Ende der 1980er Jahre schien es so, als wäre die große Zeit des abendfüllenden Walt-Disney-Zeichentrickfilms endgültig vorbei, nachdem Werke wie „Taran und der Zauberkessel“ (1985), „Basil, der große Mäusedetektiv“ (1986) oder „Oliver & Co.“ (1988) sich als kommerzielle und/oder künstlerische Enttäuschungen entpuppt hatten. Doch dann gelang den kreativen Köpfen des Mäuseimperiums zum Ende der Dekade ein Befreiungsschlag mit viel Musik: „Arielle, die Meerjungfrau“ sorgte unter der Regie von John Musker und Ron Clements für zeitgemäßen frischen Wind und weckte zugleich schöne Erinnerungen an die Evergreens früherer Jahrzehnte. Rückblickend kann die freie Verfilmung von Hans Christian Andersens Märchen „Die kleine Meerjungfrau“ als Auftakt einer neuen Ära des handgezeichneten Disney-Films gelten, dem in den 1990er Jahren noch weitere Perlen wie „Die Schöne und das Biest“ (1991) oder „Der König der Löwen“ (1994) folgen sollten, die ganz wie „Arielle“ inzwischen längst zu Klassikern geworden sind.
Die Meerjungfrau Arielle (Stimme im Original: Jodi Benson) wünscht sich nichts sehnlicher als ein Mensch zu sein, sehr zum Verdruss ihres Vaters Triton (Kenneth Mars), dem König des Unterwasserreichs. Statt das Meeresvolk mit ihrer zauberhaften Singstimme zu unterhalten, ist Arielle lieber mit ihrem Freund Fabius (Jason Marin), einem ängstlichen Doktorfisch, unterwegs und geht ihrer Sammelleidenschaft für gesunkenes Menschengut nach. Als Arielle ihrem Vater gesteht, sich bei einem Ausflug an die Wasseroberfläche in den Prinzen Erik (Christopher Daniel Barnes) verliebt zu haben, kommt es zu einem folgenschweren Streit. Trotz der Vermittlungsversuche von Hofmusikantenkrabbe Sebastian (Samuel E. Wright) lässt sich Arielle auf einen Deal mit der durchtriebenen Meerhexe Ursula (Pat Carroll) ein: Diese verwandelt die Meerjungfrau zwar wie gewünscht in einen Menschen, doch nur wenn Arielle innerhalb von drei Tagen den Kuss der wahren Liebe von Prinz Erik erhält, bleibt die Verwandlung von Dauer – ansonsten wird sie wieder zur Meerjungfrau und verliert ihre Seele an Ursula. Und als wäre das nicht Herausforderung genug, muss Arielle die Verwandlung zudem mit ihrer wunderschönen Stimme bezahlen und den Prinzen somit wortlos von sich überzeugen…
Mit „Arielle“ realisierten die Walt Disney Animation Studios zum ersten Mal seit „Dornröschen“ im Jahre 1959 wieder einen Film, der auf einem klassischen Märchen basiert, wobei die vergleichsweise düstere Geschichte ein wenig „disneyfiziert“ wurde. Dass der kleinen Meerjungfrau in Andersens Original ein Happy End mit dem Prinzen versagt bleibt und sie sich stattdessen in Meeresschaum verwandelt, wollte man dem Zielpublikum verständlicherweise nicht zumuten. Stattdessen belebte man eine zur Entstehungszeit des Films ziemlich stiefmütterlich behandelte Disney-Tradition neu: Songs! Das Duo Alan Menken (Komposition) und Howard Ashman (Texte) sorgte für einen fantastischen Soundtrack und wurde für seine Arbeit prompt mit Oscars und Grammys belohnt. Vor allem das vom karibischen Calypso geprägte Lied „Under the Sea“, mit dem Sebastian Arielle den Verbleib in der Meereswelt schmackhaft machen will, ist ein absoluter Showstopper und ein echter Ohrwurm - egal ob auf Englisch oder in einer der beiden deutschen Synchronfassungen, die auf den neuesten DVD- und Blu-ray-Veröffentlichungen beide enthalten sind.
Doch nicht nur die schmissigen Songs und die tolle Arbeit der Sprecher machen „Arielle“ zum zeitlosen Familienvergnügen, auch visuell gibt es einiges zu bestaunen: Neben den mit viel Liebe zum Detail gezeichneten Figuren beeindruckt vor allem die Animation der Unterwasserwelt, mit der die Zeichner und Effektkünstler seinerzeit neue Standards gesetzt haben. Besonders mitreißend ist die aufwändige, actiongeladene Sequenz, in der Prinz Eriks Schiff auf offenem Meer in einen Sturm gerät. Mit welch imposanter Wucht hier die Naturgewalten auf unsere Helden einwirken, kann sich auch heute noch sehen lassen. „Arielle, die Meerjungfrau“ braucht den Vergleich mit anderen Disney-Klassikern in vielerlei Hinsicht nicht zu scheuen, aber seine anhaltende Popularität verdankt er vor allem zwei fantastischen Nebenfiguren: Die schrullige Krabbe Sebastian verbreitet auf unnachahmliche Weise gute Laune, während die intrigante Meerhexe Ursula es mühelos mit Kult-Antagonistinnen wie Cruella de Vil („101 Dalmatiner“) oder Malefiz („Dornröschen“) aufnehmen kann. Im Vergleich dazu wirken die Protagonisten Arielle und Erik geradezu blass, aber das ändert nichts daran, dass der Film den Test der Zeit locker bestanden hat - ganz wie es sich für ein gutes Märchen gehört.
Fazit: Eine zeitlose Story, zum Mitsingen einladende Songs und grandiose Nebenfiguren sorgen generationsübergreifend für Begeisterung.
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