Gegenüber Die durch die Hölle gehen, Apocalypse Now, Platoon und Full Metal Jacket ist Roland Joffés Kriegsdrama „The Killing Fields“ ein wenig in Vergessenheit geraten. Dabei steht sein Kinodebüt den Genannten an Qualität kaum nach. Joffés (Der scharlachrote Buchstabe, „Mission“) Film mischt zwei populäre Strömungen der 1970er: Er gehört einerseits zu den am Ende der Dekade zur Aufarbeitung des Vietnamtraumas verstärkt hervortretenden Antikriegs-Filmen, andererseits birgt er eine Hauptfigur, die in der politischen Wirklichkeit sowie in Polit-Thrillern jener Zeit als moralisches Gewissen Amerikas fungierte und seit Watergate fast schon als Erfindung der 1970er durchgeht: einen investigativen Journalisten (siehe auch: Die Unbestechlichen). Das grandios fotografierte (Oscar für die Beste Kamera: Chris Menges) und überragend gespielte Kriegsdrama schildert ein Stück der Geschichte Kambodschas, einem Kollateralschadengebiet des Vietnamkriegs, mittels einer schmerzhaften, alle Grenzen überschreitenden Freundschaft zweier kulturell gegensätzlicher Charaktere. Indes ist die Plakette „basierend auf einer wahren Begebenheit“ kein bloßer Zuschauerfang. Der britische Film gründet auf den Erlebnissen des amerikanischen Journalisten und Pulitzerpreisträgers Sydney Schanberg und seines Freundes Dith Pran.
Mitte der 1970er: Der Krieg im benachbarten Vietnam greift auf Kambodscha über. Sydney Schanberg (Sam Waterston), Kriegsberichterstatter der New York Times, streift mit seinem einheimischen Übersetzer und Helfer Dith Pran (Haing S. Ngor) durch die Hauptstadt Phnom Phen, um dem undurchsichtigen Kriegsgeschehen auf den Grund zu gehen. Die Lage wird von Tag zu Tag brenzliger, doch als die Roten Khmer, eine kommunistische Guerillaorganisation, 1975 die Macht an sich reißt, eskaliert die Situation in unzähligen Massakern und Gefechten. Schanberg und Pran können sich zunächst in die französische Botschaft retten, doch die neuen Machthaber erzwingen die Ausreise aller ausländischen Journalisten und die Auslieferung aller Einheimischen. Pran steht als gebildeter Kambodschaner vor der sicheren Hinrichtung, während Schanberg zurück in New York machtlos und schuldgepeinigt um das Leben seines Freundes bangt…
Unmittelbar nachdem die USA sich 1975 aus dem verfassungswidrigen und neutralitätsverletzenden Schattenkrieg gegen Nordvietnam auf kambodschanischen Boden zurückzogen, fiel die Hauptstadt Phnom Phen unter die Kontrolle der Roten Khmer, die zuvor bereits die ländlichen Gebiete beherrschten. Es begann das düsterste Kapitel der Geschichte Kambodschas. Alle Stadtbewohner wurden binnen kürzester Zeit gezwungen, die Städte zu verlassen, um auf dem Land für die Errichtung des Bauernstaates zu arbeiten, die intellektuelle Elite wurde ausgelöscht und von vormals sieben Millionen Kambodschanern kamen in den folgenden vier Jahren schätzungsweise zwei Millionen um, viele in den sogenannten „Killing fields“.
Während die erste Filmhälfte Schanberg und Pran im kriegswirren Phnom Phen auf der Suche nach Informationen folgt und anhand dessen die Beziehung der beiden darlegt, geht die zweite Hälfte einher mit der Schreckensherrschaft der Roten Khmer und aus dem Antikriegsfilm wird ein Flüchtlingsdrama. Im Gegensatz zu anderen thematisch ähnlich gelagerten Werken speist sich die Erzählung diesmal nicht aus der Sicht eines US-Soldaten. „Killing Fields“ eröffnet gerade im zweiten Teil über Pran erstmals auch einen asiatischen Blickwinkel auf die Auseinandersetzungen in Südostasien. Der Film schildert, und das ist ihm am höchsten anzurechnen, Geschehnisse nach dem Abzug der Amerikaner, als diese in der Heimat ihre Wunden leckten, während in Kambodscha das Grauen erst begann. Der Fokus ruht nicht auf den USA, sondern auf dem Trümmerfeld, das diese zurückließen. Der amerikanische Journalist ist nicht der Held, sondern ein Schuldbeladener, der das Leben seines Freundes auf seinem Gewissen fühlt. Der Figur des Journalisten widerfährt eine Dekonstruktion: Zwar strebt Schanberg nach der Wahrheit, doch tut er dies erstens rücksichtslos und zweitens hat seine Wahrheit keine Konsequenzen, bringt keine Linderung, geschweige denn Besserung. Sie ist trost- und wirkungslos – ein ins Leere ragender Brückenkopf. „Killing Fields“ zeichnet keine psychologische Metamorphose wie Full Metal Jacket, um das Grauen des Krieges zu fassen, veranschaulicht an keinem dem Wahn anheim gefallenen Charakter den Irrsinn der Ereignisse – und wird dem Horror doch gerecht.
