Auch wenn jede Trauererfahrung nach dem Verlust eines geliebten Menschen einzigartig ist, lassen sich die Verarbeitungsprozesse doch zumindest in grobe Phasen einteilen: Die erste Reaktion auf eine solche Hiobsbotschaft ist blanker Schock, dann folgt die Verleugnung. Erst danach wird die eigentliche Trauerarbeit geleistet: Das Wahrhaben des Verlustes und die Integration der Trauer. Was aber tun, wenn man nie über den ersten Schritt herauskommt und sich dem Tod des Kindes einfach nicht stellen kann? Darum geht es in Anders Andersons Spielfilmdebüt „Stolen Lives – Tödliche Augenblicke", das auf dem bisher ungelösten Kriminalfall um den „Boy in the Box" basiert. Im Philadelphia des Jahres 1957 fand man die Leiche eines sechs Jahre alten Jungen in einer Kiste, dessen Identität bis heute nicht geklärt werden konnte. Zwar hat „Stolen Lives – Tödliche Augenblicke" einen hervorragenden Cast um die Serienzugpferde Jon Hamm („Mad Men") und James Van Der Beek („Dawson's Creek"), aufgrund inszenatorischer und erzählerischer Schwächen bleibt der Film aber dennoch ein äußerst mittelmäßiger Thriller.
Vor mehr als acht Jahren verschwand der Sohn von Detektive Tom Adkins (Jon Hamm) in einem Raststättenlokal spurlos. Nur fünf Minuten hatte der fürsorgliche Vater seinen Sohn aus den Augen gelassen; fünf Minuten, die das Leben des Polizisten komplett auf den Kopf gestellt haben. Gemeinsam mit seiner Frau Barbara (Rhona Mitra) versucht Tom, den Verlust zu verarbeiten, während das Kinderzimmer vollständig eingerichtet und damit stummer Zeuge eines vergangenen Lebens bleibt. Als bei Bauarbeiten die Leiche eines Jungen in einer alten Holzkiste gefunden wird, ist sich Adkins fast sicher, dass es sich dabei um seinen Sohn handelt. Untersuchungen ergeben jedoch, dass diese Leiche vor mehr als 50 Jahren dort vergraben wurde. Adkins beginnt Nachforschungen anzustellen und erfährt von der tragischen Familiengeschichte des Matthew Wakefield (Josh Lucas) und seiner drei Söhne. Dabei beginnt er, zunehmend Parallelen zu seinem eigenen Leben zu ziehen...
Einen Kriminalfall über zwei Zeitebenen zu erzählen, ist spätestens seit der erfolgreichen Krimi-Serie „Cold Case - Kein Opfer ist je vergessen" eine beliebte Methode, um die trockene Ermittlungsarbeit aufzupeppen. Mit „Stolen Lives – Tödliche Augenblicke" verfährt Regisseur Anders Anderson ähnlich: Neben der Geschichte um den depressiven Cop Adkins wird, beginnend mit dem Fund einer 50 Jahre alten Kinderleiche, die dramatische Geschichte der Familie Wakefield erzählt. Nachdem anfänglich noch beide Zeitebenen in etwa den gleichen Raum einnehmen, dominieren spätestens ab der Filmmitte die Ereignisse des Jahres 1958, während die Aufklärungsarbeiten von Tom in der Gegenwart zunehmend zu nervenden Ablenkungen verkommen.
Die meisten Figuren bleiben dabei oberflächlich gezeichnet und sind nur in wenigen verspielten Augenblicken mehr als Stereotypen. Da können selbst die überzeugenden Leistungen von Jon Hamm („Brautalarm"), Rhona Mitra („Number 23") und Josh Lucas („Der Mandant") wenig rausreißen. Schade ist es vor allem um das große Potential der von James Van Der Beek („Die Regeln des Spiels") verkörperten Figur des Professors: Zeigt er sich anfänglich als wahrer Freund in der Not, der Matthew Wakefield nach dem Tod seiner Frau und den finanziellen Schwierigkeiten mit Rat und Tat zur Seite steht, offenbart er erst im Verlauf des Films seine wahre Persönlichkeit. Letztendlich werden die ambivalenten Aspekte des Professors aber nur angetippt, während er trotz Van Der Beeks starker Leinwandpräsenz zunehmend zum Klischee-Bösewicht verkommt.
„Stolen Lives – Tödliche Augenblicke" fühlt sich wie eine anderthalbstündige Version einer Sonntag-Abend-Serie à la „CSI" oder „Cold Case – kein Opfer ist je vergessen" an. Flache Figuren und enervierende Sprünge zwischen den Zeitebenen erschweren die Anteilnahme; selbst der Höhepunkt eines jeden Kriminalfalls, die Aufklärung des Verbrechens, wird uninspiriert und lieblos in der letzten Viertelstunde heruntergerissen. Beinahe beiläufig wird da noch geklärt, wie die Geschichte um den Familienvater aus dem Jahre 1958 ausging. „Stolen Lives – Tödliche Augenblicke" ist ein mittelmäßiger Thriller ohne echte Höhepunkte. Mit seinem Erstling beweist Regiedebütant Anders Anderson ein gutes Händchen bei der Schauspielerführung, bis zu seinem Zweitling sollte er allerdings noch unbedingt an seinen erzählerischen Qualitäten feilen.