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    Bound - Gefesselt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Bound - Gefesselt
    Von Johannes Pietsch

    Wenn es eine Hitparade der erotischsten Paare der Filmgeschichte gäbe – sie würden sicherlich einen der vordersten Plätze belegen. So offenherzig und zugleich so spannungsgeladen wie selten zuvor entfachten Gina Gershon und Jennifer Tilly anno 1996 das erotische Feuer zwischen zwei Frauen auf der Kinoleinwand. Gershon als burschikos-kompaktes Heimwerker-Girl mit Knastvergangenheit und Jennifer Tilly als sphärisch-schöne Mafia-Braut bildeten die Idealbesetzung für das lesbische Tete-a-tete, das von Andy und Larry Wachowski in ebenso erotischen wie blutigen Tönen in Szene gesetzt wurde. Die beiden amerikanischen Regie-Brüder kennt man vor allem als Schöpfer der Matrix-Filme. Kaum noch in Erinnerung geblieben ist, dass sie 1995 das Drehbuch für Richard Donners „Assassins“ (mit Sylvester Stallone und Antonio Banderas) lieferten und ein Jahr später mit dem hocherotischen Thriller „Bound“ ihre Premiere als Regisseure feierten. Wobei sie noch eine gänzlich andere Handschrift an den Tag legten als drei Jahre später mit dem Beginn der pompösen „Matrix“-Trilogie. Statt in futuristischen Virtual-Reality-Panoptiken zu schwelgen, schlugen sie mit „Bound“ zunächst einen ähnlichen Weg ein wie kurz zuvor die Gebrüder Coen mit ihrem bizarren, schneeverwehten Gangsterdrama Fargo.

    Gelegenheit macht Liebe und ebenso Diebe – diese beiden Allerweltsweisheiten bilden den Anlass zu dem furiosen, blutigen Crime-Kammerspiel, das die Wachowskis in einem New Yorker Nobelappartement entfesseln. Bis auf ganz wenige Ausnahmen konzentriert sich die gesamte Handlung auf diese Bühne, auf der wie bei Brian de Palma Wände zum entscheidenden, da sowohl trennenden wie auch verbindenden Handlungselement avancieren. Solche dünnen Wände sind es auch, die die Welten von Corky (Gina Gershon) und Violet (Jennifer Tilly) trennen. Corky, eine ehemalige Strafgefangene, schuftet als Handwerkerin in einem zu renovierenden Appartement, Violet schlägt als ebenso gutsituierte wie gelangweilte Gangster-Gespielin in der direkt benachbarten Edelunterkunft die Zeit tot.

    Corky: „ What are you doing?”

    Violet: „ Isn't it obvious? I'm trying to seduce you.”

    Ein erstes zufälliges Aufeinandertreffen der beiden im Fahrstuhl bringt die Geschehnisse ins Rollen. Schon am nächsten Tag steht Violet mit zwei Tassen Kaffee vor Corkys Wohnung. Aus einem ersten Flirt an der Eingangstür wird schnell ein rasantes Liebesspiel der beiden ungleichen Frauen, für dessen Inszenierung die Wachowski-Brüder die amerikanische Erotik-Fachfrau Susie Bright als „technische Beraterin“ engagierten.

    Violet: „That's a great tattoo. Beautiful labrys. Are you surprised I know what it is?”

    Corky: „Maybe.“

    Violet: „I have a tattoo. Would you like to see it?”

    Als zweite Treibladung der Handlung führen die Wachowskis als Mafia-Thriller-typischen McGuffin einen fetten Haufen blutbesudelter Dollarscheine ein. Die hat Violets heimlicher Liebhaber Shelley (Barry Kievel), seines Zeichens Mafia-Buchhalter, unterschlagen und dafür auf recht unappetitliche Weise das Zeitliche segnen müssen, woraufhin die tiefroten Banknoten zusammen mit Violets „offiziellem“ Lover Caesar (Joe Pantoliano) ausgerechnet in ihrem Appartement Unterschlupf suchen. Soviel Blut an den Scheinen jetzt schon klebt, umso mehr des roten Lebenssaftes werden sie im Laufe der sich im Folgenden grotesk zuspitzenden Handlung noch fließen lassen. Denn die zufällige Parallelität der Ereignisse lässt bei den beiden ebenso hinreißenden wie durchtriebenen Damen die Idee heranreifen, der Mafia das Geld abzujagen und sich in eine gemeinsame, gut versorgte und vor allem männerlose Zukunft aus dem Staub zu machen. Und zunächst scheint ihr beinahe genial zu nennender Plan auch aufzugehen.

    Corky: „For me, stealing's always been a lot like sex. Two people who want the same thing: they get in a room, they talk about it. They start to plan. It's kind of like flirting. It's kind of like... foreplay, 'cause the more they talk about it, the wetter they get. The only difference is, I can fuck someone I've just met. But to steal? I need to know someone like I know myself.”

