In der Kinoverfilmung von „Jagd auf Roter Oktober" wendet der von Sean Connery gespielte U-Boot-Kapitän Ramos ein taktisches Manöver an, das in Fachkreisen wegen seiner sowjetischen Erfinder als „Irrer Iwan" bezeichnet wird. Die waghalsige Scharade kann nur derjenige erfolgreich anwenden, der die Nerven behält, wenn es richtig zur Sache geht – so wie der kühl kalkulierende Glücksritter Ramos. Diesem Anforderungsprofil entsprechen indes nicht nur besonders abgezockte Seebären, sondern auch der Filmemacher John Moore („Max Payne", „Der Flug des Phönix"). Der Ire ist ebenfalls ein tollkühner Hasardeur, der genau weiß, was er tut: Der eigensinnige Kinoästhet pfeift im Zweifelsfall auf die Story und kanalisiert alle Energie in seiner brillanten Inszenierung. So hält er es auch bei seiner Arbeit am fünften Teil der „Die Hard"-Reihe: „Stirb langsam - Ein guter Tag zum Sterben" ist ein hervorragend in Szene gesetztes Actionfilm-Konzentrat, bei dem der Regisseur wenig Augenmerk auf die Feinheiten von Handlung und Figuren legt. Zum 25-jährigen Dienstjubiläum von Bruce Willis als hartgesottener New Yorker Cop John McClane vollführt Moore so etwas wie einen filmischen „Irren Iwan" und lässt in der modernen Goldgräberstadt Moskau den kinetischen Wahnsinn von der Leine – frei nach dem inoffiziellen Motto des 80er-Jahre-Hollywood-Action-Kinos: „Verrückte Russen gehen immer".
Eigentlich hat John McClane (Bruce Willis) Urlaub, aber wenn es irgendwo Ärger gibt, ist der New Yorker Polizist erfahrungsgemäß nicht weit. Als McClane erfährt, dass sein Sohn Jack (Jai Courtney) in Moskau verhaftet wurde, weil er jemanden getötet haben soll, macht sich der besorgte Vater umgehend auf in die russische Metropole, um seinem Spross vor Gericht beizustehen - und das obwohl die beiden nie ein gutes Verhältnis zueinander hatten und seit Jahren keinen Kontakt mehr pflegen. Deshalb hat McClane auch keinen blassen Schimmer, dass der Junior als Undercover-Agent für die CIA arbeitet. Jack soll den aufgrund fadenscheiniger Beweise als Verräter inhaftierten Komarov (Sebastian Koch) außer Landes schaffen, denn der besitzt brisante Informationen, die die russische Regierung in arge Bedrängnis bringen könnten. Während des Prozesses gegen Komarov schlägt die CIA zu – der Angeklagte und der als Zeuge auftretende Jack können gemeinsam fliehen. Mitten in das Chaos des Ausbruchs platzt der nichtsahnende John McClane und schließt sich den beiden Flüchtigen an, denen Regierung und Unterwelt gleichermaßen an den Fersen kleben. Die Hatz führt quer durchs Land zum vermeintlichen Versteck von Komarovs geheimen Infos...
Der Action-Klassiker „Stirb langsam" machte aus Bruce Willis 1988 einen Superstar, die erste Fortsetzung „Stirb langsam 2" folgte 1990 entsprechend schnell und fünf Jahre danach schlüpfte Willis in „Stirb langsam - Jetzt erst recht" erneut in seine ikonische Paraderolle. Im Anschluss war der Haudegen seines Images überdrüssig und es bedurfte erst einer siebenjährigen Durststrecke ohne Superhit, um Willis von einem Comeback als rustikaler Cop in „Stirb langsam 4.0" (2007) zu überzeugen. Auch nach der langen Pause erwies sich John McClane als Kassenmagnet und so gab es bald Pläne für weitere Sequels. Für Teil 5 gehen die Produzenten wie schon im vierten Film neue Wege und krempeln das „Stirb langsam"-Konzept erneut radikal um - ein so langlebiges Franchise braucht schließlich immer wieder neue Impulse. Nach wenigen Szenen in New York wird die komplette Handlung nach Russland verlegt – nicht zufällig in ein Land mit einem aufstrebenden Kinomarkt. Der neu engagierte Regisseur John Moore bekam für seine Umsetzung weitgehend freie Hand und setzt allein durch seinen dynamischen Inszenierungsstil völlig neue Akzente, die nicht jedermanns Sache sind.
