Ursprünglich verbindet man mit Naturfilmen leere Sonntagnachmittage, an denen eine Tier-Doku auf die nächste folgt, meist in der biederen, grauen Aufmachung von Anschauungsmaterial für den Heimatkundeunterricht. Das waren die Neunziger - im neuen Jahrtausend hat mit Filmen wie „Deep blue" und „Unsere Erde" der Naturfilm im opulenten Gewand von Großproduktionen Einzug in die Kinos gehalten. Und mit diesen Musterbeispielen schon jetzt die aus dem TV bekannte Übersättigung? Hinzufügen kann dem hochgradig konventionalisiertem Genre jedenfalls auch Jörn Rövers Film nichts – das ist aber auch gar nicht der Anspruch von „Russland – Im Reich der Tiger, Bären und Vulkane". Ein Umstand, mit dem man sich auch als Zuschauer zufrieden geben kann, denn Stagnation bedeutet hier Formstarre auf höchstem Niveau und 91 Minuten perfekt fotografierte Unterhaltung.
Von Westen nach Osten, von Norden nach Süden haben zehn Kamerateams in mehr als dreieinhalb Jahren Drehzeit das gewaltige Russland durchquert und so ein episches filmisches Porträt geschaffen. Neben der Fauna des Landes mit seinen seltenen Amur-Tigern, Riesenseeadlern und Bergwisenten steht auch die rauhe nordische Landschaft auf einer Strecke von insgesamt 100.000 Kilometern im Fokus. So dokumentiert der Film die waldreichen Berghänge des Ural ebenso wie die gewaltigen Schneeebenen Sibiriens und das Unterwasserreich des Baikalsees.
Wer von einer Russland-Dokumentation lediglich kristallines Weiß in Weiß erwartet, wird in diesem Fall positiv überrascht sein, denn der Film ist farbenfroh und abwechslungsreich. Die landschaftliche Vielfalt trotz einheitlich nordischer Prägung ist ein großer ästhetischer Pluspunkt: Einerseits ist „Russland – Im Reich der Tiger, Bären und Vulkane" nie eintönig, andererseits sieht sich der Zuschauer auch nicht mit allzu drastischen Wechseln von Atmosphäre und Gesamtstimmung konfrontiert. Auf diese Weise punktet der Film auch im genreinternen Rennen, denn die ausgesprochene Homogenität zeichnet ihn vor anderen schwergewichtigen Mitbewerbern wie „Unsere Erde" aus, der in seinem Anspruch, den Naturraum des gesamten Planeten darzustellen, bisweilen gehetzt wirkte.
Positiv hervorzuheben ist weiterhin der Einfallsreichtum der Bildregie, die mit gutem Auge für die schroffe Poesie der Landschaft teils fabelartig-entrückte Traumsequenzen komponiert. Ob Schnee, der wie Wellen über die Eisebene treibt, oder das verlorene Flackern des Nordlichts, „Russland – Im Reich der Tiger, Bären und Vulkane" weiß durchweg zu begeistern. Das ist auch nötig, um den genretypischen sturen Formalismus zu kompensieren. So folgen auf ein landschaftliches Panorama, das den jeweiligen Schauplatz vorstellt, stets Einzelepisoden, in denen die Tiere, vom Off-Kommentar Siegfried Rauchs mit menschlichen Zügen versehen, balzen, kämpfen oder jagen. Auch die ausufernde Präsentation von Superlativen - der tiefste See, der schwerste Greifvogel - entspricht dem bekannten Schema des Naturfilms. Etwas negativ fällt schließlich noch auf, dass der Score mit seinen Chören und Orchestersätzen, obwohl zweifelsfrei beeindruckend, stellenweise doch etwas überkandidelt wirkt.
Die angesprochenen Kritikpunkte fallen insgesamt und verrechnet mit der Summe des Gebotenen jedoch nur bedingt ins Gewicht. Und auch Zuschauer, die keine ausgewiesenen Naturdoku-Liebhaber sind, sollte der Film überzeugen: „Russland – Im Reich der Tiger, Bären und Vulkane" ist liebevoll und einfallsreich gefilmt und wartet mit Bildern auf, deren Gigantismus seine schwindelerregende Wirkung nicht verfehlt.