Mit seinen ersten beiden veröffentlichten Regiearbeiten „Reservoir Dogs“ (1992) und „Pulp Fiction“ (1994), sowie seinen Drehbüchern zu „True Romance“ (1993) und „From Dusk till Dawn“ (1996) fabrizierte Quentin Tarantino einen derartigen Kult um sein Werk und seine Person, dass man meinen könnte, das hyperaktive Plappermaul hätte das gesamte Medium Film neu erfunden. Wahnwitzige Dialogduelle, in Coolness getränkte Charaktere und unverblümte, sarkastische Gewalt enterten die Establishment -Fregatten und eine ganze Flotte von Nachahmern des tarantinoesken Stils kenterte und soff ab beim Versuch, den Kult zu erzwingen. Der Meister selbst nahm sich Zeit, ließ nach „Pulp Fiction“, einem der einflussreichsten Filme aller Zeiten, nicht eilends ein Beiboot hinab ins Fahrwasser des Erfolges und der Anbetung. Stattdessen nahm Tarantino einen Roman zur Hand und schrieb Elmore Leonards Krimi „Rum Punch“ (erschien 1992) in ein Drehbuch um, welches zu einer Huldigung einer seiner persönlichen Heldinnen werden sollte: Blaxploitation-Ikone Pam Grier. Aus der Romanfigur Jackie Burke machte er Jackie Brown, womit er Grier und einer ihrer berühmtesten Rollen, „Foxy Brown“, weitere Remineszenz erwies und sie schließlich auch für die Titelrolle gewann.
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Grier spielt die Stewardess Jackie Brown, die Geldbeträge für den Waffenschieber Ordell nach Mexico und zurück schmuggelt. Als ihr zwei Bundesbeamte auf die Schliche kommen, landet Jackie für kurze Zeit im Gefängnis, wird jedoch von dem Kautionsagenten Max Cherry rausgepaukt. Während Cherry sofort Gefallen an der attraktiven Frau findet, wollen die Bundesbeamten Jackie zur Mitarbeit und Überführung Ordells bringen. Als sie 500.000$ ins Land einführen soll scheint der Zeitpunkt zum Zuschlagen gekommen. Doch nur Cherry ist eingeweiht, mit welcher Raffinesse Jackie Brown ihre eigenen Pläne verfolgt...
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Quentin Tarantino tat niemandem den Gefallen und erwies sich selbst nicht den Bärendienst, mit „Jackie Brown“ den nächsten „Pulp Fiction“ schaffen zu wollen. Keine sonnenbebrillten Gangster in schwarzen Anzügen, keine exzessiven Gewaltausbrüche und nur wenige Experimente in der Erzählstruktur; „Jackie Brown“ ist ein um einige der etablierten Stilmittel entschlackter Tarantino, aber immernoch klar als solcher erkennbar. Auf den ersten Blick könnte man meinen, der Film biedere sich all jenen Kritikern an, die Tarantinos Gewaltdarstellungen als Perversionen eines gestörten Geistes zu interpretieren wissen und vielleicht ist er wirklich das Werk, bei dem diese Fraktion am ehesten das Talent des Regisseurs anzuerkennen bereit ist. Im fast schon logischen Umkehrschluss blieb „Jackie Brown“ die Liebe einiger Fans durchaus verwehrt, was der Film aber weder als solcher, noch als Teil des Gesamtwerkes seines Schöpfers verdient hat.
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Als Hommage an Mike Nichols‘ „Die Reifeprüfung“ (1967) und unterlegt mit Bobby Womacks 70‘s-Flair erzeugenden „Across 110th Street“ begleiten die Opening Credits Stewardess Jackie Brown durch den Los Angeles Airport, um sie dann für längere Zeit zu verlassen und den Zuschauer stattdessen zum Zeugen eines großspurig auftretenden Ordell Robbie zu machen. Dieser trumpft vor seinem apathisch-rumdrucksenden Parter Louis und der dauerbekifften Melanie mit reichlich nacherzähltem Wissen über Schusswaffen auf, während im Fernsehen „Chicks who love Guns“ läuft. Und schon schafft Tarantino wieder einen jener unverwechselbaren Momente und zweigt vom Hauptstrom des Films einen von zig endlosen Dialogflüssen ab, die sich zwar in „Jackie Brown“ nicht in der vollendeten Banalität ergehen, mit der sie „Reservoir Dogs“ und „Pulp Fiction“ zuhauf fluteten, aber hier wie dort immer auch nicht nur oder nicht einmal vorranging die Handlung, sondern die Charaktere voranbringen. So bringt Tarantino um einige Kurven gelenkt die Beziehungen des Trios Ordell, Louis und Melanie zum Vorschein, ohne dass sich auch nur der Hauch einer Story ankündigte, die drei dafür aber sofort Stellung in den jeweiligen Ecken beziehen, die der Regisseur ihnen zuweist. Das Tempo bleibt in der Folge bis kurz vor den völligen Stillstand gedrosselt, Ordell erfährt, dass einer seiner Handlanger, Beaumont, im Knast gelandet ist, beauftragt Max Cherry mit der Kautionszahlung und tötet Beaumont nach dessen Freilassung. Den Mord inszeniert Tarantino für seine Verhältnisse zurückhaltend aus weiter Entfernung, zwei Schüsse, kein Blut und dennoch wirkungsvoll genug, um Ordells Kaltblütigkeit zum Zwecke des Selbstschutzes klar zu machen. Fahrt und Zusammenhang kommt erst in die Geschehnisse, als Jackie Brown mit einer beträchtlichen Menge Geld im Gepäck festgenommen wird und sich als Kurierin Ordells entpuppt.
