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    Im Schatten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Im Schatten
    Von Björn Becher

    Mit Ferien verabschiedete sich Thomas Arslan, einer der zentralen Filmemacher der Berliner Schule, für kurze Zeit aus der Bundeshauptstadt und brachte seine Figuren in der Uckermark zusammen. Dabei war Arslan wie kaum ein anderer Regisseur jener Stilrichtung bislang mit Berlin verbunden. Die aus den Filmen „Geschwister Kardesler“, „Dealer“ und „Der schöne Tag“ bestehende Trilogie über jugendliche und gerade erwachsene Deutsch-Türken war klar in Berlin verortet, Arslan machte die Stadt gar zu einer Art zusätzlichem Hauptdarsteller. Als zentraler Schauplatz diente meist Kreuzberg. Rund um das Kottbusser Tor wurden Drogen gedealt und Prügeleien angefangen. Mit dem nicht nur formal eindrucksvollen „Im Schatten“ ist Arslan nun zurück, doch es ist eine andere Stadt geworden und der in Braunschweig geborene sowie in Essen und Ankara aufgewachsene Regisseur wählte diesmal auch ganz andere Handlungsorte. Das verdeutlicht schon die erste Szene im nobleren, glitzernden Teil der Friedrichstraße. Kurz darauf ist wie so oft bei Arslan die Aufnahme einer U-Bahn-Haltestelle zu sehen: Stadtmitte! Ist das ein Zeichen? Drängt nun auch die von der Kritik zu Recht bejubelte, vom Gros des Kinopublikums unterdessen ignorierte Berliner Schule in die Mitte, hin zum Mainstream? „Im Schatten“ ist auf jeden Fall lupenreines Genre-Kino, eine Räuberpistole, aber nicht ohne die punktgenauen Beobachtungen, die man von Arslan kennt und erwarten darf.

    Nach fünf Jahren Haft kommt Gangster Trojan (Misel Maticevic) aus dem Knast. Er will schnell zu Geld kommen und sucht seinen alten Kompagnon Bauer (Peter Kurth) auf, den er damals nicht verpfiffen hat. Der wimmelt ihn zwar ab, aber Trojan kann sich wenigstens 10.000 Euro und eine Knarre aneignen. Auch sein alter „Geschäftspartner“, der Planer (Hanns Zischler), hat ihm nicht viel zu bieten. Nur ein Juwelierüberfall steht an, den der vorsichtige Trojan aber absagt, als er erkennt, dass seine Partner ein Alkoholiker und ein Junkie sind. Da tritt die Anwältin Dora Hillmann (Karoline Eichhorn) mit einer verlockenden Idee auf den Plan. Geldtransporterfahrer Krüger (David Scheller) kutschiert angeblich mehr als eine Million Euro durch die Gegend und will sich gegen Beteiligung überfallen lassen. Trojan überredet seinen alten, eigentlich ehrlich gewordenen Kumpanen Nico (Rainer Bock) dazu, mit einzusteigen. Es scheint eine todsichere Sache zu sein. Doch Trojan ahnt nicht, dass der korrupte Bulle Meyer (Uwe Bohm) ihm auf den Fersen ist. Und auch Bauer hat seine Häscher ausgesandt, die dafür sorgen sollen, dass man nie mehr etwas von Trojan hört.

    Die Filme der Berliner Schule zeichnen sich meist durch einen reduzierten und ruhigen Erzählton aus, nüchtern werden Realität und Alltag eingefangen. Auch „Im Schatten“ reiht sich hier ein, der sich aber dennoch spürbar von den meisten Werken Arslans und seiner gleichgesinnten Kollegin unterscheidet, da der Regisseur eine Brücke zum Genrefilm schlägt. Der Protagonist Trojan erinnert ein wenig an Lee Marvins Walker aus Point Blank. Wenn er von seinem einstigen Kompagnon Bauer, der sich mittlerweile eine Organisation aufgebaut hat, übers Ohr gehauen wird und seinen Anteil an der Beute nicht bekommt, liegt für einen kurzen Moment der Start einer ähnlichen Racheaktion wie in Boormans Neo-Noir-Thriller in der Luft. Doch Arslans Trojan ist ein Gangster, wie er wirklich in Berlin durch die Straßen ziehen könnte und keine gnadenlose Ein-Mann-Armee. Er ist ein Pragmatiker, der keinen Sinn darin sieht, sich mit überlegenen Gegnern anzulegen und lieber einen neuen Coup durchzieht, um das nötige Kleingeld für sein Verschwinden aus der Stadt zusammenzubekommen. Doch wenn ihm jemand auf die Pelle rückt, dann ist er kompromisslos. So gibt es in „Im Schatten“ auch mehr Tote als bei der Mehrzahl der anderen Berliner-Schule-Filme zusammengenommen. Einmal wird sogar in Großaufnahme eine Wand mit blutiger Gehirnmasse tapeziert. Doch Arslan geriert sich nicht als Berliner Tarantino, „Im Schatten“ ist kein Reservoir Dogs. Trojan wird von einem Hauch Coolness umweht, aber das ist nur eine Seite einer komplexen Figur. Immer wieder setzt Arslan perfekt stilisierten Genremomenten nüchtern-ruhige Szenen entgegen. In langen Einstellungen entfaltet er eines seiner Hauptmotive: das Beobachten. Trojan beobachtet sein Ziel, Meyer beobachtet Trojan, die Anwältin, den Geldtransporterfahrer oder einen Fußball spielenden Jungen. Das Gangsterleben ist hier genauso wenig wie das Polizistendasein ein Abenteuerspielplatz, sondern Routine bestimmt den Alltag.

