Außenseiter sind reizvolle Protagonisten. Mit ihrer bisweilen schrägen, zumindest aber sehr eigenen Sicht auf die Dinge scheinen sie prädestiniert für interessante Einsichten in die Absurdität der Welt - und erst recht in die alltäglichen Rituale des menschlichen Zusammenlebens. Gerade im Komödiengenre kann es zudem enorm befriedigend für den Zuschauer sein, wenn etwa der scheue Sozialphobiker Melvin Udall in James L. Brooks‘ Besser geht’s nicht seine Ängste überwindet und gegen alle Widerstände sein Glück findet. Der Antiheld in Almut Gettos gelungener Tragikomödie „Ganz nah bei dir“, der erst zweite Spielfilm der Regisseurin, ist gewiss kein Udall, doch auch er ist über die Maßen spleenig. Mit bittersüßer Komik entfaltet die Regisseurin einfühlsam den sich wandelnden Alltag eines Verschrobenen und eine zwar vorhersehbare, aber dabei dennoch berührende Liebesgeschichte.
Das Leben von Philip (Bastian Trost) ist zwar sehr monoton, doch er hat sich zufrieden darin eingerichtet. Morgens weckt ihn die Zeitschaltuhr seiner Bügelmaschine, die ihm jeden Tag pünktlich sein Hemd faltenfrei aufbläst. Im Grunde hat der Einzelgänger nur zwei Freunde: seine Schildkröte Paul und Aaron (Andreas Patton), der zugleich auch sein Psychiater ist. An seinem Arbeitsplatz möchte Philip nur seine Ruhe, was kein großes Problem darstellt, denn er arbeitet als Experte für Falschgeld im Keller einer Bank, den ganzen Tag begutachtet er schweigend Banknoten. Seine Abende verbringt er in einem Kleinkunstclub und träumt davon, selbst einmal als Pantomime aufzutreten. Plötzlich allerdings geschehen zwei Ereignisse, die Philip aus der Bahn zu werfen drohen, darunter die Begegnung mit der bezaubernden blinden Musikerin Lina (Katharina Schüttler)…
Genau wie in ihrem vielgelobten Debüt „Fickende Fische“ erweist sich Almut Getto auch diesmal als sensible Erzählerin, zumal sie hier den schmalen Grad zwischen den angesichts ihrer Skurrilität erheiternden Beschreibungen von Philips Alltagsroutine und ernsten Szenen meistern muss. Dies gelingt ihr mühelos, gerade weil die Hauptfigur nie vollends der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Vor allem in dialogfreien Sequenzen glücken ihr atmosphärisch stimmige, poetische Momente, perfekt ergänzt durch den schwebenden Soundtrack von Jakob Iljas. Dass das Drehbuch von Speedy Deftereos einige Löcher aufweist, etwa diverse Fragen bezüglich der vielen Nebenfiguren offen lässt, kann man auch als bewusstes Stilmittel auslegen: Das Attribut „märchenhaft“ wäre vielleicht übertrieben, aber es empfiehlt sich nichtsdestotrotz, einfach dem Fluss der Handlung zu folgen, ohne jede Kleinigkeit bis ins Detail zu hinterfragen.
Wenn man Bastian Trost (Schläfer, Das Leben der Anderen) einen Vorwurf machen kann, dann ist dieser zugleich auch ein Kompliment: Er verkörpert seine Figur, ohne sich darum zu scheren, ob er dabei die Sympathien auf seiner Seite hat. Diese eigentlich begrüßenswerte Konsequenz schadet der Wirkung nämlich gelegentlich, weil man sich eben doch bisweilen bei der Frage ertappt, warum man sich eigentlich für diesen unsensiblen Tölpel erwärmen sollte, zumal die Ursachen für seine sozialen Defizite völlig im Dunkeln bleiben. Ausgeglichen wird dieses Manko durch Katharina Schüttler (Die innere Sicherheit, Es kommt der Tag), deren ansteckender Espirit glaubhaft Linas Lebensmut und Trotz zum Ausdruck bringt. Von den hervorragenden Nebendarstellern bleibt vor allem Stephan Bieker, am ehesten bekannt durch seine Auftritte in der Comedy-Serie „Pastewka“, als explosiv-cholerischer Sicherheitsbeamter in Erinnerung.
Fazit: Dass „Ganz nah bei dir“ Anklang beim großen Publikum finden wird, ist leider eher unwahrscheinlich, zu speziell und verschroben – im positivsten Sinne (!) – ist er schlussendlich geraten. Zu gönnen wäre es der kleinen, angenehm unspektakulären Geschichte um zwei ungewöhnliche Menschen aber dennoch auf alle Fälle. Kein perfekter, aber ein charmanter und vergnüglicher Film, wie geschaffen für einen regnerischen Herbstabend.