Die Geschichte der Musikvideos ist vergleichsweise jung, feiert sie doch in wenigen Monaten erst ihr 25-jähriges Bestehen. Am 1. August 1981 ging MTV mit der Ausstrahlung von „Video Killed The Radio Star“ der Gruppe „The Buggles“ in den USA auf Sendung. Während bei MTV inzwischen durch einige ungleich aufwendiger produzierte Clips die Klingeltonwerbung unterbrochen wird, hat sich Regisseur Bastian Clevé einer etwas intellektueller angehauchten Visualisierung gewidmet, die nach ihrem Kinostart wohl am ehesten noch über arte das elektronische Licht der Fernsehwelt erblicken dürfte. Clevé, der die Verfilmung von „Soweit die Füße tragen“ produzierte und aus Josef Martin Bauers Roman die Drehbuchgrundlage dafür schuf, führte nach verschiedenen prämierten Kurzfilm- und Fernsehproduktionen jüngst Regie bei diesem ungewöhnlichen Projekt. „Klang der Ewigkeit“ heißt das 115-minütige Opus, das Johann Sebastian Bachs berühmte h-Moll-Messe bildlich untermalt.
Über mehr als ein Vierteljahrhundert, von 1733 bis 1748 vom Komponisten immer wieder aus- und umgearbeitet, war diese ursprünglich gar nicht als Gesamtwerk gedacht und wurde erst zu Ende seiner Lebzeit zu einer vollständigen Messe – einer „missa tota“. Die sprengte allerdings mit ihren 27 Sätzen den Umfang der Liturgie, sodass Bach selbst nicht der Zeuge einer Gesamtaufführung werden konnte, die erst 1835 – also 85 Jahre nach seinem Tod – in Berlin stattfand. Keine Frage, ein solch umfangreiches und religiöses Werk, das die römisch-katholische Messordnung („Ordinarium Missae“) als Textgrundlage verwendet, auf Spielfilmlänge zu verbildlichen und den Zuschauer bei der Stange zu halten, ist keine leichte Aufgabe. Die diversen Schwierigkeiten eines solchen Projekts sind dem „Klang der Ewigkeit“ schließlich auch fast auf ganzer Linie anzumerken, vor allem, weil es technisch zu oft hakt. Geboten wird eine immense Collage, die zu versuchen scheint, sich des gesamten irdischen und überirdischen Daseins durch das stichwortartige Abklappern von Eindrücken quintessenziell zu bemächtigen.
Die Bandbreite des etwas pseudo-dokumentarisch Realgefilmten umfasst dabei religiöse Schlüsselmomente wie Geburt und Hochzeit ebenso wie die Wanderung durchs gelobte Land und den brennenden Dornenbusch. Auch die Natur wird als Gottes Schöpfung in zahlreichen Kamerafahrten durch Winter, Wüste und Wasser zelebriert. Ein Adler schwebt majestätisch über einem Bergmassiv, eine Schneeflocke tanzt im Rhythmus der Musik durch die Luft (hübsch!) und dient als Raumknoten für eine lange Kamerafahrt in eine beleuchtete Hütte in der Nacht, in der Mutter und Neugeborenes bei Kerzenlicht umsorgt werden. Dann und wann wird, wie um das Wunder Gottes noch einmal unmissverständlich in seiner Schönheit hervorzuheben, das Ganze noch mit einem deplazierten und kitschigen Regenbogen garniert. Doch auch die Schattenseiten und Gegensätzlichkeiten unserer Existenz werden zumindest gestriffen in (zum Teil historischen) Bildern, die Armut, Schmutz und Elend in Ghettos sowie Krieg, Tod und Verlust ins Blickfeld rücken. Etwas plakativ symbolisch aber interessant anzusehen: eine Sequenz, die prächtige Skulpturen und opulente Malereien eines Kircheninneren mit Astronauten in Weltraumanzügen kombiniert und Religion und Kultur dem wissenschaftlichen Fortschritt gegenüberstellt. Neben prachtvoller Innenarchitektur werden dem bewundernden Auge auch einige barocke Gemälde vorgeführt, die zum Teil nachträglich mit sich bewegenden Figuren und Objekten mehr oder minder gelungen zum Leben erweckt wurden.
Im Kontrast hierzu stehen die bildschirmschonerartigen Sequenzen, die durch Überblendungen und Spiegelungen zum Teil hypnotische Bilder erzeugen. Da wandern undefinierbare Strukturen in blau und grün horizontal und vertikal durcheinander und erzeugen sekündlich neue Formen und Bewegungen, je nachdem, ob das Auge gerade in die Mitte oder in eine der beiden Bildhälften schaut. Diese Beschreibung mag dem einen oder anderen an das bekannte Plug-In Geiss für Winamp erinnern und sieht auch ein bisschen so aus – nur besser. Leider wird die hohe Qualität dieser Texturbilder, die manchmal ganz zum Schluss und zur Verblüffung des gerade noch Hypnotisierten ihre rätselhafte Quelle preisgeben, nicht durchweg gehalten. Minutenlang die einfarbigen Silhouetten von Vögeln zu beobachten, die sich am Ende in christliche Kreuze verwandeln, vermag nicht über die Dauer der Zeit zu fesseln.