Es ist erstaunlich, auf welch außerordentlich pragmatischen Einsatz der Mittel Joffé sich beschränkt. Wo Coppolas genialischer Höllentrip Apocalypse Now eine Überwältigungsstrategie auffuhr und die Abscheulichkeiten des Krieges in unbegreiflichen Dimensionen von Explosionen, Wahnsinn und Filmlänge übersetzte, konzentriert sich „Killing Fields“ auf intimere Zusammenhänge. Kaum eine Szene wird in ihrer Wucht zur Schau gestellt, um dem Zuschauer vor Augen zu führen, was für eine Bestie der Krieg ist. Die Charaktere agieren die Szenen aus, es geht vordergründig um sie, nicht um die Wirkung auf den Zuschauer. Nie biedert der Film sich dem Zuschauer an: Alles, was man an Gewalt, Grausamkeiten oder Verzweiflung zu sehen bekommt, ist an Figuren und Konsequenzen gebunden. Alles ist Mittel zum Zweck. Wenn Pran die unvergleichliche Landschaft durchwandert, liefert Kameramann Chris Menges Bilder zum Staunen, die jedoch unmittelbar geerdet werden: Wie aus dem Nichts stößt Pran auf die titelgebenden „Killing fields“. Das Grauen liegt gebettet in unschuldiger Pracht.
Während Sam Waterston (Heaven’s Gate) den Journalisten Schanberg überzeugend spielt, ohne zu glänzen, liegt der große Trumpf des Films in der Besetzung des Dith Pran. Haing S. Ngor, der niemals zuvor vor einer Kamera stand, gibt eine atemberaubende Darbietung. Sein Spiel ist auf den Punkt, keine Geste oder Mimik ist zu viel, sein Gesicht wird im Verlauf zum Text des Films, den es zu lesen gilt. Bemerkenswerterweise durchlitt Haing S. Ngor ein ähnliches Martyrium wie der wirkliche Dith Pran. Er überlebte vier Jahre Repression und Zwangsarbeit unter den Roten Khmer, bevor er 1980 in die USA flüchtete und für die Rolle des Dith Pran gecastet wurde. Eine weitere Grundlage des Films ist das gelungene Zusammenspiel zwischen Waterston und Ngor. Der Wandel der Beziehung beider Charaktere zueinander – von einer anfänglich klaren Hierarchie über eine gegenseitige Abhängigkeit hin zu einer tiefen Verbundenheit – ist glaubwürdig skizziert. John Malkovich liefert als Kriegsfotograf eine für Malkovich-Verhältnisse zurückhaltende Performance zwischen dem Reflex, all die Grauen auf Film zu bannen, und dem Kampf um die eigene Menschlichkeit. Er gibt damit eine Light-Version von Dennis Hoppers Darbietung in Apocalypse Now.
Mit der Filmmusik zu There Will Be Blood komponierte Jonny Greenwood einen der eigenwilligsten und irritierendsten Scores der jüngeren Filmgeschichte. Eine ähnlich verquere musikalische Untermalung schuf Multi-Instrumentalist Mike Oldfield phasenweise für die erste Filmhälfte, in der sich Synthieklänge mit experimentalen Klangkaskaden abwechseln, wobei die verstörende Wirkung dem Porträtierten durchweg angemessen ist.
Joffès Meisterwerk hat seinen würdigen Platz in der Galerie großer Antikriegs-Filme. Die verschobenen Blickwinkel unterstreichen seinen Wert und Verdienst, doch besticht er vor allem durch seine Authentizität. Mit der Geschichte Haing S. Ngors im Hinterkopf sowie dem Wissen, dass zahlreiche Szenen des Films in der gezeigten Form von den echten Pran und Schanberg bezeugt sind, lässt man auch das tränenziehende Finale gerne durchgehen.