Nach seinem innovativ- cleveren Debüt Reservoir Dogs und dem von Filmfans wie Kritikern gleichermaßen verehrten Kult- Thriller Pulp Fiction standen Quentin Tarantino in der Traumfabrik mit einem Mal alle Türen offen. Daher erstaunte es umso mehr, welchen Film das Wunderkind als nächstes ins Rennen schickte: “Jackie Brown”- eine huldvolle Verneigung vor dem Blaxploitation- Kino der 70er Jahre und dessen unangefochtener Königin Pam Grier- lief den Erwartungen der Fangemeinde zuwider und enttäuschte sogar einige eingefleischte Tarantino- Freaks. Der Grund: Die Leinwand- Adaption von Elmore Leonards Roman “Rum Punch” ist zwar im Kern ein waschechter Tarantino, dennoch sticht das Werk mit seiner sehr zurückhaltenden, unaufgeregten Machart aus dem Oeuvre des Meister- Regisseurs auffallend heraus…
Die schwarze Stewardess Jackie Brown (Pam Grier) wird am Flughafen mit einem riesigen Batzen Geld und einigen Gramm Kokain erwischt. Da Jackie beharrlich zu der Quelle des brisanten Handgepäcks schweigt, wird sie vorerst mit aufs Revier genommen und eingelocht. Nun ist sie auf die Hilfe ihres Bosses Ordell (Samuel L. Jackson) angewiesen, der den Kautionsvermittler Max Cherry (Robert Forster) damit beauftragt, Jackie gegen einen Betrag von 10.000 Dollar aus dem Knast rauszuholen. Max ist ab der ersten Begegnung schwer angetan von der intelligenten Fl
ugbegeleiterin und führt sie kurzerhand noch in eine Bar aus. Ordell verfolgt indes einen perfiden Plan: Weil er Angst hat, dass Jackie ihn an die Cops ausliefert, will er sie umbringen. Diese allerdings hat das Vorhaben des skrupellosen Waffenschmugglers längst durchschaut und setzt ihrem Auftraggeber die Pistole auf die Brust. Ordell soll ihr Schweigegeld zahlen, dafür bliebt Jackie am Leben und hilft ihm, eine in Mexiko gebunkerte halbe Million Dollar herzuschaffen. Was Ordell nicht ahnen kann: Jackie hat sich inzwischen einen eigenen Plan zurechtgelegt, mit dem sie ihren Boss gegen die Polizei ausspielen und sich ganz allein mit dem Geld aus dem Staub machen kann. Dabei soll Max ihr als indirekter Komplize unter die Arme greifen…
Eingebettet in das charakteristische Flair der afroamerikanischen Kultur der Siebzigerjahre, die sich seinerzeit versuchte zu emanzipieren, erzählt Tarantino in gemächlichem Rhythmus eine simpel anmutende Kriminalgeschichte, die sich immer weiter zu einem unüberschaubaren Reigen aus Betrug, Mord und Erpressung verdichtet, so dass schließlich irgendwann jeder jeden zu hintergehen versucht. Dieses fintenreiche Spiel ist angereichert mit komplexen Personenbeziehungen, die Tarantino mit viel Liebe zum Detail und einem außergewöhnlichen Gespür für stilvolle Zwischentöne vorantreibt. Innerhalb dieser klassischen Crime- Plotstruktur lässt der Regisseur munter Elemente aus anderen Subgenres einfließen, nimmt Versatzstücke aus dem film noir und schafft darin die für ihn so üblichen grotesken, schwarzhumorigen Situationen. Dieses elegante Potpourri, in dem auch reichlich kulturelle Querverweise bezüglich Musik und Literatur zu finden sind, wird durchzogen vom Zeitkolorit der Seventies, genauer: der Blaxploitation- Ära, die in der damaligen Zeit ein Bild des schwarzen Selbstbewusstseins im Kino förderte. Tarantino kommt bei seinem Drahtseilakt nie aus dem Gleichgewicht und bewegt sich auf dem Gerüst dieser vielzähligen Einflüsse äußerst sicher und geradlinig.
