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    Die Anwälte - Eine deutsche Geschichte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Anwälte - Eine deutsche Geschichte
    Von Stefan Ludwig

    Eine Geisel plaudert mit seinen Entführern. Sie gibt zu, früher mit den politischen Zielen ihrer Kidnapper sympathisiert zu haben – doch das Leben habe ihn verändert. Aus einem links-alternativen Jungspund ist ein gesetzter Familienvater geworden, der sich irgendwann dabei ertappte, die CDU zu wählen. Diese Szene stammt zwar aus Die fetten Jahre sind vorbei von Hans Weingartner, trotzdem handelt sie vom dem, das auch Birgit Schulz mit ihrer Dokumentation „Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte“ erzählen will: dem Wandel eines Menschen im Laufe seines Lebens. Drei faszinierende Charaktere aus der deutschen Politik hat sich die auf Portraits spezialisierte Regisseurin herausgepickt, um ihre von radikalen Einschnitten geprägten Biografien auf die Leinwand zu bringen. Trotz einer Fülle an Informationen wird die Aussage dabei nicht verwässert.

    Wie bei heutigen Dokumentarfilmen üblich, nutzt auch Birgit Schulz Interviewaufnahmen, die ausschließlich die Antworten der Befragten zeigen. Diesen Monolog-Effekt verstärkt die Regisseurin sogar noch, indem sie den geräumigen Sitzungssaal mit seinen leeren Stühlen, in dem die Aufnahmen stattfanden, immer wieder aus verschiedenen Perspektiven zeigt. Neben aktuellen Interviews präsentiert Schulz originales Filmmaterial und alte Fotos. Eine Fotografie ist auch der Ausgangspunkt von „Die Anwälte“. Darauf sind Hans Christian Ströbele, Horst Mahler und Otto Schily zu sehen. Das Trio fungierte Anfang der 1970er Jahre als Rechtsbeistand der außerparlamentarischen Opposition. Ströbele und Schily verteidigten sogar ihren Kollegen Mahler, der einen Molotow-Cocktail geworfen und für die RAF Waffenbestellungen aufgegeben hatte. Doch im Laufe des Lebens wurden die politischen Ansichten teilweise über Bord geworfen und Freundschaften aufgekündigt.

    Der Sozialist Otto Schily wurde erst zu einem der Mitbegründer der Grünen und später, dann als Mitglied der SPD, ein eher konservativer Innenminister. In dieser Position schützte er plötzlich jenen Staat, den er früher strikt abgelehnt hatte. Gerade mit seinen Einschränkungen des Datenschutzes zog er dabei massive Kritik auf sich – schließlich hat Deutschland ihm die Einführung von Reisepässen mit biometrischen Daten zu verdanken. „Die Anwälte“ nutzt Schily als Zentrum, weil sein Werdegang die meiste Aussagekraft besitzt. Es gelingt der Dokumentation dabei, die Wandlung vom Aktivisten zum Bürgerrechte in Frage stellenden Politiker nachvollziehbar zu machen, ohne über ihren Protagonisten zu richten. Ein Urteil bleibt dem Zuschauer überlassen – die Regisseurin hält sich mit einer eigenen Position zurück.

    Horst Mahler hat einen noch extremeren Lebenswandel hinter sich. Das ehemalige NPD-Mitglied war eines der Gründungsmitglieder der RAF. Aus einem sozialistischen Freiheitskämpfer wurde ein Rechtsradikaler, der den Holocaust leugnet. Den Auslöser dieser Hitlerverklärung nennt Mahler im Interview selbst: Im Elternhaus wurde Hitler in die Tischgebete eingeschlossen. In „Die Anwälte“ tritt seine Geschichte im Vergleich zu den beiden anderen allerdings ein wenig in den Hintergrund. Am eindrucksvollsten mutet noch die Schilderung seiner Haftstrafe – die er für intensive Studien nutzte – an. So lässt sich zumindest erahnen, wie es dazu kommen konnte, dass er seine politischen Ideale (der Staat blieb zwar der Feind, aber statt von links attackierte er ihn fortan von rechts) von jetzt auf gleich komplett über den Haufen warf.

    Hans-Christian Ströbele blieb seiner ideologischen Linie hingegen weitgehend treu. Der bekennende Pazifist wehrte sich mit einer Wortmeldung gegen die Entscheidung des Bundestags, den Beginn des Kosovo-Krieges – abgesehen von einer kurzen Erklärung zu Beginn der Sitzung – nicht explizit zu verhandeln. Obgleich er Mahler an der Seite von Schily verteidigte, blieb er seinen politischen Wurzeln auch als Abgeordneter der Grünen stets verbunden. Damit beweist er, dass es auch anders geht. Selbst wenn man im Bundestag eine Rolle spielen will, muss man eben nicht wie Schily zum Realpolitiker mit ausgeprägtem Machtdrang mutieren. Insofern fungiert Ströbele als das von der Regisseurin verordnete Kontrastprogramm zu Mahler und Schily.

    Besonders gelungen ist neben der ansprechenden Optik auch der konsequente Verzicht auf einen Hintergrundinformationen liefernden Off-Kommentar. „Die Anwälte“ konzentriert sich ganz auf die Charaktere seiner drei Protagonisten, die Aufarbeitung von Geschichte ist dabei kaum mehr als ein Mittel zum Zweck. Der Fokus liegt damit ganz bei den Menschen hinter den Idealen. Dank der abwechslungsreichen Biografien kommt zwar nie Langeweile auf, jedoch wird dem Zuschauer eine Menge Hintergrundwissen abverlangt, wenn er alles verstehen will. Doch da die RAF aufgrund von Der Baader Meinhof Komplex & Co. ja aktuell wieder ins Jedermanns Munde ist, sollt dies keine allzu große Hürde darstellen.

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