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    ES
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    ES
    Von Christoph Petersen

    Nicht der zu „Star Wars: Episode VII – Das Erwachen der Macht“, nicht der zu „Fifty Shades Of Grey“ und auch nicht der zu „Die Schöne und das Biest“ – kein Trailer wurde am ersten Tag nach seiner Veröffentlichung so oft im Netz angesehen wie der zu „Es“: Mit 197 Millionen Aufrufen in 24 Stunden hat die Horror-Neuauflage den vorherigen Rekordhalter „Fast & Furious 8“ locker abgehängt, die Vorschau zum achten Teil des Boliden-Blockbuster-Franchises brachte es nämlich „nur“ auf 139 Millionen Views. Die Nostalgie für den in den USA meistverkauften Roman des Jahres 1986 sowie die zweiteilige TV-Verfilmung von 1990 mit dem unvergesslichen Tim Curry als Horror-Clown Pennywise ist also offenbar gigantisch. Wohl auch deshalb haben die Marketing-Verantwortlichen bei Warner Bros. entschieden, den ersten Trailer mit einer verhältnismäßig ausführlich gezeigten Sequenz zu beginnen, die nahezu Einstellung für Einstellung aus der TV-Version übernommen wurde:

    Das Reiten auf der Nostalgie-Welle hat sich an den US-Kinokassen bereits ausgezahlt - mit einen Einspielergebnis von 117,2 Millionen Dollar allein am ersten Wochenende hat „Es“ den bisherigen nordamerikanischen Horrorfilm-Startrekord von „Paranormal Activity 3“ mehr als verdoppelt. Aber nötig gehabt hätte der Film diesen Push aus der Vergangenheit nicht, denn der Grusel-Schocker von „Mama“-Regisseur Andrés Muschietti ist auch so einer der besten Horrorfilme der vergangenen Jahre.

    Auch mehrere Monate nach dem Tod seines kleinen Bruders im Oktober 1988 stellt Bill Denbrough (Jaeden Lieberher) noch immer Experimente in der Garage an, um herauszufinden, was genau damals mit Georgie (Jackson Robert Scott) geschehen ist, der offenbar brutal in die Kanalisation hineingezogen wurde. Zugleich werden Bill und seine Freunde aus dem Klub der Verlierer wie der neu zugezogene Ben Hanscom (Jeremy Ray Taylor), der von seiner überfürsorglichen Mutter umgarnte Eddie Kaspbrak (Jack Dylan Grazer) oder der angehende Komiker Richie Tozier („Stranger Things“-Star Finn Wolfhard) von einer unheimlichen Macht heimgesucht, die es offenbar gezielt auf Kinder abgesehen hat und diese mit ihren scheinbar realgewordenen Ängsten konfrontiert. Bens Recherchen in der örtlichen Bibliothek ergeben, dass in der Stadt Derry offenbar im Abstand von etwa 27 Jahren immer wieder schreckliche Katastrophen geschehen – und dass es gerade jetzt an der Zeit für die nächste Rückkehr der häufig in Form des Horror-Clowns Pennywise (Bill Skarsgård) auftauchenden mysteriösen Macht Es wäre…

    Abgesehen von Pennywise ist das größte Alleinstellungsmerkmal sowohl des Romans als auch des TV-Zweiteilers die parallele Erzählweise: Die Handlung springt immer wieder zwischen den 1950ern und 1980ern hin und her, während abwechselnd geschildert wird, wie Bill und seine Freunde als Kinder und 27 Jahre später noch einmal als Erwachsene gegen Es antreten. In der Kinoadaption fällt dieser Aspekt nun ersatzlos weg, die erwachsenen Ichs der Kinder werden maximal noch in der bereits angekündigten Fortsetzung auftauchen. Stattdessen will Regisseur Muschietti „das Publikum in die Kindheit dieser Figuren eintauchen lassen, ohne die Erfahrung durch zeitliche Sprünge oder Rückblenden zu vergiften“. Nun waren auch wir im Vorfeld schon ein bisschen enttäuscht, dass ausgerechnet diese faszinierende Seite des Stoffes ausgespart wird: Glattbügeln für ein modernes Hollywoodpublikum und so… Aber im Nachhinein müssen wir zurückrudern und zugeben: Die Entscheidung war absolut richtig! „Es“ von 1990 mag ein dramaturgisch außergewöhnliches TV-Projekt sein, nur überzeugt es eben leider nicht so recht (gerade die Sachen mit den Erwachsenen enttäuschen). „Es“ von 2017 ist hingegen ein im Vergleich gewöhnlicher erzählter Horrorfilm, der dafür aber herausragend gut funktioniert.

