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    Cheyenne - This Must Be The Place
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Cheyenne - This Must Be The Place
    Von Robert Cherkowski

    Der italienische Regisseur Paolo Sorrentino („Il Divo") ist ein Spezialist für den filmischen Ausdruck von Wehmut. Immer wieder findet er erlesene Bilder von tiefer und bleischwerer Traurigkeit. Er erzählt in seinen bitteren Balladen von Männern, denen das Leben, ja selbst das Sterben misslingt, und die das Glück der anderen wie Voyeure nur aus verschämter Distanz beobachten können. Dabei ist nirgendwo der Himmel blauer, das Gras grüner und die Frauen begehrenswerter als bei Sorrentino – und für niemanden ist all dies unerreichbarer und ferner als für seine einsamen Helden. Da macht auch die Tragikomödie „Cheyenne – This must be the Place" mit Sean Penn keinen Unterschied, denn auch fern der Heimat bleibt Sorrentino, der hier erstmals in englischer Sprache und mit einem US-Star drehte, seiner wunderschönen Wehmut treu.

    In den wilden Achtzigern war der düster aufgeputzte New-Wave-Rocker Cheyenne (Sean Penn) ein Star. Zusammen mit seiner Band, den „Fellows", verdiente er sich damals eine goldene Nase. Doch nun fristet er ein zurückgezogenes und recht tristes Leben in Dublin, wo er sich von Tiefkühlpizza ernährt und kräftig am Aktienmarkt spekuliert. Sein sozialer Umgang beschränkt sich auf seine Frau Jane (Frances McDormand, „Fargo"), die ihm bei der Bewältigung des Haushalts hilft, und das ortsansässige Gothic Girl Mary (Bono-Tochter Eve Hewson), das ihm bei Spaziergängen Gesellschaft leistet. Als sein Cousin aus Übersee ihm mitteilt, dass sein Vater im Sterben liegt, kommt Bewegung in Cheyennes liebgewonnene Tristesse. Aus Flugangst nimmt er statt des Fliegers die Fähre und kommt so gerade noch pünktlich zur Beerdigung. Dort wird er mit der Vergangenheit seines jüdischen Vaters konfrontiert, der sein Leben nach seinen Erfahrungen in Auschwitz darauf verwendet hat, seinen einstigen Schinder Alois Lange (Heinz Lieven) zu suchen. Cheyenne beschließt, das Lebenswerk seines Vaters zu beenden und den mittlerweile vergreisten Lange ausfindig zu machen – eine Odyssee, die ihn durch die Weite, die Schönheit und die Widersprüchlichkeit der USA führt...

    Paolo Sorrentino und sein Stammkameramann Luca Bigazzi finden sowohl für Cheyennes genüsslich zelebrierte Schwermut in Dublin als auch für seine existenzialistische Reise durch die Vereinigten Staaten einmal mehr Bilder von berückender Schönheit. Mit vielen ausgiebigen und oft akrobatischen Kamerafahrten sorgen sie für einen visuellen Hochgenuss. Die Virtuosität verkommt dabei nie zum Selbstzweck, vielmehr zaubert Sorrentino eine melancholisch angehauchte Atmosphäre auf die Leinwand, die der wundersamen Reise seines Protagonisten genau die richtige Grundierung verleiht.

    So stimmungsvoll „Cheyenne - This Must Be The Place" auch ist, so liegt in den erlesenen Bildern gelegentlich auch etwas gewollt Kunstvolles. Alles ist spürbar mit Bedeutung aufgeladen, aber was genau Sorrentino seinem Publikum mitteilen will, ist oft gar nicht so leicht zu durchschauen. Ganz offensichtlich geht es ihm um den krassen Kontrast zwischen der unerträglichen Leichtigkeit von Cheyennes Sein und den traumatischen Holocaust-Erinnerungen des Vaters, außerdem inszeniert er den Road Trip seines Helden als eine Reise der Selbstfindung. Aber worauf genau will der Filmemacher hinaus, wenn Cheyenne mit der gleichen unbewegten Miene sowohl News-Beiträge über Barack Obama, als auch über dessen konservative Widersacherin Sarah Palin betrachtet? Wer bei solchen Details Eindeutigkeit erwartet, der ist bei Sorrentino an der falschen Adresse. Er belässt es gern bei ausgeklügelt wirkenden Andeutungen und bleibt dabei einige Male ganz bewusst im Ungefähren stecken.

    Obwohl „This Must Be The Place" im Einzelnen also recht schwer zugänglich sein kann und längst nicht jede Kleinigkeit jedem Betrachter verständlich wird, ist seine Geschichte im Kern doch einfach und klar: Es ist die traurige Erzählung von dem schwermütigen Cheyenne. Der zweifache Oscar-Preisträger Sean Penn bestätigt hier erneut seinen Rang als einer der wandlungsfähigsten und interessantesten Darsteller des US-Gegenwartskinos und fügt seiner eindrucksvollen Karriere eine weitere unvergessliche Rolle hinzu. Üppig mit Kajalstift bemalt und gekrönt von der bizarrsten New-Wave-Mähne seit Robert Smith von The Cure schleppt er sich durch die Szenen, dass man meint, jede Bewegung würde ihm schwere Schmerzen bereiten. Auch akustisch ist Cheyenne ein Ereignis: Wenn der immer etwas weggetreten wirkende Penn eigentlich höchst simple Sätze geradezu herausquält, dann erreicht er ganz neue Höhen des Schrägen und Bizarren. Immer wieder legt Penn neue, auch weniger skurrile Seiten dieses verlebten Dandys offen – bis sich plötzlich ein wahrer Abgrund von Tragik und Selbsthass auftut.

    Cheyenne selbst ist schon ein ungewöhnlicher Zeitgenosse, aber auf seinen Reisen trifft er einige Leute, die noch schrägere Vögel sind als er selbst. Das Spektrum der komischen Kauze reicht von dem Erfinder des Rollkoffers (Harry Dean Stanton) über einen höchst mürrischen Nazijäger (Judd Hirsch) bis zu Batman (!) persönlich. Die meisten Begegnungen sind dabei nur flüchtig, einzig die junge Kellnerin Rachel (Kerry Condon) und ihr Sohn bekommen etwas mehr Leinwandzeit spendiert. In dieser zentralen Episode zeigt sich ein weiteres Mal die für Sorrentino typische Tragik des unmöglichen Glücks. Wenn Cheyenne mit Rachels Sohn eine Version des Titelliedes „This Must Be the Place" der Talking Heads zum Besten gibt, ist dies einer der komischsten und traurigsten Momente des Kinojahres.

    Fazit: „Cheyenne – This Must Be the Place" hat eine Menge zu bieten: virtuoses Kino-Handwerk mit unvergesslichen Bildern und origineller Ton-Kulisse, eine traurig-schöne Geschichte voller skurriler Figuren und Sean Penn wie man ihn noch nie gesehen hat.

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