Wenn es in der Geschichte des Kinos je eine Konstante für die Produktivität eines Künstlers geben sollte, dann kann das Vorbild hierfür nur Woody Allen heißen. Allein in den Achtzigern produzierte der exzentrische New Yorker im Durchschnitt mehr als einen Film pro Jahr, schrieb seine eigenen Drehbücher und stand fast immer auch selbst als Hauptdarsteller vor der Kamera. Mit seiner dicken Brille, den zerzausten Haaren und dem neurotisch, unbeholfenen Auftreten wurde der von ihm kreierte Figurentypus des „Stadtneurotikers“ zum unverkennbaren Aushängeschild, der corporate identity des „Unternehmens“ Woody Allen. Zwar ermöglichte ihm der große kommerzielle Erfolg von Der Stadtneurotiker und Manhattan künstlerisch weiterhin unabhängig zu bleiben, doch das Thema des in vielen Fällen nur kurzfristig währenden Starkults färbte auf Allen ab und blieb für einige Jahre an ihm haften. Der 1983 veröffentlichte „Zelig“ war daher nur der Auftakt zu einer Reihe von Filmen, in der Allen sich kritisch mit dem Themenkomplex der US-amerikanischen Mediengeschichte auseinandergesetzt hat. Im perfekten Stile eines Dokumentarfilms erzählt Allen hierin die fiktive Lebensgeschichte von Leonard Zelig, der auf der Suche nach seiner wahren Identität wie kaum ein anderer die verheerende Wirkung medialer Ausbeutung zu spüren bekommt.
„It’s safe to be others… I want to be liked.“ (Leonard Zelig)
Auf der Suche nach seiner Identität und mit dem ständigen Bedürfnis von allen Menschen gemocht zu werden, nimmt der Anpassungskünstler Leonard Zelig (Woody Allen) nicht nur die Persönlichkeit der ihn umgebenden Menschen an, er meistert auch die äußere Verwandlung scheinbar spielerisch. So wird Zelig in der Nähe von Indianern zum Indianer, in einem Krankenhaus übernimmt er die Rolle eines Psychiaters und im Baseball-Stadion spielt er an der Seite des legendären Babe Ruth. Zunächst als Sensation und Kuriosum gefeiert, wird Zelig mit der Zeit zum erbitterten Streitfall für die verschiedensten Gesellschaftsteile. Ob Ärzte, Psychologen, oder Politiker – selbst der Ku-Klux-Klan meldet sich im Zuge der allgemeinen Hysterie zu Wort und missbraucht Zelig für eine rassistische Hetzkampagne. Einzig die Psychiaterin Eudora Flatcher (Mia Farrow) zeigt wirkliches Interesse an Leonard Zelig, sorgt sich um ihn und diagnostiziert sein Leiden schließlich als ernstzunehmende Persönlichkeitsstörung. Als den Zeitungen jedoch bekannt wird, dass Zelig während seiner Verwandlungszustände unter anderem auch mehrere Frauen geheiratet und geschwängert haben soll, dreht sich die anfangs positive Stimmung und Zelig wird zu Projektionsfläche sämtlicher gesellschaftlicher Feindbilder.
