Das 19. und frühe 20. Jahrhundert hat einige der interessantesten Frauenfiguren der Literaturgeschichte hervorgebracht. Ein glückliches Leben war jedoch weder Fontanes „Effi Briest" oder Flauberts „Madame Bovary", noch Zolas „Thérèse Raquin" oder Tolstois „Anna Karenina" vergönnt. Vielmehr litten die großen Damen des geschriebenen Wortes unter festgefahrenen Lebensentwürfen und der Institution Ehe, in der sie eingeengt oder gleich unterdrückt wurden. Meist war es ihr unbedingter Freiheitsdrang, der sie an den Regeln einer restriktiven Männerwelt zerbrechen ließ. Effi starb am Kummer, Emma Bovary vergiftete sich mit Arsen und Anna K. legte sich auf Gleise vor einem herbeinahenden Zug. Auch in François Mauriacs 1927er Roman „Thérèse Desqueyroux" wird eine Frau in einer unglücklichen Ehe aufgerieben. Während die anderen Werke längst mehrfach und mit unterschiedlichem Erfolg verfilmt wurden, wurde das in Deutschland weitgehend unbekannte Werk bisher erst einmal, 1962, adaptiert. Nun hat sich Altmeister Claude Miller („Das Verhör", „Das Auge") des Stoffes angenommen – mit enttäuschendem Ergebnis. Weder kann er dem Buch neue Seiten abgewinnen, noch überzeugt sein Film als Ausstattungs- und Historienstück. Hier wird weder gewagt und gewonnen, noch gekonnt unterhalten, sondern lediglich bleiernes Kostümkino mit schicken Darstellern fabriziert.
Geliebt hat Thérèse (Audrey Tautou) ihren Gatten Bernard (Gilles Lellouche) nicht, als sie mit ihm vor den Traualtar getreten ist – schon im Kindesalter war sie dem etwas tumben, doch eigentlich herzensguten Sohn einer wohlhabenden Familie versprochen. Als Hölle entpuppt sich die Ehe dann zwar nicht, wohl aber als äußerst langweilige Angelegenheit. Bernard ist nicht nur ein einfältiger Macho, der sich bloß für die Jagd zu interessieren scheint, sondern obendrein ein anstrengender Hypochonder, mit dem zu leben immer mehr zur Nervenprobe wird. Auf familiären Druck hin jedoch offenbart er später auch scheußlich despotische Seiten, wenn er seine Schwester mit Gewalt von einer Liebesehe abbringt und auch Thérèse zunehmend offen aggressiv begegnet. Eines Nachts packt sie der Jähzorn und sie mischt dem wehleidigen Bernard eine Extraportion Arsen in die Medizin. Als der Mordversuch im Affekt auffliegt, beschließt die Familie, inklusive Bernard, den Vorfall zu vertuschen, was für Thérèse zum Beginn eines wahren Spießrutenlaufes wird.
Wie bei vielen Klassiker-Adaptionen wird auch bei „Thérèse Desqueyroux" auf gewichtige Darsteller gesetzt – hier liegen gleichermaßen Fluch und Segen dieser Mauriac-Verfilmung. Regisseur Miller schafft es nicht immer, seine ambitionierten und fähigen Mimen auf Kurs zu halten. Audrey Tautou zieht ihre bezaubernde „Amélie"-Show ab, lächelt verschüchtert und guckt verletzt-betrübt aus der Wäsche. Später ergeht sie sich in einer etwas starren Leidensperformance, die zwar funktioniert, aber nie berührt. So recht scheinen weder Autor noch Star zu wissen, was diese Heldin antreibt – keine gute Voraussetzung für eine Geschichte, die ganz und gar um sie herum aufgebaut ist. Gilles Lellouche als Bernard dagegen überzeugt: Er, der sonst gern als schneidiger, etwas schmieriger Womanizer („Kleine wahre Lügen") oder neuerdings auch als Actionheld („Point Blank - Aus kurzer Distanz") besetzt wird, schafft es den Unsympathen mit ungeahnter Tiefe und mit einer Tragik zu versehen, die man der Figur kaum zugestehen will.
Bernard wirkt wie ein großes Kind, das die Bedürfnisse seiner Gattin und seiner Schwester, ja der Frauen überhaupt, nicht greifen kann. Er registriert das Unglück ohne es zu verstehen und macht selbst in seinen Schurkenszenen noch deutlich, dass hier letztendlich nicht er, sondern die Institutionalisierung zwischenmenschlicher Beziehungen am Pranger steht. In diesem Sinne bringt Lellouche noch in seiner letzten Szene eine unbeholfene Zärtlichkeit zum Ausdruck, die seine Figur mehrdimensionaler wirken lässt als die der Heldin Thérèse. An ihm wird im europäischen Kino bald kein Weg mehr vorbei führen – sehr wohl aber an „Thérèse Desqueyroux", einem Film, der einfach so vorbeizieht, ohne echte Höhepunkte, ohne packende Dramatik oder inszenatorische Finesse. Emotionslos geht es von einem Handlungsschritt zum nächsten, dabei verharrt der im April 2012 vor der Premiere des Films beim Festival in Cannes verstorbene Miller gelegentlich in seltsam ausgewalzten Szenen und überspringt dann wieder gleich ein ganzes Jahr. Herausgekommen ist eine Literaturverfilmung der drögen Art, die zwar kompetent fotografiert ist, jedoch keine Funken schlägt und kaum im Gedächtnis bleibt.
Fazit: Mit „Thérèse Desqueyroux" adaptiert Altmeister Claude Miller einen der bewegendsten Romane des 20. Jahrhunderts, ohne dabei aber die emotionale Dringlichkeit der Vorlage zu erreichen. Wirklich sehenswert ist hier bloß Gilles Lellouche und damit ausgerechnet der Antagonist in einer klassischen Emanzipationsgeschichte.