Nachdem die ersten vier Filme der Reihe jeweils gut zwei Stunden lang waren, verknappt John Moore „Stirb langsam - Ein guter Tag zum Sterben" brutal auf für heutige Blockbuster-Verhältnisse ungewöhnlich kurze 97 Minuten. Die allerdings sind dicht vollgepackt mit spektakulären Actionszenen, es gibt so gut wie keinen Stillstand. Die wenigen Verschnaufpausen sind taktisch clever gewählt, in den kurzen Erholungsphasen bereitet Moore schon die nächste Actionwelle vor und bewahrt die Zuschauer vor dem Hyperventilieren. Dabei ist nicht nur die pure Überwältigungskraft der Bilder bemerkenswert, sondern auch die Qualität und der Einfallsreichtum der gnadenlosen Prügel- und Ballerexzesse. Gleich die erste Verfolgungsjagd auf den stark befahrenen Straßen Moskaus hat epische Proportionen und Moore legt die Messlatte mit irren Stunts und atemberaubenden Manövern ganz weit nach oben - aber wer glaubt, dass danach nichts ähnlich Gutes mehr kommen kann, der irrt.
Kameramann Jonathan Sela („Gesetz der Rache", „Max Payne") sorgt mit Hochglanzbildern und harten Kontrasten für die gewohnte rustikal-schicke Optik in John Moores Dauer-Action-Universum, in dem auch die Annäherung zwischen Vater und Sohn inmitten von Kämpfen und Schießereien stattfindet. Hier geht es darum, fiesen Schurken mit Feuer- und Muskelkraft den Garaus zu machen und das Ganze gelegentlich mit einem flotten Spruch zu garnieren, während der extrem hanebüchene Plot um Nuklearwaffen, Tschernobyl und Hochverrat ebenso unsinnig wie nebensächlich ist. Unfreiwillig komisch wirken dabei allerdings einige Szenen in der spektakulären Kulisse der Reaktorruine von Tschernobyl, wo uns eine ganz neue Art präsentiert wird, mit radioaktiver Strahlung umzugehen. Wer sich von diesem Quatsch nicht den Spaß vermiesen lässt, wird an „Stirb langsam - Ein guter Tag zum Sterben" seine Freude finden.
Inhaltlicher Humbug wie er in der Tschernobyl-Sequenz aufgetischt wird, ist durch das Konzept der radikalen Beschleunigung schnell vergessen. Doch diese Hochgeschwindigkeitserzählweise hat auch einige Schattenseiten. So weist der fünfte Teil der Action-Reihe den geringsten Anteil „Stirb langsam"-DNA von allen auf. Die Figur des John McClane ließe sich ohne größere Probleme durch eine andere ersetzen, ohne dass dies dem Film unbedingt schaden würde. Das liegt auch daran, dass Bruce Willis‘ berühmte Oneliner nicht mehr die frühere Qualität erreichen, dass der unvermeidliche „Ich bin doch nur im Urlaub"-Gag so häufig wiederholt wird, ist dafür das offensichtlichste Beispiel. Der Schachzug jedoch, Willis neben der Tochter Lucy (Mary Elizabeth Winstead kehrt in kurzen Szenen an Anfang und Ende zurück) einen kampfkräftigen Sohnemann an die Seite zu stellen, geht auf. Der kantige Australier Jai Courtney („Jack Reacher", „Spartacus: Blood And Sand") ist glaubwürdiger in seiner Rolle als die 2.0-Variante von Ersatz-Sohn, die Justin Long in „Stirb langsam 4.0" verkörperte. Courtney muss sich mit seiner körperlichen Präsenz und männlichen Ausstrahlung nicht hinter Willis verstecken. Der wiederum ist mit inzwischen 57 Jahren keineswegs zu alt für die Rolle, profitiert aber von dem schlagkräftigen Geleitschutz Courtneys, der einige Actionbrocken von ihm übernimmt.
Willis und Courtney sehen sich einer wahren Armee praktisch gesichtsloser Verfolger gegenüber, an der Seite der Helden überzeugt der Deutsche Sebastian Koch („Das Leben der Anderen", „Unknown Identity") als russischer Zankapfel Komarov mit Zurückhaltung und Understatement, was sich wohltuend von den überkandidelten Bösewichten abhebt. Über die Figur des Komarov schmuggelt Schlitzohr Moore sogar noch eine Spur thematischer Komplexität in den Film, die angesichts der beliebig zusammengeschusterten Handlung überraschend kommt: So offensichtlich wie alles zu Beginn scheint, ist es dann nämlich nicht und auch der Blick auf Russland und seine Regierung erweist sich als nicht so eindeutig wie gedacht.
Fazit: Minimum an Story, Maximum Action! Regisseur John Moore jagt die Helden-Ikone John McClane in seinem inszenatorisch brillanten und inhaltlich hohlen „Stirb langsam – Ein guter Tag zum Sterben" in allerhöchstem Tempo an spektakulären Schauplätzen durch noch spektakulärere Action-Szenen.