Auch wenn wir das Will-Smith-Starvehikel „After Earth“ gar nicht so schlecht fanden, waren wir doch so ziemlich die einzigen, die M. Night Shyamalans Sci-Fi-Abenteuer nicht in Grund und Boden gerammt haben – und an den Kinokassen gab es ebenfalls eine herbe Klatsche, die auch den Regisseur von Megahits wie „Signs - Zeichen“ und „The Village - Das Dorf“ selbst nicht unberührt gelassen hat: Nach dem Blockbuster-Flop drehte Shyamalan seinen Found-Footage-Horrorfilm „The Visit“ nun mit eigenem Geld und ohne Studiounterstützung („Insidious“-Produzent Jason Blum und der Verleih Universal stießen erst später dazu). Und offenbar war diese Extraportion Risiko genau das, was das „The Sixth Sense“-Mastermind gebraucht hat, um die kreativen Säfte wieder in Schwung zu bringen: „The Visit“ ist ein kleiner, hundsgemeiner und zudem auch noch ziemlich lustiger Leinwand-Schocker mit einer unerwartet persönlichen Shyamalan-Note und einer herausragenden Psycho-Oma.
Eine alleinerziehende zweifache Mutter (Kathryn Hahn) hat keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern gehabt, seit sie vor 15 Jahren überstürzt von zu Hause abgehauen ist. Aber nun haben sich Nana (Deanna Dunagan) und Pop Pop (Peter McRobbie) bei ihr gemeldet, weil sie gerne mal ihre Enkel kennenlernen möchten. Die Mutter stellt ihren Kindern daraufhin frei, ob sie ihre Großeltern auf dem Land besuchen wollen – und die sagen begeistert zu, auch weil die 15-jährige Becca (Olivia DeJonge) unbedingt einen Dokumentarfilm über den einwöchigen Trip drehen möchte. Zunächst sind Oma und Opa auch superlieb, aber dann geschehen immer mehr merkwürdige Dinge: Beccas jüngerer Bruder Tyler (Ed Oxenbould) entdeckt in einer Scheune einen großen Haufen vollgeschissener Windeln, nachts dringen furchterregende Kratzgeräusche ins Gästezimmer und Nana verlangt von Becca, dass sie ganz tief in den Backofen hineinkrabbelt, um auch noch die hinterste Ecke sauber zu bekommen…
Einen makabren Horror-Spaß wie „The Visit“ sollte man natürlich am besten mit Kumpels und `nem Bier genießen. Wir haben den Film hingegen (weil in einer Pressevorführung) mit `nem lauwarmen Kaffee morgens um Neun geschaut – und trotzdem haben uns die präzise platzierten Schockeffekte kalt erwischt! Aber nicht nur die Schreckmomente sitzen, auch abseits davon zieht Shyamalan die Spannungsschraube geschickt an, wenn er die Großeltern immer verstörendere Aussetzer produzieren lässt (die sie ihren Enkeln gegenüber zunächst noch glaubhaft mit einsetzender Demenz und Inkontinenz rechtfertigen): Vom kotbehafteten Windelhaufen über nächtliche Kotzattacken bis zum „Hänsel und Gretel“-Gedächtnis-Ofenputz gibt es gleich eine ganze Reihe von Szenen, die echt ungemütlich anzuschauen sind. Und zum Finale hin entpuppt sich „The Visit“ endgültig als kompromisslose Horror-Groteske mit Momenten, die es in dieser radikalen Form – immerhin gehen hier Kinder und Senioren aufeinander los - sicher nicht gegeben hätte, wenn von Anfang an eines der großen Hollywoodstudios an dem Projekt beteiligt gewesen wäre (Stichwort: Kühlschrank-Ausraster).
Aber nicht nur in dieser Hinsicht hat Shyamalan die Freiheiten eines aus eigener Tasche bezahlten Herzensprojekts genutzt, „The Visit“ ist nämlich zudem auch noch sein persönlichster Film seit „Das Mädchen aus dem Wasser“. Es ist schon ziemlich offensichtlich, dass da gerade der Autor selbst durch seine jugendlichen Protagonisten spricht, wenn diese über ethische Standards in Zeiten des Reality-TV und die geschickteste Mise en Scène diskutieren. Das dürfte vor allem für Fans des Regisseurs ein weiterer Anreiz sein, wobei einem Ed Oxenbould („Die Coopers – Schlimmer geht immer“) als Nachwuchs-Checker mit seinen improvisierten Ananaskuchen-Raps durchaus auch auf die Nerven fallen kann. Über jeden Zweifel erhaben ist hingegen Deanna Dunagan, sie ist der wahre Star des Films: Die für ihre Bühnen-Performance in „August: Osage County“ mit einem Tony Award ausgezeichnete Broadway-Ikone verwandelt sich von einem Augenblick auf den nächsten von der liebenswürdig-fürsorglichen Keksback-Oma in eine greise Psycho-Bitch allererster Güte. Hätten wir „The Visit“ als Kinder gesehen, hätten wir uns zweimal überlegt, ob wir Großmutti noch mal alleine besuchen wollen, egal wie lange sie uns vor der Glotze zu sitzen erlaubt.
Fazit: Die Schockeffekte sitzen, der Humor ist schön schwarz und einen Twist Marke Shyamalan gibt’s auch.