wenig Gewicht haben, steht der Unterhaltungsindustrie hier in nichts nach. Nüchtern beschreibt Mamet ein Räderwerk, das nicht darauf ausgerichtet ist, individuelle Schuld oder Unschuld zu beweisen. Stattdessen werden dort Bilder geschaffen. Am Beispiel Spectors wirft Mamet außerdem einen Blick auf den Gierschlund der Medien, deren Perspektive von Anfang eine wichtige, letztlich entscheidende Rolle in der Dynamik des Prozesses spielt.
Dass dieser Spector ein Psychopath ist, wird nie angezweifelt. Seine Schuld am Tod seiner Gespielin, einem schwer depressiven Starlett auf dem absteigenden Ast, jedoch schon. Was genau an jenem schicksalhaften Abend in seiner zur Festung ausgebauten Villa geschah, das wird nicht erklärt – schließlich sind trotz Spectors Verurteilung zu 19 Jahren Haft wegen Totschlags noch viele Fragen offen. Dafür erfährt man viel über medialen Blutdurst und über rechtliche Verfahren, die jeden Gerechtigkeitsbegriff längst pervertiert haben. So gelingt es Linda, eine kluge Strategie auf die Beine zu stellen, die womöglich sogar funktionieren könnte. Diese fußt jedoch darauf, Spector weniger als Monster sondern als verschrobenen Exzentriker zu verkaufen. Als dieser seine Anwältin und die Öffentlichkeit zum Prozessbeginn dann mit einem absurden Jimi-Hendrix-Gedächtnis-Afro überrascht, ist selbst ihr klar, dass dieser Mann schlicht nicht anders zu verkaufen ist denn als Freak. Und denen traut man bekanntlich alles zu. Während Linda merkt, dass ihr Plan nun wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt, steht das einstige Genie Spector noch vor der Erkenntnis, dass die neue Öffentlichkeit ihn nur noch wie einen Fremdkörper aus einer Vergangenheit wahrnimmt, die sie gerne vergessen würde. Schuldig bei Verdacht!
Fazit: David Mamets „Phil Spector“ ist aufgrund der konzentrierten Inszenierung, des vielschichtigen Subtexts und des brillanten Darstellergespanns ein weiterer starker HBO-Film, der sowohl als Biopic als auch als Justizdrama überzeugt.