Für den Tuareg Ibrahim gibt es keinerlei Alternative zum Leben in Afrika. Obwohl die Wüste, die sie mit ihren Karawanen Jahr für Jahr durchqueren, ihnen nahezu alles abfordert, sind die Nomaden derart fest mit dem Land, in das sie geboren wurden, verbunden, dass sie es niemals verlassen würden. Die Wüste und die kleinen Ortschaften, die sie säumen, sind ein Teil ihrer Identität. An jedem anderen Ort der Welt verlören sie ihren Halt. Deswegen kann Ibrahim all die, die sich Tag für Tag aufmachen, ihre Heimat südlich der Sahara verlassen und unter Einsatz ihres Lebens versuchen, nach Europa zu kommen, nicht verstehen. Ihnen hält er eine Vision von einem Afrika entgegen, in dem die Menschen das Geld und die Kraft, die sie auf die Reise nach Europa oder Amerika verwenden, in ihr eigenes Land investieren. Zu sagen, der spanische Dokumentarist und Filmemacher Gerardo Olivares („Das größte Spiel der Welt") teile Ibrahims Traum, ginge zu weit. Aber sein mehr als nur dokumentarisch angehauchtes Road Movie „14 Kilometer – Auf der Suche nach dem Glück" illustriert überaus anschaulich die Idee des Tuaregs. Olivares' Flüchtlinge haben ohne Frage gute Gründe für ihren Aufbruch nach Europa, aber letztlich ließen sich ähnlich gute Gründe für ihr Bleiben – in Afrika, nicht in den Verhältnissen, in denen sie leben mussten – finden.
Der jungen Violeta (Aminata Kanta) bleibt nur die Flucht aus ihrem kleinen Heimatdorf in Mali. Ihre Eltern wollen sie an einen alten Mann verheiraten, der sie schon seit langem bedrängt hat. Also sucht sie Hilfe bei einer Freundin, die ihr rät, auf dem Fluss Richtung Niger zu fahren und von dort weiter zu ziehen. Der in Niger geborene und lebende Mechaniker Bouba (Adoum Moussa) will eigentlich gar nicht weg aus seiner Heimat. Er setzt all seine Hoffnungen in sein enormes fußballerisches Talent. Nur hat sich noch nie ein einflussreicher Spielerbeobachter in das ärmste Land Afrikas verirrt. Sein älterer Bruder Mukela (Illiassou Mahamadou Alzouma) hat dagegen einen ganz anderen Traum: Er will nach Europa, dort findet sich dann sicher auch ein großer Verein für Bouba. Der gibt schließlich nach, und so treten sie gemeinsam die lange, beschwerliche Reise an. Auf ihrem Weg begegnen sich Violeta und die beiden Brüder zunächst in einer Bar, später dann in einem überfüllten Transporter. Wirklich näher kommen sie sich aber erst, als sie versuchen, zu Fuß die Teneré-Wüste zu durchqueren.
Bevor er mit „Das größte Spiel der Welt" ins Spielfilm-Fach gewechselt ist, hat Gerardo Olivares schon zahlreiche Dokumentation und ethnographische Filme für internationale Fernsehsender gedreht. Bei einer Arbeit über die Salz-Karawanen, die zwei Mal im Jahre die Teneré-Wüste durchqueren, ist er 2005 nicht nur auf den Tuareg Ibrahim, sondern auch auf die unzähligen Immigranten gestoßen, die alles riskieren, um in kleinen Booten von Nordafrika an die spanische Küste zu segeln. Aus ihren Schicksalen und ihren Geschichten ist „14 Kilometer – Auf der Suche nach dem Glück" heraus entstanden. Immer wieder treten diese Namenlosen, die auf ein besseres Leben in Europa hoffen, selbst auf – vor allem in den Straßenszenen, die Olivares wie für einen Dokumentarfilm gedreht hat. In diesen Momenten blitzt der Film auf, der „14 Kilometer" durchaus hätte werden können: ein eindringliches Dokument eines nicht enden wollenden Exodus, der letztlich nur Verlierer kennt.
Doch Olivares begnügt sich nicht mit seinem dokumentarischen Blick, der seine drei Protagonisten fest in unserer Welt wie auch unserer Zeit verankern könnte. Dabei passt er perfekt zu der offenen Road-Movie-Struktur des Films. Nur will der spanische Filmemacher mehr als einen Zustand beschreiben, er sehnt sich nach großen Gefühlen, märchenhaften Wendungen und einer fast schon naiv zu nennenden Poesie. Also ertönen auf dem Soundtrack Stücke des Spaniers Santi Vega und das Senegalesen Youssou N'Dour – Weltmusik für einen Film der gerne Weltkino wäre. Irgendwie passt deren folkloristische Sentimentalität sogar zu Olivares Märchen-Entgleisung. Natürlich muss ein Filmemacher nicht realistisch erzählen, wie sich die Menschen in der Wüste verlieren, wie sie Opfer korrupter Beamter und skrupelloser Geschäftemacher werden. Aber es reicht eben auch nicht all die furchtbaren Situationen, in die afrikanische Immigranten auf ihrem Weg zur spanischen Küste beinahe zwangsläufig geraten, einmal kurz heraufzubeschwören, um sie dann einfach zu übergehen.
Alles löst sich in „14 Kilometer" irgendwann wieder in Wohlgefallen auf. Bouba wird bei seinem ersten Versuch, von Algerien nach Marokko zu kommen, erwischt und wieder abgeschoben. Einige Einstellungen später ist er dann schon an seinem Ziel. Das klingt zwar nach erzählerischer Ökonomie, erweist sich letzten Endes aber als filmische Luftbuchung. Olivares manipuliert einfach seine Zahlen, frisiert die cineastischen Abrechnungen und betrügt so sein Publikum. Die wundersamen Wege, die Violeta gleich mehrfach davor bewahren, als Zwangsprostituierte zu enden, sind natürlich genauso unerfindlich wie die Gottes. Selbst diese seltsamen Wendungen hätten aufgehen können, schließlich spiegelt sich in Olivares Bildern aus der Wüste eine ebenso magische wie tödliche Welt. Das teils fast in ein göttliches Weiß übergehende Blau des Himmels und das strahlende Gelb des Sandes sind auf jeden Fall Märchen-Farben. Doch wenn er so brachial und gedankenlos wie Olivares vorgeht, verliert selbst ein Märchenerzähler jede Glaubwürdigkeit. In dem Bestreben die Geschichte von Violeta, Bouba und Mukela mit Poesie zu erfüllen und so die Wirklichkeit zu transzendieren, raubt Olivares seinem Drama jegliche Relevanz.