Während oder vielleicht gerade weil der Großteil der Bilder nicht wirklich zu überraschen weiß, erstaunt umso mehr eine Einlage, die bislang überwiegend den Freunden des HipHops ein Begriff war. Mehrere Minuten lang liefern einige junge Männer zu einem der flotteren Sätze einen akrobatischen Breakdance ab (wohlgemerkt, wir reden hier immer noch von Bach-Musik) und das funktioniert im Prinzip richtig gut und viel besser, als man vielleicht annähme. Zu schade deshalb, dass mit einem Schnitt, der stellenweise die nötige rhythmische Präzision vermissen lässt, das Potential vor die Hunde geht und auch diese Szene im Ganzen nicht überzeugen kann. Und als ob man noch einmal zeigen wollte, dass man sogar noch moderner sein kann, folgt einige Minuten später eine stroboskopartig montierte Sequenz, die einige Kinder beim Fußballspielen zeigt und ein Freudenfest für jeden Epileptiker sein dürfte.
Wie gesagt, klassische Musik mit einer ansprechenden Verbildlichung auf die Leinwand zu bringen, ist ein Unterfangen, das wohl gleichermaßen lobenswert wie problematisch ist. So wird der „Klang der Ewigkeit“ trotz einiger guter Ideen und optischer Schmankerl aufgrund der zahllosen Stolpersteine kaum jemanden zu Jubelschreien motivieren. Zum einen liegt im Konzept selbst schon der Hase im Pfeffer. Offensichtlich hat man mit einem möglichst heterogenen Feld an inhaltlichem und filmischen Machwerk vergeblich zu vermeiden versucht, dass aus der sprichwörtlichen eine tatsächliche Ewigkeit wird. Die verschiedenen Abschnitte des Films lassen daher einen roten Faden vermissen und wirken stellenweise wie unmotiviert zusammengewürfelt. Während sich über dieses Kontrastprogramm noch streiten ließe, sind es zum anderen und vor allem die technischen Unzulänglichkeiten, die – sei es aus Mangel an Geld, Kompetenz oder Zeit – dem überlangen Klassikclip endgültig das Genick brechen. Die Computeranimationen aus dem Hause „Artus“ entlarven sich zu oft als künstlich und unprofessionell. Einige Figuren gleiten in den animierten Gemälden wie auf Schienen montiert durch ihren barocken Hintergrund und die Bildverformungen aus dem Trickkasten der Ludwigsburger Postproduzenten scheinen den Mangel an Spannung im Bild selbst wettmachen zu wollen und erwecken den Eindruck eines Hobbyfilmers, der gerade enthusiastisch die Filterkiste von seinem neuen Schnittprogramm durchgeklickt hat. Außerdem, liebe Leute – Gesichtermorphs waren vor zehn Jahren noch spannend, als „Kais Powergoo“ auf den Markt kam, und können heute wirklich keinen mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Auch nicht, wenn es noch so sehr um Völkerverständigung geht (Frau und Mann, jung und alt, schwarz und weiß und so weiter und so fort).
Die real gefilmten Szenen können diesen Ausfall nicht kompensieren. Die Kamerafahrten an Wandmalereien und Bildhauerwerken sind einfach zu lang und zu sehr Urlaubsvideo. Den Schauspielern steht „Laie“ oft auf die Stirn tätowiert, sodass sich unfreiwillige Komik ergibt, wo es denkbar unpassend ist. Zu nennen ist da zum Beispiel die wohl traurig gemeinte Szene, in der eine junge Frau den Verlust ihres vermutlichen Vaters beklagt, diesen aber dermaßen unsensibel oft und gekünstelt wütend schüttelt, dass man eher losprustet, anstatt eine Träne zu verdrücken. Unbeholfene oder gar unabsichtliche Anleihen bei Kollegen aus Experimental-, Dokumentar- und Spielfilm setzen noch das I-Tüpfelchen auf. So fragt man sich, was wohl das aus Schindlers Liste bekannte Mädchen im roten Kleid auf farbgebleichtem Hintergrund hier eigentlich soll und auch die Kameraflüge über Hochhäuser und Gebirge wirken leider nur wie „Koyaanisqatsi“ auf Valium.
Letztlich wundert man sich also nicht mehr, warum auf der filmbegleitenden Homepage nur Lobhudeleien über Regisseur Bastian Clevé zu finden sind, die Ende der 70er Jahre datieren –zumindest der „Klang der Ewigkeit“ ist definitiv nicht in einer seiner Sternstunden entstanden. Deshalb bleibt nur eine nette Idee, die leider von wenigen Momenten abgesehen völlig im Sande verläuft: zu langweilig, zu plakativ, zu kitschig, zu unausgegoren, zu abgedroschen. Freunde der klassischen Musik sollten den Eintrittspreis für Kinokarte oder DVD dringend ins Sparschwein werfen und lieber auf das nächste Bach-Konzert in die Kirche gehen.