    Misel Maticevic (Das Gelübde, Effi Briest) gehört ohnehin zu den besten deutschen Darstellern und ist immer noch mal eine Spur besser, wenn er einen Luden („Hotte im Paradies“), einen Polizisten („Eine Stadt wird erpresst“), einen Gangster (wie hier) oder etwas dazwischen („Blackout - Die Erinnerung ist tödlich“) spielt. Auf der Berlinale 2010 darf er gleich doppelt zeigen, was für ein hervorragender Könner er in solchen Rollen ist. Auch in Dominik Grafs achtstündigem Krimi-Epos „Im Angesicht des Verbrechens“ ist er zu sehen. Bei Arslan beeindruckt Maticevic vor allem mit seiner stoischen Mimik: Sein Trojan rastet nicht aus, er analysiert nüchtern und handelt mit eiskalter Präzision. Diese Genauigkeit findet sich in der Inszenierung wieder. Ähnlich präzise wie Trojan seinen Coup vorbereitet, scheint auch jede Einstellung geplant zu sein. Das Ergebnis sind perfekte Bilder, in denen alles auf den Millimeter genau platziert ist, jedes Objekt im Raum hat einen ganz bestimmten Sinn. Kameramann Reinhold Vorschneider (Schläfer, Madonnen, Nachmittag), mit dem Arslan hier erstmals zusammenarbeitet, verwendet die unter anderem auch von Steven Soderbergh in Guerilla und von den Crank-Regisseuren Neveldine/Taylor eingesetzte digitale Red-One-Kamera, die kostengünstig eine hohe Anzahl von Takes erlaubt und es dem Regisseur einfacher macht, mit vertretbarem Zeitaufwand das perfekte Bild zu finden.

    Dass Arslan bei aller Genauigkeit keinen dokumentarischen Realismus anstrebt, zeigt sich bei der von Uwe Bohm (Ferien, Nordsee ist Mordsee) grandios gespielten Figur Meyer, die deutlich stärker als ihr Gegenpart in Genretraditionen verankert ist, die mit dem realen Beruf wenig zu tun haben: Als einsamer Wolf streift Meyer auf eigene Rechnung durch die Hauptstadt, kassiert bei Drogendealern ab und kann scheinbar, ohne einem Vorgesetzen Rechenschaft schuldig zu sein, ganze Tage damit verbringen, Trojan und seine hübsche Anwaltsfreundin zu beschatten. Unabhängig von solchen Nuancierungen belässt Arslan allen seinen Figuren ein gutes Maß Rätselhaftigkeit und vermeidet jede psychologisierende (Über-)Erklärung. Die Beziehungen der Charaktere untereinander bleiben vage, und auch wenn Trojan und seine Anwältin einmal nach dem Sex vertraut miteinander im Bett liegen und die Perspektive einer gemeinsamen Zukunft aufblitzt, bleibt doch jeder letztlich allein. Trotz dieser fast existenzialistisch anmutenden Isolation ist der Tonfall des Films jedoch insgesamt eher lakonisch als düster. Selbst wenn einer mit einem Bauchschuss langsam verblutet, wird nicht gejammert, sondern in kurzen prägnanten Sätzen über den nahenden Tod gesprochen.

    Fazit: „Im Schatten“ ist astreines Genrekino - durch die Augen eines präzisen Beobachters. Das ist nicht nur hervorragend inszeniert, sondern auch richtig spannend. Ein gelungener Spagat zwischen Autoren- und Genrekino mit dem Thomas Arslan tatsächlich die goldene Mitte trifft.

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