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    Du sollst nicht lieben
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Du sollst nicht lieben
    Von Jonas Reinartz

    Im heutigen Israel leben circa 650.000 ultraorthodoxe Juden. Tagesablauf und Bekleidung sind strengen Regeln unterworfen. Generell gelten sie als die konservativsten Vertreter ihrer Religion. In diesem für jegliches Verhalten abseits der Norm schwierigen Milieu siedelt der israelische Regisseur Haim Tabakman seinen ersten Spielfilm „Du sollst nicht lieben“ an, der die Geschichte einer riskanten homosexuellen Liebe schildert. Dieser kalkulierte Tabubruch bedeutet jedoch nicht, wie man vielleicht erwarten könnte, die Vorlage für simple Schwarzweißmalerei oder enervierende Melodramatik. Stattdessen erzählt Tabakman in seinem Drama wohltuend unsentimental von einer Beziehung, die durch ihre traditionsfixierte Umwelt unmöglich gemacht wird. Getragen wird die israelisch-französisch-deutsche Co-Produktion zusätzlich vom hervorragenden, subtilen Spiel der hierzulande gänzlich unbekannten Hauptdarsteller Zohar Shtrauss und Ran Danke, wobei letzterer in seiner Heimat auch als Sänger und Model Berühmtheit erlangte. Obgleich ein sehr spezielles Sujet behandelt wird, lohnt sich der Blick in diese nur auf den ersten Blick so fremd wirkende Welt. Der Kern der Ereignisse ist schließlich, wie auch bei dem thematisch ähnlich gelagerten Brokeback Mountain, im besten Sinne universell und somit auch auf andere Kontexte übertragbar.

    Aaron Fleischmann (Zohar Shtrauss), scheinbar glücklich verheiratet mit Rivka (Tinkerbell) und Vater von vier kleinen Kindern, ist ein allseits respektiertes Mitglied der ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde Jerusalems. Pflichtbewusst übernimmt er nach dem Tod seines Vaters dessen erfolgreiche koschere Fleischerei. Kurz nach der Wiedereröffnung schneit der junge Student Ezri (Ran Danke) in das Geschäft herein und findet hier Arbeit als Aushilfe und Unterschlupf in einem Hinterzimmer. Bald kommen sich die beiden näher, doch der Ältere traut sich nicht, seiner Leidenschaft nachzugeben – zu viel steht auf dem Spiel. Der Rabbi Vaisben (Tzahi Grad) warnt ihn wohlweislich vor seinem neuen Freund, der aufgrund seines Lebenswandels bereits eine andere Gemeinde verlassen musste. Aaron versteht seinen standhaften Umgang mit der Versuchung als elementare Prüfung seines Glaubens. Allzu lange vermag er diese Haltung allerdings nicht aufrechtzuerhalten, denn bald gehen er und Ezri eine Affäre ein, die freilich nicht lange unentdeckt bleibt…

    Mit aller Ruhe stellt der Film die Entwicklung einer Amour fou dar. Ebenso nimmt er sich die nötige Zeit für eine Schilderung des religiösen Milieus, in dem seine Hauptfiguren auf Unverständnis stoßen. Obwohl die Sympathien eindeutig verteilt und die Maßnahmen der Gegenseite gewiss erschütternd sind, werden diese nicht einfach verurteilt. Als intellektuell stimulierend erweisen sich die für die Handlung zentralen und dabei doch zeitlosen Fragen um Toleranz und das prekäre Verhältnis von Glauben und Erfüllung. Eine hintersinnige Spiegelung erhält die Haupthandlung in der Geschichte einer weiteren Liebe ohne den Segen der Gemeinde. In diesem Nebenstrang lassen sich eine anderweitig vergebene Frau und ein gering geachteter Mann miteinander ein, was den Zorn der selbsternannten Sittenwächter auf sich zieht, die dem Störenfried daraufhin einen Besuch abstatten. Unter ihnen befindet sich auch Aaron – Ausdruck einer geradezu tragischen Ironie, nimmt er, der einstige unbescholtene Ehrenmann, doch bald selbst die Rolle des Delinquenten ein.

    Das Geschehen fangen Tabakman und sein deutscher Kameramann Axel Schneppat in unspektakulären, dabei jedoch stets wohlkomponierten Bildern ein, die immer wieder eine intelligente Symbolik offenbaren. So findet der erste leidenschaftliche Ausbruch der beiden Liebenden ausgerechnet im Kühlhaus der Fleischerei statt, was mehrere interessante Lesarten zulässt. Nathaniel Mechalys Musik beschränkt sich, von einer Ausnahme abgesehen, auf karge atmosphärische Klänge, was zwar nicht sonderlich originell ist, sich jedoch nahtlos in das Gesamtkonzept einpasst. Bei all der Zurückgenommenheit der Mittel schleichen sich einige wenige Längen ein, doch angesichts der sonstigen Qualitäten des Films wiegt dies nicht allzu schwer. Insgesamt erweist sich die behutsame Herangehensweise der Inszenierung als ideales Mittel, um die streng geregelte Welt der Protagonisten zu porträtieren. Ähnlich kontrolliert agiert das gesamte Ensemble, wobei insbesondere Shtrauss in der Rolle des Aaron hervorsticht. Mit spärlicher Mimik bringt er die ganze peinigende Zerrissenheit seiner Figur zum Ausdruck. Doch auch Danke, der - wie sein Regisseur zu Recht sagt - von der Kamera geliebt wird, beeindruckt mit seinem gänzlich unprätentiösen Spiel.

    Eine angemessene Aufmerksamkeit für „Du sollst nicht lieben“ über die üblichen Festivals hinaus wäre wünschenswert, nimmt er sich doch einfühlsam eines kontrovers diskutierbaren Themas an, das nicht nur für ein Nischenpublikum aufschlussreich sein dürfte. Mit seinem einfachen, aber effektiven Stil entfaltet er einen Sog, der den Betrachter bis zum eindringlichen Schlussbild fesselt und auch noch lange danach anhält.

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