Hugh Jackman gibt nicht auf! Der Schauspieler wusste ganz genau, dass es auch über ein Jahrzehnt nachdem er in Bryan Singers revolutionärem „X-Men“ erstmals die Adamantium-Klauen anlegte, noch keinen ultimativen Wolverine-Film gab: In der „X-Men“-Trilogie hatte die Figur, die Jackman inzwischen ein halbes Dutzend Mal verkörpert hat, zwar die stärksten Oneliner, aber sie war eben nur ein Mutant unter vielen - und in ihrem ersten eigenen Film „X-Men Origins: Wolverine“ ging ihre gequälte Seele unter vogelwildem Action-Krawall verschütt. Also kämpfte Jackman weiter und gab selbst nach mehreren Verschiebungen und einem Wechsel des Regisseurs (Darren Aronofsky sprang kurz vor Beginn der Dreharbeiten aus persönlichen Gründen ab) nicht auf: Er wollte mit dem für sich allein stehenden „Wolverine: Weg des Kriegers“ unbedingt noch einen Versuch wagen! Und tatsächlich: Regisseur James Mangold („Walk the Line“, „Todeszug nach Yuma“) fährt den Action-Anteil des nach Japan verlegten Mutanten-Geschehens im Vergleich zum Vorgänger drastisch zurück, um so endlich den Blick auf den Kern von Wolverine freizugeben. Aber leider gibt es da auch diesmal nicht viel zu sehen, denn die Filmemacher haben offenbar entweder Angst vor der eigenen Courage bekommen oder waren gezwungen im jugendtauglichen Rahmen zu bleiben.
Nach dem Tod von Jean Grey (Famke Jansen) hat sich Logan alias Wolverine (Hugh Jackman) in die Berge Kanadas zurückgezogen, wo er nun ein Leben als verlotterter Einsiedler führt. Als der jahrhundertealte Mutant eine Nachricht seines im Sterben liegenden Bekannten Yashida (Hal Yamanouchi) erhält, dem er einst während des Atombombenangriffs auf Nagasaki das Leben gerettet hat, macht er sich widerwillig auf den Weg nach Tokio, wo ihm der unmittelbar vor dem Krebstod stehende Multimilliardär ein verlockendes Angebot macht: Yashidas Wissenschaftler haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich Wolverines Selbstheilungskräfte auf ihn übertragen ließen – so könnte der Japaner den Krebs besiegen und der Mutant im Gegenzug endlich ein normales Leben führen. Aber noch bevor sich Logan entscheiden kann, stirbt der alte Mann und bei seiner Beerdigung wird ein Anschlag auf seine bildhübsche Enkelin Mariko (Tao Okamoto) verübt. Logan verhilft ihr zur Flucht und während er wiederholte Angriffe der Yakuza abwehrt, muss er erst einmal herausfinden, was hier im Land der aufgehenden Sonne eigentlich gespielt wird…
Die Drehbuchautoren Mark Bomback, Scott Frank und Christopher McQuarrie haben sich mit der Kult-Miniserie „Wolverine“ von Chris Claremont und Frank Miller den wohl stärksten Wolverine-Comic überhaupt als Vorlage auserkoren. Von dessen Plot ist am Ende allerdings kaum mehr als der Ort der Handlung und das Aussehen einiger Figuren übriggeblieben, was wiederum gar nicht unbedingt schlimm gewesen wäre, wenn man nicht auch die Figur Wolverine vollkommen unnötig weichgewaschen hätte: Im Comic ist der Mutant mit den unzerstörbaren Klauen eine gequälte Seele, ein instinktgetriebener Killer, ein Nihilist wie aus einem Film noir, in der Kino-Version bleibt er hingegen der nette Superhelden-Onkel von nebenan. Bestes Beispiel: Als er Marikos Verlobten Noburo (Brian Tee) bei einer auffallend jugendfrei inszenierten Orgie erwischt, schmeißt Wolverine den Justizminister kurzerhand vom Balkon – aber anstatt am Boden zu zerschellen, landet der Politiker sicher in einem Swimmingpool. Auch das Logan daraufhin anmerkt, er hätte den Pool gar nicht gesehen, macht die Sache nicht wirklich besser: Die ihn antreibende Wut ist nun mal eine der prägenden Eigenschaften von Wolverine - und wenn diese die Oberhand gewinnt, dann scheren ihn auch Menschenleben nicht mehr. Das wird hier nicht herausgearbeitet und so ist es mit dem ultimativen „Wolverine“-Film offenbar wie mit dem ultimativen „Deadpool“-Film – wer auf die vom Studio als unabdingbar vorgegebene Jungendfreigabe achtgeben muss, ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
Die Schwäche des Protagonisten kann indes auch keine der Nebenfiguren nutzen, um sich selbst in den Vordergrund zu spielen: Im Comic waren die schöne Mariko und die rothaarige Yukio (Rila Fukushima) facettenreiche Frauenfiguren, im Film kommen sie nicht über den Status einer austauschbaren Liebschaft beziehungsweise eines nicht sonderlich coolen Action-Sidekicks hinaus. Als Logan Mariko einmal fragt, warum sie denn überhaupt mit dem Arschloch Noburo verlobt sei, antwortet sie, er könne das nicht verstehen, weil er nicht aus Japan sei. Das Gefühl von Unverständnis erlebt unterdessen auch das Publikum von „Wolverine: Weg des Kriegers“ im Verlauf des Films immer wieder, denn die Motive der Gegenspieler des Titelhelden bleiben ebenfalls größtenteils undurchsichtig: Was will die Schlangenlady Viper (Svetlana Khodchenkova) überhaupt? Und warum wechselt der Ninja-Anführer Kenuichio Harada (Will Yun Lee) doch noch ohne Erklärung die Seiten? Für die anderen Figuren ließe sich dieser Fragenkatalog fast beliebig weiterführen – aber wir wollen ja nicht spoilern. Also nur noch ein kleiner Tipp: Wenn im Finale die meilenweit gegen den Wind zu riechende Schlusswendung offenbart wird, tut euch den Gefallen, nicht noch einmal die vorhergehenden 90 Minuten in Gedanken durchzugehen, denn sonst fällt der große Masterplan endgültig wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
Die Idee eines bodenständigen Blockbusters klingt gerade in diesem Sommer 2013, der von Zerstörungs-Bombast à la „Man Of Steel“ und „Pacific Rim“ dominiert wird, durchaus ansprechend. Aber Regisseur James Mangold („Walk The Line“, „Todeszug nach Yuma“) nutzt die durch das Zurückschrauben des Action-Anteils gewonnene Zeit wie gesagt nicht dazu, der Figur Wolverine näherzukommen. Außerdem sollte dann auch die Regel gelten: Je weniger Action, desto spektakulärer muss sie ausfallen! Doch auch auf diesem Gebiet enttäuscht „Wolverine: Weg des Kriegers“: Eine erste Massenprügelei in einem buddhistischen Tempel ist ebenso unübersichtlich wie blutleer, während ein Duell auf dem Dach eines mehr als 300 Meilen schnellen Zuges zumindest einige nette Einfälle offenbart. Im Vorfeld des Finales gibt es die einzige visuell herausragende Szene des Films, als Wolverine in einem verschneiten Dorf von Ninjas attackiert wird (das ist auch die einzige Sequenz, in der das 3D einen Mehrwert bietet), während das „große“ Finale dermaßen bescheiden ausfällt, dass es schon zuzeiten des ersten „X-Men“-Films als alles andere als überwältigend gegolten hätte.
Fazit: Wir geben die Hoffnung auf den ultimativen „Wolverine“-Film nicht auf, aber „Wolverine: Weg des Kriegers“ ist eine einzige vertane Chance.