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    Kundun
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Kundun
    Von Jan Görner

    Spätestens mit dem Polit-Thriller „Red Corner - Labyrinth ohne Ausweg", der sich auf wenig zimperliche Weise des chinesischen Unrechtsstaats annahm, hatte sich der bekennende Buddhist und Tibet-Aktivist Richard Gere in den Augen der Mächtigen der Volksrepublik diskreditiert. Auch Regisseur Jean-Jacques Annaud und seine Stars David Thewlis und Brad Pitt kamen für ihr nicht unbedingt auf historische Korrektheit bedachtes Drama „Sieben Jahre in Tibet" auf Pekings schwarze Liste. Der neben Pitt wohl prominenteste Eintrag dort ist Oscar-Preisträger Martin Scorsese („Departed: Unter Feinden"), dessen ästhetisch eindrucksvolles Dalai-Lama-Biopic „Kundun" den dritten westlichen Film aus dem Jahre 1997 darstellt, der den Parteioberen im Reich der Mitte ein Dorn im Auge ist.

    1937: Seit dem Tod des 13. Dalai Lama durchqueren buddhistische Mönche ganz Tibet auf der Suche nach der nächsten Inkarnation ihres geistigen Oberhaupts. Diese erkennen sie schließlich in Lhamo, dem zweijährigen Sohn eines Bauern aus einem Dorf an der Grenze zu China. Der vorwitzige Bengel besitzt Wissen, das ein Außenstehender scheinbar unmöglich über den verstorbenen Dalai Lama haben kann. Kurzerhand wird er in die Hauptstadt Lhasa gebracht, um auf sein Leben als religiöser und politischer Führer Tibets vorbereitet zu werden. Doch nachdem die Kommunisten als Sieger aus dem chinesischen Bürgerkrieg hervorgehen, machen sie bald alte Hegemonieansprüche in der Region geltend. Der junge Lhamo wächst in einer unruhigen Zeit auf und steht vor seiner größten Herausforderung, als die chinesische Volksbefreiungsarmee 1950 in Tibet eindringt.

    Von einem Film wie „Kundun" ist keine wissenschaftlich ausgewogene Aufbereitung der Fakten zu erwarten, aber der Umgang mit den historischen, religiösen und sozialen Hintergründen ist dennoch auffällig einseitig. Schon der Titel „Kundun" verdeutlicht dies - so lautet nämlich die Ehrenbezeichnung für den Dalai Lama, die mit „verehrungswürdige Präsenz" zu übersetzen ist und die auch die Haltung der Filmemacher zu ihrer Hauptfigur zum Ausdruck bringt. Das Drehbuch von Melissa Mathison („E.T. - Der Außerirdische") ist folgerichtig auch durch das tibetische Oberhaupt persönlich autorisiert worden, dessen Gegenwart und Einfluss stets spürbar ist. Die Laien-Besetzung besteht fast ausschließlich aus Exil-Tibetern, viele von ihnen stammen sogar aus dem erweiterten Familienkreis des Dalai Lama. Was einerseits für Authentizität bürgt, kann man Scorsese andererseits durchaus als fehlende professionelle Distanz ankreiden. Der Blick des Außenseiters erweist sich mitunter als reichlich naiv gegenüber einer feudalen Theokratie, wie es Tibet bis in die 1950er Jahre nun einmal war. Die Gottkaiser-ähnliche Stellung des Dalai Lama wird kaum problematisiert, aber immerhin werden Selbstzweifel der Hauptfigur eingeräumt.

    Die ehrfürchtige Haltung gegenüber dem Dalai Lama spiegelt sich auch in der Darstellung des Religiösen, fast im Minutentakt bekommen nach Spiritualität darbende westliche Zuschauer verlockend aufbereitete Zeugnisse fernöstlicher Weisheit geliefert. Somit ist der Film ein Ausdruck der anhaltenden Buddhismus-Begeisterung in Amerika und Europa, ohne für diesen Boom eine Erklärung liefern zu können. Der Katholik Scorsese interessiert sich dann auch eher für die Suche nach Erlösung, die der Dalai Lama mit vielen der Protagonisten des Regisseurs teilt. Im Gegensatz zu einsamen Anti-Helden wie dem „Taxi Driver" Robert De Niro gilt dem stets lächelnden Tibeter jedoch nur die Errettung der gesamten Menschheit als Erfüllung.

    Die Sehnsucht nach innerem Frieden und Harmonie prägt auch das Zeremoniell und die Bildsprache der für den Filmemacher fremden Kultur. Diese bringt er unter virtuosem Einsatz der gesamten Palette der filmischen Mittel auf die Leinwand. Zusammen mit seinem Kameramann, der Coen-Brüder-Stammkraft Roger Deakins („True Grit"), lässt er farbenprächtige Tableaus und Ornamente von erhabener Schönheit entstehen. Scorsese setzt darauf, dass sich der sinnliche und symbolische Gehalt seiner Bilder ergänzen, etwa wenn er am Anfang und am Ende in ausgedehnten Sequenzen kunstvolle Mandalas, also aus Sand gefertigte Meditationsobjekte zeigt. Stimmungsvoll-meditativ ist auch der stets sehr präsente Soundtrack von Minimalist Philip Glass, der sein Können in den Dienst eines eindrucksvollen Filmerlebnisses stellt. Über die sinnliche Potenz entwickelt der Film einen hypnotischen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann.

    Fazit: Die Dalai-Lama-Biografie „Kundun" ist Arthouse-Kino höherer Weihen und das visuelle Juwel in Martin Scorseses reichem Gesamtwerk. Die sinnliche Erfahrung entschädigt für die zuweilen übertriebene Ehrfurcht der Filmemacher vor ihrem Protagonisten.

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