Die Situation mag noch so trist sein: Nichts fürchtet der Mensch zur Zeit spätkapitalistischer Umwälzungen mehr als Veränderungen, da vom unbekannten „anderen Leben" instinktiv eine Verschlechterung zum Status Quo erwartet wird. Vom Wahn besessen, die Kontrolle über sein Leben und die Geschicke in seinem Umfeld zu haben, ist ihm das Abkommen vom Wege in unbekanntes Terrain ein einziger Graus. Dass sich eine Veränderung – und mag es auch eine erzwungene sein - auch positiv auswirken kann, wird dabei oft bloß als zynische Phrase ausgefasst. Das gilt insbesondere für die amerikanische Mittelschicht, die langsam aber sicher einsieht, dass ihr Wohlstand auf tönernen Füßen steht, von denen in Zeiten des „Downsizings" ein jeder zu jeder Zeit fallen kann. Daran, dass jedem Ende ein neuer Anfang innewohnt, denkt im Moment des Fallens niemand – auch nicht „Larry Crowne", der Titelheld von Tom Hanks' Romantik-Komödie.
Larry (Tom Hanks) ist ein netter Kerl, einer dieser Menschen, die mit einem Lächeln statt einem Muffeln das Bett verlassen und die ihren Mitmenschen mit Offenheit begegnen. Sogar die Scheidung von seiner Frau hat er mit Würde ertragen. Höflich geht er seinem Job als Kundenberater in einem Kaufhaus nach, bis eines Tages seine bitterste Stunde schlägt und seine Stelle wegrationalisiert wird. Damit ist auch der Optimist Larry niedergeschlagen. Da der ehemalige Marinekoch über keinen College-Abschluss verfügt, fällt es ihm schwer, einen neuen Job zu ergattern. Da er jedoch kein Kerl ist, der in einer solch misslichen Lage den Kopf in den Sand steckt, schreibt er sich kurzerhand als Student am örtlichen College ein. Seine Philanthropie beschert ihm bald zahlreiche neue Freunde unter der jungen Studentenschaft. Nur Mercedes Tainot (Julia Roberts), die verkrachte und von Zynismus zerfressene Dozentin seines Rhetorikkurses, verweigert sich dem charmanten Studenten...
Dass ihre Abwehrhaltung nicht von langer Dauer sein wird, versteht sich von selbst. Schließlich ist es nicht die lebensbejahende Message vom Neuanfang in Zeiten sozialer Umwälzungen, mit der hier um die Gunst der Kinogänger gebuhlt wird – sondern die Lovestory zwischen den Superstars Hanks, seit jeher der Richtige für sympathisch-arglose Biedermänner auf Abwegen, und Roberts, die hier als kesse Mercedes eine dicke Botox-Lippe riskiert. Der unvermeidliche romantische Subplot wird allerdings auf angenehm kleiner Flamme zum Köcheln gebracht. Larry und Mercedes sind kein perfektes Topf-und-Deckel-Gespann, sie haben keineswegs ein Leben lang aufeinander gewartet. Vielmehr sind Larry und Mercedes ausgereifte Figuren, geprägt von zu vielen Enttäuschungen, als dass sie sich sich Hals über Kopf und auf den ersten Blick ineinander verlieben würden. Die Annäherungen sind betreten und unbeholfen, meilenweit entfernt vom Ben Stiller'schen Albernheiten. Der erste Kuss passiert konsequenterweise erst unter reichlich Alkoholeinfluss, gefolgt von einem verschämten Treffen an Morgen darauf.
In Momenten wie diesen, die vom Charisma des Traumpaares Hanks/Roberts leben, überzeugt Hanks' zweite Regiearbeit auf ganzer Linie. Die zwanglose Leichtigkeit jedoch, mit der sich die Autoren Hanks und Nia Vardalos („My Big Fat Greek Wedding") ihrer Thematik nähern, prägt auch die Form der Inszenierung. Zu jeder Sekunde wirkt „Larry Crowne" wie mit einem entspanntem Lächeln aus dem Ärmel geschüttelt. Was bei Regie-Altmeistern wie Woody Allen und Clint Eastwood als schlafwandlerisch-perfektes Handwerk gelten darf, wirkt bei Gelegenheitsregisseur Hanks eher nachlässig. Und ob ein so tollpatschig-verspieltes Skript wie dieses auch ohne das Engagement von Regisseur/Co-Autor/Produzent und Hauptdarsteller Hanks einen Weg auf die Leinwand gefunden hätte, ist mehr als fraglich. Der Mangel an Dramaturgie, Dringlichkeit, Höhen, Tiefen und Entwicklung ist eklatant. Tatsächlich hat Larry in den ersten 30 Minuten seinen Job verloren und sich wieder aufgerappelt. Die restliche Stunde ist ein überdehntes Happy End, gespickt mit einer Handvoll kurioser Gestalten am Wegesrand, die die Erzählung nicht weiter vertiefen.
So verfügen Beispielsweise Bryan Cranstons („Breaking Bad") Auftritte als Julia Roberts' Internetporno-süchtiger Gatte über keinerlei Nährwert für die Geschichte oder ihre Charakterisierung. Dass Mercedes gelangweilt und emotional verwahrlost ist, dürfte mit ihrem permanenten Alkoholkonsum und ihrem affektiert in Szene gesetzten Sarkasmus in den Seminarszenen längst verdeutlicht sein. Dass man auf Cranstons Auftritte nicht verzichten mochte, steht stellvertretend für den heiteren Schludrian, der sich im Windschatten der Zwanglosigkeit in alle Bereiche der Produktion geschlichen hat. „Lieber ein hübsch-harmloser Gag mehr, als einer weniger", schien hier das Motto gewesen zu sein. Dieses Mehr an netten Späßchen hätte gleichwohl auf Herz und Nieren geprüft werden müssen, statt es einfach durchzuwinken. Es ist erstaunlich, wie viele Rohrkrepierer es hier, von der Humorpolizei unbemerkt, auf die Leinwand geschafft haben.
Besonders die Auftritte von Rami Malek als Larrys verblödeter Wigger-Kommilitone Steve lösen eher betretenes Kopfschütteln als Schenkelklopfen aus. Auch Cedric the Entertainer als Larrys neureicher Nachbar scheint nur an Bord zu sein, um ein potentielles afroamerikanisches Publikum zu locken und die dünne Story auf die immernoch überschaubare Länge von 99 Minuten zu strecken. „Star Trek"-Steuermann George Takei macht als exzentrischer Wirtschaftsprofessor hier noch die beste Figur, auch wenn seine Anwesenheit genauso redundant ist, wie sämtliche Sidekicks, die im Filmverlauf verheizt werden. „Larry Crowne" ist ein sympathisches sommerliches Komödchen, dessen dramaturgische und inszenatorische Nachlässigkeit sich leider nicht immer so problemlos weglächeln lassen, wie es sich die Macher wohl gewünscht haben. Larry Crownes Lächeln ist schlicht nicht ansteckend genug, um über seine vielen Fehler hinweg zuschauen. Liebenswert bleibt er trotzdem!