    Während sich die Wachowskis in Stil, Dekor, Ausstattung und Requisiten eindeutig vom klassischen Film Noir inspirieren ließen – beispielsweise spielt John Farrows „Spiel mit dem Tode“ von 1948 in einem ganz ähnlichen Ambiente – so stehen in jenen ebenso grotesken wie blutigen Momenten, in denen die Gangster Schusswaffen und Gartenscheren sprechen lassen eindeutig die Coens Pate. Stellenweise blitzen sogar Hitchcocksche Momente auf, wenn beispielsweise Violets Appartement, in dem sich bereits die Leichenberge türmen, von zwei Polizisten kontrolliert wird, denen Violet und Caesar eine verzweifelte Charade vorzuspielen versuchen.

    Überhaupt geht es vor allem um List und Trug, um Vertrauen und Verrat, um Intrigen, Täuschungsmanöver und Irreführungen, um Überlistung, Verstellungskunst und Übertölpelung, wenn sich die insgesamt vier Parteien der Handlung blutreich um das bereits bluttriefende Geld kabbeln.

    Caesar: „I'm a dead man, Johnnie? I'm a fucking dead man? Guess again, Johnnie. Who's the dead man? Who? Who's dead, fuckface? Who? Who? I can't hear you, Johnnie. Guess again. Take another guess, Johnnie. Take another fucking guess.”

    Im Ambiente des vorzugsweise in gedämpften (Blut-)Rottönen, Schwarz- , Ocker- und Grünschattierungen gehaltenen Sets bleibt die Kamera entweder extrem nah an den Figuren, um auch kleinste Gefühlsregungen inklusive Schweißtropfen einzufangen, oder sie schweift wie bei de Palma mit Röntgenblick aus der Vogelperspektive von einem Raum zum nächsten, beobachtet von oben die beiden Frauen, wie sie in getrennten Wohnungen miteinander telefonieren oder an der Wand auf ein Lebenszeichen der jeweils anderen lauschen.

    Corky: „You planned this whole thing. You dropped that earring down the sink on purpose, didn't you?”

    Violet: „If I say yes, will you take your hand away?”

    Corky: „No.”

    Violet: „Yes.”

    Kennzeichnend für die Charakterisierung der Figuren in „Bound“ ist die Leidenschaft der Wachowskis, Klischees bis zum Lächerlichen auszureizen. Sei es Jennifer Tilly als Gangsterliebchen Violet, die mit ihrer permanent heiser-säuselnden Lispelstimme und ihrem bestrickenden Augenaufschlag so natürlich wirkt wie eine Schaufensterpuppe und damit wunderbar die Femme Fatale aus der Ära des Film Noir in die 90er Jahre transferiert, Joe Pantoliano als völlig überdrehter, hysterischer Kleinganove mit Größenwahn (der Name Caesar hätte passender überhaupt nicht gewählt werden können), John P. Ryan als mondäner Gangster-Chef Micky, Gino Marzzone als dessen väterlicher Mobster-Bruder Gino oder Christopher Meloni, der den unreifen Mafia-Sprössling Johnnie zur puren Witzfigur parodiert.

    Gino: “Cesare, you gotta do me a favor. A personal favor for me. You gotta start respecting Johnny, the way you respect me. Capisce? Good, good. And you, Johnny. You gotta stop acting stupid. You gonna earn this respect that Cesare's gonna give. Capisce? Good, done!”

    Trotz des hocherotischen Untertons des Films sollte der spekulative Titel „Bound – Gefesselt“ keine Erwartungen auf lesbische Bondage-Eskapaden wecken. Zwar finden sich die beiden Heldinnen im Laufe der Handlung oftmals in reichlich misslicher, weil kaum zu Bewegungen fähiger Lage wieder, doch kann dabei von erotischen Fesselspielchen keine Rede sein. Vielmehr ist neben den physikalischen Stricken vor allem die gegenseitige Fesselung gemeint, der die Protagonistinnen von der ersten Sekunde ihres Aufeinandertreffens an erliegen.

    „Bound“ ist todschickes, spannendes Genre-Kino, das durch das Aufeinandertreffen von knisternder Erotik, exzessiven Gewaltausbrüchen und zynischem, schwarzen Humor ebenso besticht wie durch eine kontinuierlich ansteigende Spannungskurve und das seine männlichen Protagonisten nicht selten wie eine fratzenhafte Freakshow vorführt: primitiv, dümmlich, triebgesteuert und tollpatschig. Erstaunlich erscheint, dass die gleichen Regisseure drei Jahre später mit „Matrix“ wieder großkalibrigen Macho-Fantasien anheim fielen.

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