Was bewegt Serienmörder wie Ted Bundy, Fritz Haarmann oder Charles Manson zu ihren beispiellosen Straftaten? Auch Psychologen können hier im Grunde nur spekulieren, denn äußerlich sind diese Menschen unauffällig. Die Spannweite der Erklärungen reicht dabei von angeborenen Nervenschäden bis hin zum psychoanalytischen Durchgriff auf die familiäre Vergangenheit. Aber wie immer die Wissenschaft die Motive der Täter auch deutet, im Endeffekt bleibt deren Psyche dem Blick von außen verschlossen. Für das Kino sind solche Figuren gerade deshalb umso spannender. Ob „Zodiac", „Die Zärtlichkeit der Wölfe", „Copykill" oder „Natural Born Killers" – sie alle bedienen die ambivalente Faszination für die Motivik des Mordens. Als französische Antwort auf „Badlands" angepriesen, feierte nun „American Translation" von Jean-Marc Barr („Jedem seine Nacht") auf dem Fantasy Filmfest seine Weltpremiere. Mit derart großen Versprechungen angetreten, ist es ernüchternd, dass sich der Film nun doch nur als überwiegend substanzlose Aneinanderreihung von Sex- und Mordszenen präsentiert.
Nach außen ist Chris (Pierre Perrier) ein ganz gewöhnlicher Jugendlicher. Doch im Geist des Heranwachsenden schlummert eine gefährliche Begierde: Töten bereitet ihm Lust. Auf einer Party lernt er die schöne Aurore (Lizzie Brocheré) kennen, die im Gegensatz zu Chris aus wohlhabenden Verhältnissen kommt und die der Aura des Schönlings schlagartig verfällt. Die intensive Beziehung der beiden wird auf eine harte Probe gestellt, als Chris seine Mordgelüste nicht mehr länger unterdrücken kann. Ein Strichjunge ist schon bald sein erstes Opfer...
Im Mittelpunkt von Jean-Marc Barrs fünfter Regiearbeit stehen zwei gesellschaftliche Aussteiger. Um sein Verlangen zu befriedigen, bewegt sich Chris außerhalb juristischer und moralischer Gesetze und führt ein Vagabundenleben, während es Aurora weg von ihrem wohlbehüteten Leben und direkt in die Arme von Chris zieht. Keiner der beiden muss sich um seine materielle Grundversorgung scheren und so kappen die Jugendlichen nach und nach den Draht zur Außenwelt. Nur hin und wieder verlassen sie den Schutz ihres Appartements, vorwiegend auf der Suche nach neuen Mordopfern oder Sexualpartnern. Dabei gleichen sich die umtriebigen Exzesse eins ums andere Mal. So frönen die Protagonisten ihren fleischlichen Gelüsten, reisen in einem alten VW-Bus durch Frankreich und töten hier und da wahllos Menschen. Auf die Psyche seiner Figuren geht Jean-Marc Barr dabei nur bedingt ein. Chris‘ Leben wird beispielsweise in fünf kurzen Sätzen abgehandelt und wenn darüber hinaus dann doch einmal eine Erklärung angeboten wird, bleibt diese viel zu schematisch. Räumt der Film in einem Moment noch mit dem Klischee auf, alle Serienmörder hätten in ihren Kindertagen regelmäßig Tiere gequält, wird im nächsten Moment wieder tief in der küchenpsychologischen Schublade gegraben und etwa auf prügelnde Vaterfiguren verwiesen.
Ein sicheres Händchen beweist Regisseur Barr hingegen bei der Besetzung. Mit Pierre Perrier („Plein Sud") und Lizzie Brocheré („Nuitblanche") haben sich zwei überdurchschnittlich attraktive Hauptdarsteller gefunden, denen es dennoch gelingt, Klischees größtenteils zu umschiffen. Pierre Perrier versteht es, dem zwanghaften Trieb seines Charakters auf subtile Weise Ausdruck zu verleihen. Repräsentativ hierfür steht eine Szene, in der sich seine Figur ein intensives Blickduell mit Aurores Vater um die autoritäre Vorherrschaft über das Mädchen liefert. Ihre bedingungslose Unterwürfigkeit hingegen bildet den Gegenpart zur überwältigenden Dominanz von Chris und nimmt zwischenzeitlich beinahe apathische Züge an. Lizzie Brocheré meistert diese Herausforderung souverän. Auch das, was ihrer Figur an Entwicklung zugestanden wird, gibt sie überzeugend wieder: Nimmt Aurore die Mittäterschaft zuerst billigend in Kauf, in der rationalen Überzeugung, sie könne Chris tatsächlich von seinem wahnhaften Kurs abbringen, so wird diese Überzeugung später selbst wahnhaft. Ihr ausgeprägter Helferkomplex macht sich dann auch immer stärker äußerlich bemerkbar – die Jugendliche beginnt zusehends zu verrohen.
Leider kommt die Handlung trotz formidabler Darsteller nie so richtig in Fahrt. Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass Barrs sich viel zu sehr auf die wiederkehrenden Sexszenen einschießt. Fast hat man den Eindruck, es mit einem verkappten Erotik-Streifen zu tun zu haben, würde die Bettgymnastik nicht immer wieder durch die mörderischen Streifzüge unterbrochen. Zwischen diesen beiden Polen gefangen bleiben dann auch die Charaktere – es bietet sich schlicht kein Raum für ambivalente Zwischentöne. Eine französische Variante von Oliver Stones „Natural Borne Killers" ist „American Translation" also wahrlich nicht, denn dafür fehlt es der Killer-Romanze einfach an Biss und auch ein gesellschaftskritischer Bezug wird nicht weiter herausgearbeitet. Am Ende steht – so ernüchternd das klingen mag – tatsächlich nur die Erkenntnis, dass auch in einem äußerlich unauffälligen Menschen eine dunkle Seele wohnen kann.