Hollywood wollte sie als Österreicherin unter dem Namen Gilda Christian verkaufen und die Sittenhüter im Nachkriegsdeutschland hätten sie nach ihrer legendären Nacktszene in „Die Sünderin" am liebsten auf eine einsame Insel verbannt. Aber Hildegard Knef ließ sich nicht verbiegen und wurde der einzige deutsche Star ihrer Zeit, dessen Auf und Ab international unzählige Zeitschriftenseiten füllte. Diesem Mythos spürt Kai Wessel nun nach, wobei er leider nie zum richtigen Erzählrhythmus findet. Trotz einer vortrefflichen Heike Makatsch in der Titelrolle wird die Film-Biographie „Hilde" ihrem Gegenstand nicht vollständig gerecht.
Gegen die Einwände ihrer Mutter Frieda (Johanna Gastdorf) wird Hildegard Knef (Heike Makatsch) im Jahr 1943 an der Schauspielschule Potsdam-Babelsberg aufgenommen. Mit ihrer kecken Art fällt sie schnell auf und verliebt sich Hals über Kopf in den verheirateten Tobis-Chef Ewald von Demandowsky (Anian Zollner). Als dieser zur Armee einberufen wird, verkleidet sich Hilde als Mann und verteidigt Berlin gegen die herannahenden Alliierten. Sie gerät kurzzeitig in Kriegsgefangenschaft und lernt in den Trümmern der Hauptstadt ihren ersten Ehemann, den jüdischen GI Kurt Hirsch (Trystan Puetter) kennen. Nach ersten Erfolgen auf den deutschen Leinwänden erliegt sie dem Ruf Hollywoods, wo die Filmangebote trotz guter Presse ausbleiben. Erst der Skandal um „Die Sünderin" verhilft der Knef zu Rollen in großen Produktionen. Aber nach einigen Misserfolgen wird sie im Filmgeschäft Ende der Fünfziger abgeschrieben. Unterstützt von ihrem zweiten Ehemann David Cameron (Dan Stevens) kann sich Hildegard Knef auch nach diesem Rückschlag neu erfinden. Ihre zweite Karriere als Sängerin wird eingeläutet und gipfelt 1966 in einem vielumjubelten Auftritt in der Berliner Philharmonie...
Mal war ich die Brave, mal war ich der Vamp, mal war ich in Nerzen, mal ganz ohne Hemd. Amerika sprach, es sei ohne mich arm, und ich hatte Mitleid und folgt' dem Alarm. Von nun ging's bergab.[1]
„Hilde" ist der Film Heike Makatschs. Nach den ersten Schritten vor der VIVA-Kamera mauserte sie sich bereits im vergangenen Jahrzehnt zu einer achtbaren und vielgefragten Aktrice – ihre Darbietung als Hildegard Knef ist jedoch das Sahnehäubchen auf ihren bisherigen Schauspielkarriere. Erstaunlich sind bereits die äußeren Ähnlichkeiten zu Knef, die besonders in der Eröffnungssequenz hervorgehoben werden, wenn zwischen Archivaufnahmen und Filmgeschehen hin- und hergeschnitten wird. Während der späteren Interviewszenen und Bühnenauftritte offenbart die Makatsch allerdings erst richtig, wie tief sie sich in ihre Rolle einarbeitete. Perfekt imitiert sie die Mimik und die Gesten der Filmdiva. Hämisch verzieht sie den Mund, reckt selbstbewusst das Kinn und stolziert forsch vor den Kameras der Pressemeute – ganz im Stile Hildegard Knefs.
Aber nicht nur optisch ist Heike Makatsch ihrem Vorbild zum Verwechseln ähnlich. Mit geschlossenen Augen ist man nur ein marginaler Unterschied zwischen der Stimme Hildegard Knefs und der Makatsch-Interpretation zu vernehmen. Grandios eignet diese sich die rauchige Stimme und den kurzatmigen Gesang an. Makatsch verleiht alten Gassenhauern wie „Für mich soll's rote Rosen regnen", „In dieser Stadt" und „Von nun an ging's bergab" einen eigenen Glanz – und erhielt zudem die Möglichkeit den von Hildegard Knef nicht vollendeten Song „After Eight" einzuspielen. Spätestens nach dieser rundum umwerfenden Performance sollten alle Zweifel an den Fähigkeiten der einstigen Videoclipmoderatorin beseitigt sein.
Jetzt war ich berühmt, war Hilde im Glück, kam freudig erregt in die Heimat zurück. Bekam einen Preis und wurde verwöhnt, doch nach einer Pleite, da war ich verpönt. Von nun an ging's bergab.[1]
Leider kann „Hilde" aus dieser überlebensgroßen Darbietung kein Kapital ziehen. Zwar ist die Beschränkung der Handlung auf einen begrenzten Lebensabschnitt von etwa einem Vierteljahrhundert weise, zumal damit ein angemessener Eindruck von der Berg- und Talfahrt im Knef'schen Leben möglich wäre. Allerdings funktioniert diese Konzentration dramaturgisch in keiner Weise. Der Rahmen für die Erzählung, der erste Auftritt einer Unterhaltungskünstlerin in der Berliner Philharmonie im Jahr 1966, ist willkürlich gewählt und wirkt gezwungen. Da sitzt die Knef in ihrer Garderobe, qualmt geistesabwesend eine Zigarette und in der Gedankenverlorenheit schweift der Film in die Vergangenheit ab, um die Frage zu beantworten, wer Hildegard Knef eigentlich ist.
