„Harlan – Im Schatten von Jud Süss“ - eigentlich sagt der Titel von Felix Moellers Filmdokumentation über den berühmt-berüchtigten Kino- und Theaterregisseur Veit Harlan schon alles. Harlan, das ist der Filmemacher, der sich mehr als jeder andere zum Komplizen des Vernichtungsregimes der Nationalsozialisten gemacht hat, der mit „Jud Süss“ den infamsten, aber eben auch wirkungsvollsten antisemitischen Spielfilm dieser Epoche gedreht hat und der sich nach dem Ende des Krieges gleich zwei Mal wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht verantworten musste. Beide Male wurde er freigesprochen – einmal von einem Richter, der während des Zweiten Weltkriegs zahllose Todesurteile gefällt hat, der selbst ein williger Handlanger des Systems war. Jede Annäherung an Harlan führt unweigerlich zu „Jud Süss“. Dieser eine Film überschattet alles andere in seinem Leben und auch im Leben seiner fünf Kinder. Das illustriert Moeller in seiner Dokumentation geradezu vorbildlich. Aber letztlich kann auch er sich nicht aus diesem Schatten lösen oder zumindest die mittlerweile selbst schon wieder mythisch gewordene Düsternis, die er verbreitet, mit dem Licht der Erkenntnis durchdringen.
Felix Moeller nähert sich Veit Harlan auf zwei Wegen. Zum einen ganz konventionell über Ausschnitte aus dessen Filmen, Super-8-Aufnahmen aus dem Archiv der Familie Harlan und sonstige historische Dokumente, etwa den ganz speziellen Ausweis, der es dem Filmemacher erlaubte, Goebbels’ Propagandaministerium jederzeit über den Hintereingang zu betreten. Der zweite prinzipiell betrachtet auch nicht gerade innovative, in diesem Fall aber extrem aufschlussreiche Weg führt über lange Gespräche mit Harlans noch lebenden Kindern, seiner Tochter Maria Körber und seinen drei Söhnen Thomas, Kristian und Caspar, und seinen Enkeln. Sie eröffnen dieser Dokumentation einen weiteren Horizont. Aus der biographischen Annäherung an den wohl mächtigsten Filmkünstler der NS-Zeit wird so ein Generationen umspannendes Familiendrama, in dem alle zu erwartenden Positionen zu Fragen nach individueller und kollektiver Schuld bezogen werden. Am reizvollsten ist diese filmische Begegnung mit der Vergangenheit in den Momenten, in denen die sechs Harlan-Enkel, Thomas’ Tochter Alice ist aus Paris, sein Sohn Chester aus Italien angereist, gemeinsam die Stuttgarter „Jud Süss“-Ausstellung besuchen.
Als Geschichte einer Familie, die trotz der außergewöhnlichen Umstände durchaus exemplarisch ist für den Umgang der Deutschen mit ihrer NS-Vergangenheit, überzeugt Felix Moellers Dokumentation auf der ganzen Linie. Die Interviews mit Harlans Kindern, Maria und Thomas sind wie die inzwischen verstorbene Susanne aus dessen Ehe mit der Schauspielerin Hilde Körber hervorgegangen, Kristian und Caspar aus seiner Verbindung mit Kristina Söderbaum, dem Star vieler seiner Filme, mit seiner Nichte Christiane Kubrick, seinem Neffen Jan Harlan und seinen Enkelkindern sind wie einzelne Puzzleteile. Erst nach und nach fügen sie sich zu einem Bild einer durch und durch zerrissenen Familie zusammen. Einzig in der Distanz zu „Jud Süss“, in der mal zurückhaltender, mal höchst vehement formulierten Ablehnung dieses Films, treffen sie sich noch. Sie ist so etwas wie der kleinste gemeinsame Nenner - nicht nur für diese Familie, sondern für Deutschland insgesamt.
Allerdings gibt es schon keinerlei Einigung mehr darüber, welche Konsequenzen dieser Film für Harlan hätte haben müssen. Die zögerlichen Entschuldigungen, die vor allem Maria Körber und Kristian Harlan vorbringen, sind dabei genauso nichtssagend und reflexartig wie der Hass Jessica Jacobys, die als Tochter von Susanne Körber und dem jüdischen Photographen Claude Jacoby sich ganz auf die Seite ihrer von Nazis ermordeten jüdischen Großeltern geschlagen hat. Weitaus interessanter ist da schon Thomas Harlans Sicht der Dinge. Er, der schier daran verzweifelt ist, dass sein Vater nicht bereit war, seinen Anteil an den Ereignissen des Dritten Reiches anzuerkennen, hat jahrzehntelang gegen ihn revoltiert und damit letztlich all seine Geschwister gegen sich aufgebracht. Aber seine Wut und seine öffentlichen Anklagen zeugen anders als die Jessica Jacobys von den enormen Schwierigkeiten und Belastungen, die mit der deutschen Vergangenheitsbewältigung einhergehen. Das Entsetzen über die Taten des Vaters ist eben auch ein Entsetzen darüber, dass es kein Loskommen von ihm gibt, dass die Liebe, die Thomas als kleiner Junge zu ihm empfunden hat, nie ganz verschwinden wird.
Vielleicht hätte sich Felix Moeller ganz auf die Kinder und die Enkel Harlans konzentrieren sollen. Denn im Gegensatz zu den familiären Aspekten seiner Dokumentation fügen sich die biographischen und filmhistorischen Elemente letztlich nicht zusammen. Sie bleiben viel zu lückenhaft. Fast entsteht der Eindruck, Harlan hätte seine künstlerische Karriere alleine den Nationalsozialisten zu verdanken. Die Zeit vor 1933 findet kaum Erwähnung. Dabei passt etwa seine Zusammenarbeit mit dem berühmten linken Theatermacher Erwin Piscator kaum in das Bild des erzkonservativen, deutschnationalen Künstlers, das selbst der Filmhistoriker und Leiter des Münchner Filmmuseums Stefan Drößler in den Gesprächen mit Moeller zeichnet.
Außerdem stellen Harlans schwerblütige, meist von einer extremen Todessehnsucht erfüllten Melodramen jeden Dokumentarfilmer vor ein grundsätzliches Problem. Stefan Drößler beschreibt ihr Wesen sehr zutreffend, wenn er sagt: „Es ist das große Illusionskino und das Spiel mit den Emotionen, [...] das für Harlan das Wesentliche war.“ Und genau dieses Spiel hat Harlan so perfekt wie kaum ein anderer Filmemacher beherrscht. Nur sagen Ausschnitte aus seinen Filmen darüber nichts aus. Im Gegenteil, meist wirken sie für sich genommen kitschig, oder gar lächerlich. Dieser Eindruck stellt sich auch bei den Schnipseln ein, die Moeller in seine Dokumentation integriert hat. So verfehlt er letztlich den Filmemacher Harlan.