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    Die Unwertigen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Die Unwertigen
    Von Stefan Ludwig

    Wer zu Zeiten des Nationalsozialismus nicht ins Bild passte, wurde gnadenlos aussortiert. In den Augen der Nazis unwertige Kinder wurden in Heimen schwer misshandelt und im Jugendalter in Konzentrationslagern oftmals bis zum Tode gequält. Doch auch nach dem Ende des Dritten Reichs änderte sich für die Heimkinder nicht viel, schließlich hatte die Idee der Rassenhygiene die staatliche Jugendhilfe bereits in den 1920er Jahren befallen – und blieb auch später in den Köpfen vieler Erzieher haften. Regisseurin Renate Günther-Greene veranschaulicht mit ihrer Dokumentation „Die Unwertigen“ das Martyrium der Heimkinder. Anhand vier bedrückender Schicksale belegt sie eindrucksvoll, wie lange der Nationalsozialismus nach seinem Niedergang noch nachwirkte.

    Elfriede Ryback wurde 1935 in den Kalmenhof gesperrt. Aufgrund ihrer Lese- und Rechtschreibschwäche attestierten die Euthanasieärzte ihr „mittleren Schwachsinn“. Als junges Mädchen musste sie mit ansehen, wie immer mehr Kinder verschwanden. Sie wurden in die Tötungsanstalt Hadamdar verfrachtet oder direkt im Kalmenhof umgebracht. Erst 1970 entkam sie der Anstalt, als sich eine junge Psychologin für sie einsetzte. Richard Sucker ist ein uneheliches Kind. Deshalb wird er seiner Mutter mit eineinhalb Jahren weggenommen. Mit gerade einmal vier Jahren muss er Zwangsarbeit leisten und täglich Prügel einstecken. Auch für ihn ist nach dem Krieg nicht alles vorbei, er wird weiterhin in deutschen Heimen misshandelt. Waltraud Richard lebt in einem litauischen Dorf. Als ihre Mutter sich weigert, der NSDAP beizutreten, kommen sie und ihre Tochter ins Konzentrationslager. Weil Günter Discher Swing-Musik hört und sein Lebensstil den Nationalsozialisten nicht gefällt, wird er ins Jugend-KZ gesperrt. Dort lebt er auf engstem Raum eingepfercht mit 1.200 anderen Kindern und Jugendlichen…

    Bis heute sind diese vier Menschen von ihren Schicksalen schwer gezeichnet. Renate Günther-Greene interviewt die ehemaligen Heimkinder und kehrt mit ihnen an die Schauplätze ihrer Qualen zurück. Für Richard Sucker recherchiert sie, wo seine Mutter begraben liegt. Er hat sie nur als Baby gesehen und auch sonst keinerlei Erinnerung an die Zeit. Als er zum ersten Mal an ihr Grab tritt, ist seine Stimme voller Verzweifelung über das eigene Schicksal. Die Kamera hält dabei stets eine würdige Distanz.

    Trotz dieser behutsamen Herangehensweise wird das Leid der Protagonisten deutlich. Die Regisseurin verlässt sich ganz auf deren Erzählungen und verzichtet auf jegliche Kommentierung. Sie springt im Stile eines Episodenfilms von Protagonist zu Protagonist, von Lebensgeschichte zu Lebensgeschichte – dabei behält sie zwar die Übersicht, doch es ist für den Zuschauer nicht immer ganz leicht, nach einem Sprung wieder in die jeweilige Leidenschronik hineinzufinden. Seine Kernaussage bringt der Film dennoch auf den Punkt: Die Leiden der Heimkinder waren mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs keinesfalls ausgestanden. Weil kaum Personal ausgetauscht wurde, änderte sich faktisch nur wenig.

    Durch die Konzentration auf die vier Opfer fühlt es sich für den Zuschauer an, als würden ihm Zeitzeugen von Angesicht zu Angesicht ihre dramatischen Geschichten erzählen. Doch es fehlt der Dokumentation an einer Expertenmeinung. So sehr die Einzelschicksale für sich auch wirken – erst im Zusammenspiel mit Fakten ließe sich die Massivität der Probleme wirklich ermessen.

    Fazit: Anhand von vier Schicksalen beleuchtet Renate Günther-Greene eine Seite des Nationalsozialismus, der nicht schon hundertfach in anderen Kriegs- oder KZ-Dramen abgehandelt wurde.

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