In den vergangenen Jahren hat sich ein Trend etabliert, berühmte Märchen und Sagen radikal zu modernisieren und den altehrwürdigen Stoffen gehörig den Staub auszuklopfen. Zu sehen ist das etwa bei der „Rotkäppchen"-Variation „Red Riding Hood" sowie den beiden konkurrierenden „Schneewittchen"-Neuverfilmungen „Spieglein Spieglein" und „Snow White And The Huntsman". Die Strategie des Aufpeppens und Umdichtens war bisher nicht unbedingt von Erfolg gekrönt, ein Geldbringer an den Kinokassen war ebenso wenig dabei wie ein einhellig gelobter Kritikerliebling. Das wird sich aller Voraussicht nach auch bei Tommy Wirkolas kernigem Märchen-Actioner „Hänsel und Gretel: Hexenjäger" nicht ändern, denn mit diesem grimmigen 3D-Splatterfest wird den von Haus aus schon nicht zimperlichen Gebrüdern Grimm ordentlich der Marsch geblasen.
Als Kinder werden die Geschwister Hänsel (Cedric Eich) und Gretel (Alea Sophia Boudodimos) von ihren Eltern scheinbar rücksichtslos im Wald ausgesetzt, wo sie wenig später in die Hände einer fiesen Hexe (Monique Ganderton) geraten. Sie mästet die beiden Kinder, um sie zu braten, doch alsbald schmorrt die greise Bucklige selbst im Ofen: Hänsel und Gretel sind alles andere als Opferlämmer und schlagen behände zurück. Ihre beherzte Aktion wird zur Legende und im Erwachsenenleben machen die Geschwister daraus ihren Beruf. Bewaffnet mit Kettensäge und Armbrust erwerben sich Hänsel (jetzt: Jeremy Renner) und Gretel (jetzt: Gemma Arterton) einen blitzsauberen Ruf als Hexenjäger und so werden sie vom Bürgermeister der Stadt (Rainer Bock) engagiert, als in Augsburg mehrere Kinder spurlos in den von bösen Magierinnen bevölkerten dunklen Wäldern verschwinden. Nur der brutale Sheriff Berringer (Peter Stormare) hält Hänsel und Gretel für Aufschneider und will das Hexenproblem lieber selbst lösen. Doch die Geschwister lassen sich nicht abschrecken und kommen bald Oberhexe Muriel (Famke Janssen) auf die Spur. Die verfügt indes über herausragende Kräfte, so dass selbst Hänsel und Gretel die ganz harten Bandagen anlegen müssen...
Am 18. Dezember 1812 brachten die legendären Brüder Jacob und Wilhelm Grimm die erste Version ihrer „Kinder- und Hausmärchen" heraus – der Anfang einer steilen Karriere als Märchenerzähler und Sprachwissenschaftler. 200 Jahre später gehören die Grimmschen Märchen zum Geschichtenschatz jeder Kindheit, ihre nachhaltige Bedeutung zeigt sich aber auch und besonders in popkulturellen Referenzen und Bearbeitungen. Selbst einer so saftigen und zeitgemäßen Radikalisierung wie in „Hänsel und Gretel: Hexenjäger" hält die Vorlage mühelos stand. Der Genrespezialist Tommy Wirkola hat bereits in „Dead Snow" die Kettensägen schwingen lassen, als er eine Gruppe von Medizinstudenten gegen Nazi-Zombies (!) zu Felde geschickt hat und auch hier lässt er keinen Stein auf dem anderen. Der norwegische Filmemacher nutzt das stolze Budget von 60 Millionen Dollar, um den ohnehin schon ruppigen Grundton des Ur-Märchens in komprimierten 88 Minuten skurril-pointierter Action bis zum Anschlag zu steigern. Nach einer knackigen Einführung der Helden Hänsel und Gretel geht es gleich ans Eingemachte. Für ausgefeilte Charakterzeichnung ist naturgemäß kein Platz, aber die archetypische Verknappung fügt sich nahtlos in das einfache Konzept „Hänsel und Gretel geben Gas" ein und verleiht dem Film letztlich ebenso wie die betont künstlichen Studiokulissen vieler Szenen ein passend märchenhaftes Gepräge.
Tommy Wirkola drehte seinen Märchenfilm der etwas härteren Art in den Babelsberg-Studios nahe Berlin sowie in Nord- und Süddeutschland mit internationaler Besetzung und er schont sein prominentes Personal nicht. Frei nach dem Motto „Nur eine tote Hexe ist eine gute Hexe" massakrieren Hänsel und Gretel einige Unholdinnen auf brutalste Weise, wobei sie selber einiges abbekommen. Die Gewalt erreicht mitunter Splatterniveau - da wird auch schon mal jemandem der Körper an Armen und Beinen auseinandergerissen. Allerdings scheint bei aller Härte immer wieder ein ironisches Augenzwinkern durch und die Brutalität geht in ihrer comichaften Überspitzung nie wirklich an die Nieren. Wenn Hänsel und Gretel nach der Klärung der Fronten auf Dauerfeuer schalten und durch den Wald jagend ganze Horden von Hexen niedermachen, wird der Exzess launig ausgereizt. Aber ganz so einfach machen es sich Tommy Wirkola und sein Co-Drehbuchautor Dante Harper („All You Need Is Kill") dann doch nicht: Im Schlussteil streut das Duo noch eine nette Storyvariation ein, die „Hänsel und Gretel: Hexenjäger" etwas von seiner durchaus genretypischen Klischeelastigkeit nimmt.
Mit Zwischentönen hält sich Wirkola nicht auf, hier geht es eher um die stilvolle Pose als um ausgefeilte Psychologie. Das gilt für Jäger und Gejagte, für Haupt- und für Nebendarsteller. So geben Haudegen Peter Stormare („Fargo") als fieser Sheriff und Famke Janssen („96 Hours", „X-Men") als Hexenchefin fast schon Karikaturen zum Besten, so sind die meisten Figuren rein funktional angelegt. Auch die beiden Protagonisten sind nicht unbedingt komplexer. Jeremy Renner („Das Bourne Vermächtnis", „The Hurt Locker") zeigt sich wie gewohnt als gewandter Action-Arbeiter, geht seinem Job aber meist mit grimmigem Gesicht nach, während Ex-Bond-Girl Gemma Arterton („Prince of Persia") als toughe Amazone in enger Lederkluft die aktivere und einnehmendere Rolle innehat. Die beiden Filmgeschwister hauen Oneliner auf Oneliner raus und haben bei der hemmungslosen Hexenverfolgung sowieso alle Sympathien auf ihrer Seite. Den größten deutschen schauspielerischen Beitrag leistet indes Charakterkopf Rainer Bock („Barbara", „Gefährten"), der als Bürgermeister von Augsburg den Stein ins Rollen bringt. Als Bereicherung erweist sich auch die Finnin Pihla Viitala, die als rothaarige Mina in einer Nebenhandlung von Hänsel vor der Hexenverbrennung gerettet wird. Die romantisch angehauchten gemeinsamen Szenen zwischen den beiden verschaffen dem Film überdies einige dringend benötigte Verschnaufpausen vor der nächsten Actionkaskade.
Fazit: „Dead Snow"-Regisseur Tommy Wirkola ist mit „Hänsel und Gretel: Hexenjäger" ein grimmiger Spaßfilm gelungen: eine rasende Märchen-Radikalisierung mit zackiger 3D-Dauerfeueraction zwischen Trash, Splatter und ironischer Brechung.