„Die Menschen tun, was geschieht“, schreibt Thomas Hürlimann in seinem 1998 erschienenen Erfolgsroman „Der große Kater“. Und so ergeht es auch seinen Figuren: Sie sind Getriebene, formen nicht die Zeit, sondern sind ihr ausgeliefert. In Wolfgang Panzers Verfilmung trifft dieser Satz vor allem auf die Schauspieler zu. Bruno Ganz, Marie Bäumer, Ulrich Tukur und weitere Größen des schweizerischen und deutschen Kinos sind dem einfallslosen Drehbuch ausgeliefert und können nicht anders, als die platten Dialoge wieder zu geben, die ihnen in den Mund gelegt werden. Obwohl Hürlimanns Roman sicherlich genügend Stoff für eine dramatische Politsatire geboten hätte, gleicht das Ergebnis dieser kontrovers diskutierten Produktion eher einem etwas bieder anmutenden, wenn auch unterhaltenden Fernsehfilm. Und das, obwohl weder Kosten noch Mühen gespart wurden.
Der große Kater (Bruno Ganz, Der Untergang), schweizerischer Bundespräsident, muss etwas gegen seine sinkenden Umfragewerte unternehmen, um seine Karriere zu retten. Zusammen mit seinem engsten Vertrauten Pfiff (Ulrich Tukur, Gier), dem Chef der Sicherheitspolizei, und seiner Medienverantwortlichen Dr. Bässler (Christiane Paul, Jerry Cotton) heckt er einen Plan aus: Der offizielle Staatsbesuch des spanischen Königspaares (Marek Kondrat, Sabine Berg) soll zu einem riesigen Medienereignis aufgebauscht werden, damit Kater Gelegenheit bekommt, sich vor der Öffentlichkeit zu profilieren. Doch Pfiff ist kein so treuer Freund, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Er hat die Tatsache nicht verdaut, dass er seine große Liebe Marie (Marie Bäumer, Der Schuh des Manitu) einst an Kater verloren hat und mag ihm deshalb auch sein hohes Amt nicht gönnen. Pfiff verlegt den „Damenbesuch“ der Königin kurzfristig ins Spital, in dem Katers krebskranker Sohn (Moritz Möhwald) liegt und erreicht so, dass sich Marie, die Kater für den verächtlichen Publicity-Gag verantwortlich macht, angewidert von ihrem Mann abwendet. Der Staatsbesuch droht in einem Fiasko zu enden...
Die Produktionsgeschichte von „Der große Kater“ birgt mindestens ebenso viele Intrigen und Schwierigkeiten, wie der Plot des Films selbst. Die erste Drehbuchfassung von Thomas Hürlimann und dem damals vorgesehenen Regisseur Markus Imboden wurde von den Produzenten abgelehnt, weil sie sich ihrer Meinung nach zu sehr vom Original entfernte. „Ich wollte nicht zwei Mal das Gleiche schreiben“, erklärte Hürlimann in einem Interview dazu. Mit neuen Drehbuchautoren und Wolfgang Panzer als Regisseur entstand eine Rohfassung des Films, von der Bruno Ganz gegenüber dem Schweizer Radiosender DRS behauptete, sie sei „sehr verbesserungswürdig“ gewesen. Panzer zog gar seinen Namen zurück und ließ die Produzenten mit einem verwaisten Projekt zurück. Nach einer intensiven Postproduktion und mindestens ebenso intensiven Verhandlungen ziert sein Name nun dennoch das Filmplakat.
Trotz des politischen Settings dieser Intrigengeschichte interessiert sich der Film kaum für Politik. Während Hürlimanns Roman 1979 spielte, ist die Verfilmung in einer zeitlosen Gegenwart angesiedelt. Kater interessiert hier nicht als Politiker, sondern als Familienvater und Ehemann auf der einen und als großer Mann und Spieler, der selbst beim Verlieren nichts von seiner Größe einbüßt, auf der anderen Seite. Bruno Ganz verkörpert ihn als charismatischen, im Kern sympathischen Menschen. Dass er teilweise berechnend ist und kaltherzig wirkt, liegt lediglich daran, dass er noch nicht realisiert hat, wie er seine Prioritäten zu setzen hat. Diese Grundgüte lässt seine Figur leider etwas fade wirken. So verliert die Geschichte ihre Würze und der Film bekommt eine unnötige kitschige Note, die ihre Kulmination im großen Finale findet. Kitschig wirken auch die bläulich eingefärbten Rückblenden in Katers Kindheit, in denen der Originaltext von Hürlimann abgedroschen und sirupsüß wirkt und die Figur Katers durch küchenpsychologische Deutungen zusätzlich verniedlicht wird.
Der Zuschauer fühlt sich da oft nicht ganz ernst genommen. So auch, wenn die Figuren ihre Handlungsmotivationen zu Protokoll geben. Hätte reine Bildsprache nicht ausgereicht, um das Konkurrenzverhältnis Pfiffs und Katers darzustellen? So wenig der Regisseur seinem Kamermann und seinen Schauspielern zu vertrauen scheint, so sehr setzt er auf den pompösen Soundtrack von Patrick Kirst, um beim Publikum die großen Emotionen zu wecken. Untermalt wird die Musik – und nicht etwa umgekehrt – von Nahaufnahmen im Stile von Daily Soaps. Die sparsam eingesetzte Totale dient bloß der Prahlerei, so etwa um das riesige Bankett für das spanische Königspaar ins rechte Licht zu rücken oder die Helikopterflüge über einer Postkartenschweiz eindrucksvoll auf die Leinwand zu werfen - in anderen Worten: Um den Investoren zu zeigen, wohin ihr Geld geflossen ist.
Dass nicht alles, was glänzt Gold ist, beweist „Der große Kater“ einmal mehr: Große Namen, schönes Dekor und viel Geld garantieren noch keinen qualitativ hochwertigen Film. Stattdessen hat es das Publikum hier mit einem ambitionierten Projekt zu tun, das seinen eigenen Erwartungen nicht wirklich gerecht zu werden vermag. Dies wird zum Schluss des Films noch einmal am Standbild exemplifiziert, das einerseits Katers Triumph darstellen soll und andererseits wohl Francois Truffauts Sie küssten und schlugen ihn zitieren will, aber stattdessen wirkt, als wäre es direkt aus einer Folge „Marienhof“ übernommen.
Anmerkung: Die Rezension bezieht sich auf die Schweizer Kinoversion. Für den Deutschland-Start wird eine komplett neusynchronisierte Fassung in den Kinos laufen.