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Die Betonung liegt aber weiterhin auf Langsamkeit, besser gesagt auf Sorgfalt. Die Geschichte hätte sich problemlos in einem 90minüter unterbringen lassen und in den 148 Minuten, die „Jackie Brown“ dauert, gibt es weder sonderlich abwechslungsreiche Schauplätze oder ständige Überraschungen zu sehen, vielmehr legt Tarantino gesteigertes Augenmerk auf die Figuren und räumt ihnen jeden erdenklichen Raum frei, den der Plot nicht benötigt. Seine Schauspieler danken es ihm mit farbigen Performances, wobei die stets besonders in Szene gesetzte Pam Grier natürlich herausragen soll und dies auch tut. Sie macht ihre Jackie Brown resolut zur Herrin der Lage, wobei das Kunststück darin besteht, dass niemand es bemerkt. Jede kleinste Anpassung an ihr jeweiliges Gegenüber, an Ordell, an Cherry, an die Bundesbeamten, jedes bißchen Wechsel in Mimik und Gebaren, wird von Tarantino genauestens beobachtet und von Grier passend gemeistert. Sie ist zwar nicht aus ähnlich kultigem Material, wie etwa die Vega-Brüder Vic und Vincent, dafür bleibt Jackie Brown eine greifbarere, nachvollziehbarere Person, der man ohne großartiges Wissen um ihren Hintergrund beisteht und folgt. Darüberhinaus beweist sie Quentin Tarantino als herausragenden Figurenzeichner auch abseits eines vornehmlich von Brutalität geprägten Jargons. Neben Grier überzeugen Samuel L. Jackson und Robert De Niro in völlig untypischer Rolle standesgemäß, genauso Michael Keaton als Beamter des ATF Ray Nicolette. Bridget Fonda spielt ordentlich, erfüllt aber lange nicht wirklich einen Zweck, außer der Auslebung von Tarantinos Fußfetisch und des weiteren Verweises in Form ihres Bikinioberteil/Minirock-Outfits auf die Blaxploitation-Orientierung des Films. Heimliches Highlight von „Jackie Brown“ ist aber Robert Forster als Kautionshändler Max Cherry, der der verbrecherischen Stewardess vom Fleck weg verfällt und ungemein sympathisch-unaufgeregt spielt.
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Nebst einer perfekten Auswahl an akzentsetzend-sicher genutzen Songs fehlt es dem Film ebensowenig an ironisch-skurilem Dialog- und Situationswitz und einigen, durch die Figuren interessant gehaltenen Höhepunkten und spannenden Auseinandersetzungen. Tarantino gelingen passgenaue Portraits und auch wenn seine Bilder sich hier und da ein wenig zu ausgiebig am Anblick seiner Hauptdarstellerin ergötzen, ist „Jackie Brown“ durch das Ineinandergreifen seines Zentrums (Grier) und der Nebenschauplätze (Jackson, De Niro, Forster, Keaton) höchst gelungenes Kino. Durch Flashbacks und einige Montagen verkauft Tarantino die Story komplexer, als sie ist und inszenierte letztlich nie näher an der Konvention. Dennoch ist der Film mehr als eine bloße Fingerübung und die richtige Maßnahme, um das Kult- und Kulturphänomen Quentin Tarantino darauf herunterzurechnen, was er ist: ein Regisseur, dem eine schier grenzenlose Vielfalt an erzählerischen Möglichkeiten und Variablen zur Verfügung steht und der dieses Ausnahmetalent zu nutzen weiß.
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komplette Review siehe http://blogs.myspace.com/index.cfm?fuseaction=blog.view&friendId=418824324&blogId=505320034