    Das liegt zunächst einmal an der hervorragenden Besetzung: Natürlich steht Tim Currys Pennywise als einer der ganz großen ikonischen Horrorfilm-Bösewichte fast schon auf einer Stufe neben Mike Myers und Jason Voorhees. Aber Bill Skarsgård („Hemlock Grove“) findet mit seiner Hasenzahnprothese trotzdem einen spannenden eigenen Zugang zu der Figur – sehr viel weniger campy und ironisch, dafür aber geradeheraus grauenerregend. Noch wichtiger ist allerdings der jugendliche Cast, der hier ein eingeschworenes Cliquen-Gefühl heraufbeschwört, wie wir es glaubhafter seit der ebenfalls herausragenden Stephen-King-Verfilmung „Stand By Me – Das Geheimnis eines Sommers“ nicht mehr auf der Leinwand erlebt haben: Neben dem längst etablierten Jaeden Lieberher („St. Vincent“, „Midnight Special“) beeindruckt vor allem Sophia Lillis („37“) als langsam gegen ihren Vater aufbegehrende Beverly Marsh (für uns die vielversprechendste Entdeckung seit „Stranger Things“-Shootingstar Millie Bobby Brown).

    Der aus Argentinien stammende Regisseur Andrés Muschietti hat seinen ersten Hollywood-Job bekommen, weil die Traumfabrik-Produzenten das titelgebende Monster in seinem Kurzfilm „Mamá“ derart beeindruckend fanden, dass sie ihm direkt eine Langfilmversion desselben Stoffes finanziert haben. Dieses Händchen für aufregend andere Kreaturendesigns zeigt sich nun auch in „Es“. Während uns die Riesenspinne aus dem TV-„Es“ allenfalls noch aufgrund ihrer miserablen Animation Albträume bereitet, begeistert die Neuauflage mit etlichen abgefahrenen Effekt-Ideen – vor allem wenn es um die Visualisierung der Kinderängste geht: So bekommt es Stan Uris (Wyatt Oleff, der junge Peter Quill aus „Guardians Of The Galaxy“) etwa mit einer Kreatur zu tun, die genauso aussieht wie das gruselige impressionistische Gemälde im Büro seines strengen Rabbiner-Vaters, während Ben Hanscom von einem kopflosen Mann gejagt wird, dessen Animationen absichtlich ein wenig „stottern“, um so auf die Stop-Motion-Effekte der 1990er-Version zurückzuverweisen. (Es gibt eine Menge solcher cleveren Anspielungen zu entdecken, selbst wenn im Sommer des Jahres 1989 eben „Batman“ und „Lethal Weapon 2“ statt wie 27 Jahre zuvor „Der Tod hat schwarze Krallen“ im örtlichen Kino laufen.)

    Gleich in der Eröffnungsszene mit Georgie und seinem Papierschiffchen gibt es einen abgerissenen Arm – da fragt man sich schon kurzzeitig, ob die Neuauflage jetzt ausgerechnet auf eine Extraportion Gore setzt, um die Spannungssequenzen aufzupeppen. Aber zum Glück werden solche Gewaltspitzen auch anschließend nie zum bloßen Selbstzweck eingesetzt, was wiederum nicht heißt, dass Muschietti vor ihnen zurückschrecken würde (die fontänenartige Menstruations-Metapher im Badezimmer fällt dieses Mal sogar gleich ein paar Nummern größer aus und begeistert zugleich als eine der stärksten Szenen des Films). Letztlich darf man „Es“ in Sachen (Schock-)Handwerk - von der hochwertigen Ausstattung über das effektive Sounddesign bis hin zum kreativen Design der wahr werdenden Albträume - so ruhigen Gewissens auf einer Stufe mit den bisherigen beiden „Conjuring“-Filmen von James Wan ansiedeln.

    Fazit: Die Kino-Neuauflage von „Es“ ist nicht nur sehr viel besser als die TV-Verfilmung von 1990, sondern eine der besten Stephen-King-Adaptionen überhaupt. Jetzt sind wir extrem gespannt, ob Andrés Muschietti im zweiten Teil dann auch noch das mit der parallelen Erzählung ähnlich überzeugend hinbekommt.

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