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    Hannah und ihre Schwestern
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Hannah und ihre Schwestern
    Von Matthias Ball

    Woody Allens wohl bekanntestes Markenzeichen ist sein unverwechselbarer Humor. Neben den endlosen Dialogen, etwas sperrigen Themen und neurotischen, aus der Bahn geratenen Figuren gehört ein Minimum an zynisch-pointierten Gags daher zur festen Grundausstattung eines typischen Allen-Films. So überraschend 1977 Allens großer Durchbruch mit Der Stadtneurotiker auch kam, so absehbar und konsequent waren schließlich die gespaltenen Reaktionen auf „Innenleben“, kaum mehr als ein Jahr später. Nicht nur Publikum und Fans waren irritiert, auch die Filmpresse traute Allen nicht mehr so recht über den Weg. Kritiker warfen ihm vor, er habe in erster Linie seine eigenen Neurosen zu therapieren versucht; zu düster, kompliziert und vor allem ohne jeden Witz sei der Film. Keinen einzigen Gag habe es darin gegeben, sagte Allen rückblickend selbst, „zumindest keinen beabsichtigten“. Wie viel Potential der Stoff über das Leben einer New Yorker Künstlerfamilie dabei tatsächlich zu bieten hatte, zeigte Allen dann Jahre später, weit in den Achtzigern – und machte diesmal fast alles richtig: „Hannah und ihre Schwestern“ trägt nicht nur alle Erkennungszeichen seines einzigartigen Stils, sondern beeindruckt darüber hinaus als minuziös ausgearbeitete Milieustudie.

    Von außen betrachtet sind Hannah (Mia Farrow), Lee (Barbara Hershey) und Holly (Dianne Wiest) kaum voneinander zu unterscheiden. Sie alle sind Töchter eines Künstlerehepaars, Mitte vierzig, und begeistern sich für die New Yorker Kunst- und Kulturszene. Erst ein gezielter Blick in die Lebensräume der drei Schwestern offenbart die tieferliegenden Probleme und Konflikte innerhalb der Familie, die alltäglichen Neurosen und ständigen Versagensängste. Während Hannah als Mutter und erfolgreiche Schauspielerin anfangs noch den Ruhepol der Familie bildet und Lee mit den Folgen einer früheren Alkoholsucht beschäftigt ist, steht der ehrgeizigen Holly vor allem die eigene Unsicherheit und fehlende Charakterstärke im Weg. Vor ganz anderen Herausforderungen steht unterdessen Hannahs Ex-Ehemann Mickey Sachs (Woody Allen), der sich in seiner chronischen Angst vor Krankheiten zunächst einen Gehirntumor einbildet, um als militant Ungläubiger ausgerechnet in der Religion nach einem neuen Lebenssinn zu suchen…

    Im Stile eines klassischen Episodenfilms folgt „Hannah und ihre Schwestern“ dem Leben seiner Protagonisten über eine Zeitspanne von zwei Jahren. Mit Ausnahme von Mickey werden zwar bereits in der Eröffnungsszene auf Hannahs jährlicher Thanksgiving-Feier alle zentralen Figuren eingeführt, gezeichnet und positioniert, dennoch bleibt das fertige Bild für den Zuschauer über weite Strecken äußerst verschwommen. Zu gleichmäßig und geschickt hat Allen die Aufmerksamkeit auf seine Charaktere verteilt, zu undurchsichtig sind die Ziele und Motive, zu häufig entstehen daraus immer wieder neue Verknüpfungslinien. So wie bei Elliott (Michael Caine), der erst eine Affäre mit Lee beginnt, sich am Ende dann aber doch nicht von Hannah trennen kann. Oder Lee, die zu Beginn des Films eher zurückgezogen lebt, wenig später allerdings von einer Beziehung in die nächste stolpert. Und während Hollys ambitionierte Karriereziele regelmäßig an der eigenen Ziellosigkeit und am mangelnden Selbstbewusstsein scheitern, gibt auch Hannah die Kontrolle über ihr Leben zunehmend aus der Hand. Etwas isolierter steht hingegen Allen selbst, der als gefrusteter Fernsehproduzent Mickey Sachs wegen seiner Neurosen und Phobien zwar ständig diverse Ärzte und Therapeuten aufsucht, gleichzeitig jedoch der einzige ist, der seine Situation kritisch reflektiert und als Ursache der Depressionen die Sinnlosigkeit des Lebens erkennt.

    So sehr der Film in seiner lockeren, leicht tragisch angehauchten Grundstimmung an vorangegangene Werke wie Zelig und „Broadway Danny Rose“ erinnert, markiert er hinsichtlich Allens Herangehensweise doch einen spürbaren Bruch. Denn nach den stark persönlich gefärbten Reflexionen über die Funktionsweise der amerikanischen Medienlandschaft ist „Hannah und ihrer Schwestern“ nicht zuletzt auch ein Schritt zurück an die Geburtsstätte des Stadtneurotikers. Obwohl Mickey im Kern noch immer der ungelenke, ängstliche Intellektuelle ist, wie man ihn aus Der Stadtneurotiker kennt, hat auch er sich über die Jahre geändert und an den herrschenden Zeitgeist angepasst. Vereinzelt tauchen zwar Problemstellungen aus älteren Filmen auf – etwa die schwindende Grenze zwischen Fiktion und Realität – diese bewegen sich aber vorwiegend am Rande des Erzählten und dienen in erster Linie als Vehikel für die Auseinandersetzung mit dem Leben in der anonymen Großstadt, Allens zentralem Thema. Denn so wie das Leben von Holly exemplarisch zeigt, scheint die Auswahl an Identifikationsmöglichkeiten auf dem Weg nach oben zunächst als große Chance. Geraten diese jedoch erst in Konflikt miteinander, ist das psychische Gleichgewicht schnell gestört, der Weg zur nächsten Neurose nicht mehr weit.

    Ironischerweise ist es die größte Schwäche von „Hannah und ihre Schwestern“, die durch Allen am Ende zur eigentlichen Stärke wird. Denn die Story über die Beziehungskrise und Ängste der neurotischen Großstädter könnte in seiner Essenz kaum belangloser sein. Die wahre Stärke des Films liegt somit auch weniger in der Abbildung einer möglichst authentischen Realität, als vielmehr in der Art und Weise, wie Allen seine Geschichte erzählt. Beinahe in jeder Szene finden sich einzelne Details, die alleine stehend zwar wenig Sinn ergeben, als Puzzle zusammengesetzt dafür umso mehr an Bedeutung gewinnen. Vor seiner geplanten Konvertierung zum Katholizismus ist Mickey etwa zu sehen, wie er sich religiöse Symbole als Ersatz für seinen fehlenden Glauben besorgt. Darunter, neben Plastikkreuz und Jesus-Portrait: Wonder Bread und Hellmann’s Mayonnaise. Das ist nur eine der vielen großartigen Szenen, in denen Allens subtile Gesellschaftskritik aufblitzt, ohne diese aber zu sehr in den Fokus zu setzen und damit die eigene Selbstironie aufzugeben. Zugleich durchbricht Allen mit seiner anrührenden, weisen und witzigen Mischung nicht nur die üblichen Genrekonventionen, sondern beweist ebenso sein ausgefeiltes Gespür für perfektes Timing. Wie bei „Duck Soup“ von den Marx Brothers kann daher am Schluss nur eine Erkenntnis stehen: Das Leben mag in Wirklichkeit bedeutungslos sein, komisch ist es trotzdem.

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