Mit eben genau dieser Art und Weise des ironischen Spiels drückt Allen dem Film nicht nur seinen Stempel in Form satirischer Komik auf, er verleiht „Zelig“ zudem ein erstaunliches Maß an künstlerischer Substanz. Denn was den Mythos der Figur Leonard Zelig in Wirklichkeit so einzigartig macht, ist nicht etwa seine ausgeprägte Persönlichkeit, sondern gerade die Abwesenheit klar definierter Identitätsmerkmale. Indem er sowohl das äußere Erscheinungsbild, als auch die Verhaltensweisen seiner unmittelbaren Umgebung nach belieben adaptiert, gibt Zelig jegliche Integrität seines Charakters auf. Doch die äußerst extravagant anmutende Erfolgsformel geht anfangs voll auf: Von der Presse quasi über Nacht zum neuen Star gekürt, verkehrt Zelig mit den exklusivsten Persönlichkeiten – ganz gleich ob in Politik, Showbiz oder Sport. Auch die Vermarktung seiner Person als neues Idol kennt keine Grenzen. So werden mit dem Image des menschlichen Chamäleons Zelig nicht nur die skurrilsten Produkte beworben, auch in der Popkultur wird der eigens geschaffene „Chamäleon-Tanz“ zum absoluten Sensationshit. Kurzum: Leonard Zelig wird von den Medien zum ultimativen Modetrend heraufbeschworen. Seine rasante „Medienkarriere“ zeigt neben der ad absurdum geführten Sensationslust einer aus Allens Sicht völlig auf Kommerz ausgerichteten Gesellschaft die extrem kurze Halbwertszeit von immer wieder neu konstruierten Identifikationsfiguren. Denn paradoxerweise ist es gerade der Starkult um Zelig, der ihn erst zum rasanten Aufstieg verholfen hat und am Ende dann doch wieder vergessen lässt.
Abgesehen von den immer wieder auftauchenden großen Themen wie der Psychoanalyse und der Rolle des Künstlers in der modernen Welt, dreht sich im Allen-Kosmos der Achtziger beinahe alles um das eigene Medium als Gravitationspunkt seiner Filme. Ob Filme über das Filme machen an sich („Stardust Memories“, „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“), Referenzen an andere Filme („Hannah und ihre Schwestern“), oder der Film im Film („The Purple Rose of Cairo“) – das selbstreflexive Element ist nahezu allgegenwärtig in dieser Schaffensphase. In „Zelig“ ist eines der herausragenden Themen insbesondere die diffuse Grenze zwischen Fiktion und Realität. Denn die Figur Leonard Zelig ist fiktiv, seine Filmbiografie nichts weiter als eine – technisch nahezu perfekte – Simulation dessen, was das dokumentarische Erscheinungsbild vorgibt, in Wirklichkeit zu sein. Eingepasst zwischen realen Aufnahmen aus dem Archiv posiert Zelig mit berühmten Persönlichkeiten wie den US-Präsidenten Coolidge und Hoover und verwischt so zunehmend die Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst. Als weiteren Kniff lässt Allen eine Reihe renommierter Intellektuelle wie Bruno Bettelheim, Susan Sontag, Irving Howe oder Saul Bellow unter dem Schleier der Authentizität über das Phänomen Leonard Zelig diskutieren. Im Zeitalter des technisch manipulierbaren Films drängt sich spätestens an diesem Punkt die Frage nach der Glaubwürdigkeit des Mediums auf. Wem soll man schließlich noch trauen können, wenn nicht dem Dokumentarfilm als vermeintlichem Abbild „historischer Tatsachen“?
Das per Woody-Allen-Definition permanent angespannte Verhältnis zwischen den eigenen künstlerischen Ansprüchen und den Erwartungen seines Publikums nach konventioneller Unterhaltung erreichte Anfang der Achtziger mit „Stardust Memories“ einen vorläufigen Höhepunkt. Mit seiner darin geäußerten Unabhängigkeitserklärung „I don’t want to make funny movies anymore“ beendete Allen auf einen Schlag alle Hoffnungen seiner Fans, sich doch noch einmal an frühere Zeiten zurück zu orientieren. Neben den Zuschauern irritierte er damit auch große Teile der Presse, die angesichts des sehr persönlich angelegten Themas vielfach ablehnend reagierte. Vorbei war die Zeit der lockeren Komödien und des Slapstick, Allens Humor wurde subtiler, seine Herangehensweise ernsthafter. Konsequent wie Woody nun mal ist, verfolgt auch „Zelig“ diese Linie, ohne am Ende auch nur einen Millimeter davon abzurücken. Denn weder lässt sich „Zelig“ in übliche Genres einordnen, noch finden sich klassische am Plot orientierte Erzählstrukturen wieder. Vielmehr dekonstruiert Allen diese, indem er Originalaufnahmen aus Archiven als Kunstwerk fiktionalisiert und somit ihre Authentizität wiederholt in Frage stellt.