Die Figuren in “Jackie Brown” sind durchtriebene, kleinkriminelle Durchschnittsmenschen, die alle dazu bereit sind, für das verlockende Schwarzgeld ein Ding zu drehen. Da ist die dope- süchtige Strandmaus Melanie (Bridget Fonda), die eigentlich den ganzen Tag nur Haschpfeife rauchend auf der Couch in Ordells Wohnung liegt. Oder der faule Ex- Knacki Louis (Robert De Niro), der ungern einen Finger rührt und die meiste Zeit nur damit verbringt, dem lieben Gott die Zeit totzuschlagen. Verkorkste Persönlichkeiten, die sich eine bessere Zukunft erhoffen und mit ihrem bisherigen Leben unzufrieden sind. Das gilt auch für Jackie Brown, eine Frau mittleren Alters, die bei einer der am schlechtesten bezahlten Airlines angestellt ist. Und doch hat diese Jackie einen Joker in der Hand, über den die anderen nicht verfügen: Sie kann perfekt manipulieren und ist viel klüger und gerissener als die Personen in ihrem Umfeld. Die gefährlichste Waffe für die Durchführung ihres Plans, den sie zielstrebig und konsequent verfolgt, ist ihre Intelligenz- gepaart mit einer großen Portion Ausstrahlung und Charme. Pam Grier, jene Ikone der Blaxploitation- Ära, wird in dieser Rolle von Tarantino in den Fokus der Handlung gerückt und beweist sich als großer Star des Films. “Jackie Brown” ist Griers ganz persönliche Comeback- Show, mit der Tarantino seinem früheren Jugendidol ein überschwängliches Denkmal setzt.
“Jackie Brown” ist an Action arm. Mehr als bei seinen früheren Filmen legt Tarantino den Schwerpunkt auf seine Charaktere, deren Handlungen, Stimmungen und Beziehungen zueinander. Mit bizarren Gewaltexzessen und rasanten Schnittfolgen hält sich der Regisseur zurück. Die Inszenierung ist ruhig, entspannt, käme niemals in Verdacht, ihre Trümpfe voreilig auszuspielen. Dabei offenbart sich die Stärke des Films erst in seinen Feinheiten. Zum Beispiel in den brillanten Dialogen, die abgesehen von ihrer hippen Einfärbung durch popkulturelle Zitate und Referenzen erstaunlich reif daherkommen, so etwa ein Gespräch zwischen Jackie und Max, in dem die beiden über das Älterwerden sinnieren. Tarantino lässt sich viel Zeit für seine Figuren, macht deren Perspektiven dem Zuschauer deutlich und erzeugt eine intensive Atmosphäre, die mit dem Einsatz zeitgenössischer Soulstücke zur Liebeserklärung an die Siebziger wird. Die smarten Einfälle, die Tarantino dem Publikum serviert, sind teilweise sogar genial.
Grandios ist auch das Schauspieler- Ensemble. Während Blaxploitation- Heldin Pam Grier, deren Jackie jedem den Schneid abkauft, die treibende Kraft des Films darstellt, begeistern die übrigen Darsteller allesamt ohne Ausnahme. Neben dem wie immer obercoolen Samuel L. Jackson können vor allem Robert De Niro und Robert Forster entscheidende Akzente setzen. De Niro spielt als wortkarger, lahmarschiger Couchpotatoe köstlich gegen sein Mafioso- Image aus Filmen wie “Casino” oder “GoodFellas” an. Und Forster überzeugt als ein Kautionsvermittler, der der große Verlierer in diesem Spiel ist. Sein Max Cherry, der Jackie hoffnungslos verfallen ist, weiß, dass er nur ein stützendes Instrument in Jackies Plan darstellt, hilft ihr aber dennoch, weil er sie begehrt.
Fazit: “Jackie Brown” hat niemals das Ansehen erhalten, das der Film eigentlich verdient und blieb immer ein wenig im Schatten solcher Klassiker wie “Pulp Fiction” oder “Kill Bill”. Dabei ist Tarantinos mit schwarzem Humor gespickte, starbesetzte Gangsterkomödie, die die Passion des Amerikaners für das Kino mit am schönsten visualisiert, ein unterschätztes Kunstwerk, das nebenbei eine Hommage an die Blaxploitation- Ära darstellt, deren umjubelte Ikone Pam Grier hier zu absoluter Hochform aufläuft!