Maria von Heland schneidet ihr Drehbuch vollständig auf die Person Knef zu. Dennoch gelingt ihr keine zufriedenstellende Annäherung an die Hauptfigur. Wenn Hildegard beispielsweise von ihrem Mentor Erich Pommer (Hanns Zischler) zu ihrer Kriegsvergangenheit befragt wird, antwortet sie, dass sie nur Schauspielerin sei und nicht für die Politik in die Verantwortung genommen werden möchte. Gerade in solch einem zentralen, thematisch vielschichtigen Moment bleiben die Figur und ihr Handeln aber fremd, denn Knefs zielstrebiger, stets nach vorne blickender Charakter wird nur unzureichend herausgearbeitet.
So werden lediglich die einzelnen Abschnitte im Leben der Knef abgeklappert. Das Hauptaugenmerk liegt hierbei jedoch nicht auf ihrer Arbeit und der Begründung ihres Ruhms – das besonders erfolgreiche Engagement am Broadway wird nur in kurzen Filmschnipseln dargestellt, vom Durchbruch mit „Die Mörder sind unter uns" ist nur die Premierenfeier zu sehen – sondern auf ihren Liebesbeziehungen. Diese bilden jedoch trotz der zahlreichen Meinungsverschiedenheiten, widersprüchlichen Verhaltensweisen und historischen Anknüpfungspunkte kein tragfähiges dramaturgisches Fundament. Es passiert zwar einiges in dem vortrefflich ausgestatteten Film, aber es fehlt ein roter Faden sowie ein überzeugender Höhe- und Zielpunkt. Zu leichtfüßig steht die Knef immer wieder aus den Ruinen ihres Lebens auf. Diese Gleichförmigkeit erschwert die emotionale Teilnahme des Zuschauers am Geschehen ungemein.
Andere Charaktere bekommen in diesem Kosmos, in dem sich alles einzig um die Knef dreht, nur in Ausnahmefällen Luft zum Atmen. Menschen, die für die Entwicklung der Hauptfigur immens wichtig waren, werden daher völlig in den Hintergrund gedrängt. So ist Michael Gwisdek als Hildes Großvater in seinen wenigen Szenen zwar durchaus überzeugend, aber wieso das Verhältnis zwischen Opa und Enkelin derartig innig war und sie ihm das erste Kapitel ihrer Biographie „Der geschenkte Gaul" widmete ist nicht einmal zu erahnen. Einzig der stetig präsenten Mutter und der von Monica Bleibtreu zuverlässig gespielten Schauspiellehrerin Else Bongers wird ein etwas größerer Rahmen eingeräumt.
Erfreulich ist dagegen, dass Kai Wessel nicht den gleichen Fehler macht wie Joseph Vilsmaier. Dieser glaubte seinen wenig geglückten Versuch, Deutschlands anderem Filmstern Marlene Dietrich ein Denkmal zu setzen, mit einer frei erfundenen Liebesbeziehung bereichern zu können. Zwar werden dem kundigen Zuschauer auch in „Hilde" vereinzelte Fiktionalisierungen auffallen, diese sind jedoch verzeihlich und sind stets der filmischen Dramaturgie zuträglich. So rundet die Darbietung von „Für mich soll's rote Rosen regnen", das erst 1968 geschrieben wurde, beim letzten großen Auftritt im Film das Geschehen angemessen ab. Hier ist die künstlerische Freiheit einer kleinen zeitlichen Schummelei sinnvoll eingesetzt und erzielt große Wirkung.
Erst war ich beleidigt, dann war ich verstört, doch dann hat mich einer singen gehört. Ich habe ihn gewarnt, doch er sagte, ich muss, und damit begann der neue Verdruss. Es war nicht meine Schuld, ich bitte um Geduld![1]
In den vergangenen sechzig Jahren wurde viel über Hildegard Knef gesagt und geschrieben. Kai Wessel findet in der Fülle leider nicht den passenden Ansatz für einen mehr als angenehm dahinplätschernden Film über die Vieldiskutierte. Ähnlich wie die Edith-Piaf-Biographie „La Vie En Rose (La Môme)" verliert sich „Hilde" im facettenreichen Leben seiner Titelfigur. Zu viele Aspekte werden aufgegriffen und die Einzelheiten werden nicht konsequent zu einer aufschlussreichen Erzählung gefügt. So trägt einzig die famose Heike Makatsch den Film über seine mehr als zwei Stunden Spielzeit. Das Anhören des Soundtracks wird größeren Spaß bereiten – und wahrscheinlich auch einen tieferen Einblick in die Person Hildegard Knefs gewähren.
[1] Hildegard Knef – Von nun an ging's bergab