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    Der Spitzel - 50 Dead Men Walking
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der Spitzel - 50 Dead Men Walking
    Von Björn Becher

    Wenn ein Film in Deutschland nur direkt auf DVD erscheint, so liegt der Verdacht minderer Qualität nahe. Und oft erweist sich diese Vermutung auch als berechtigt. Gerade im Action- oder Horror-Bereich kommt eine Menge Ramsch in die Videotheken, den man sich getrost ersparen kann. Doch manchmal hat eine Direct-To-DVD-Veröffentlichung andere Gründe als die mangelnde Klasse. So fehlt für eine mit erheblichem Mehraufwand und höheren Kosten verbundene Kinoauswertung oft die klare Zielgruppe und somit die wirtschaftliche Perspektive. Und da gilt dann das Motto: lieber dank guter Mundpropaganda eine ordentliche DVD-Auswertung als das Produkt mit schlechten Kinobesucherzahlen zu belasten. Der IRA-Thriller „50 Dead Men Walking“ von Kari Skogland (The Stone Angel) ist ein gutes Beispiel für diese Strategie: Der Film selbst ist nämlich richtig gut und hat vor allem atmosphärische Qualitäten. Da Skogland aber aus dem realen Stoff keinen Action-Reißer macht, sondern einige Genreelemente mit anspruchsvollen und vielfältigen Themen verbindet, scheint „50 Dead Men Walking“ weder in die Multiplexe noch in die Programmkinos so recht zu passen. Und so wird aus dem misstrauisch beäugten Hinweis „DVD-Premiere“ in diesem Fall ein regelrechtes Qualitätssiegel.

    1999, irgendwo in Kanada: Martin McGartland (Jim Sturgess) verlässt ein Haus und läuft zu seinem Auto. Vorsichtig schaut er sich bei jedem seiner Schritte nach möglichen Gefahren um, der Unterboden des Autos wird erst einmal auf einen Sprengsatz überprüft, bevor er einsteigt. Plötzlich taucht aus dem Nichts ein maskierter Mann auf und feuert aus nächster Nähe sechs Schüsse auf McGartland ab. 1988, Belfast, Nordirland: Martin McGartland ist ein Kleinganove, der mit seinem Kumpel Sean (Kevin Zegers, Transamerica) gestohlene Designer-Klamotten verhökert und dabei weder der IRA noch den britischen Soldaten besonders viel Respekt entgegenbringt. Ohne es zu wissen, steht er schon länger unter Beobachtung eines britischen Sicherheitsoffiziers mit dem Decknamen Fergus (Ben Kingsley). Der plant ihn als Spitzel anzuheuern und in die IRA einzuschleusen. Schließlich ködert Fergus den jungen Iren mit Erfolg. McGartland, der gerade dabei ist, mit seiner Freundin Lara (Natalie Press, My Summer Of Love) eine Familie zu gründen, steigt schnell in der Hierarchie der IRA auf und gibt Fergus wertvolle Tipps über bevorstehende Aktionen. Doch McGartlands Tätigkeit wird immer gefährlicher und während ihm Enttarnung droht, muss Fergus erkennen, dass innerhalb seiner Behörde auch nicht alles glatt läuft.

    Regisseurin und Autorin Kari Skogland hätte es sich mit ihrer freien Verfilmung der Lebensgeschichte des Ex-IRA-Spitzels Martin McGartland, der sich auch heute noch vor der Rache seiner Ex-Kameraden versteckt hält, einfach machen können. Eine Spitzelgeschichte im Terrorismusmilieu bietet schließlich mehr als genug Möglichkeiten für Actionszenen und Spannungsmomente, gerade wenn dem Informanten die Entdeckung droht. Dazu kommen fast schon klischeehafte Konflikte: Der beste Kumpel wird zu einem Hardliner in der IRA und muss eigentlich an die Polizei verraten werden, die Freundin darf vom Doppelspiel nichts wissen, was die Beziehung belastet und eine hübsche IRA-Terroristin (Planet Terror-Star Rose McGowan in einer einprägsamen Nebenrolle) droht unserem Helden den Kopf zu verdrehen. Doch Skogland geht anders an die Sache heran. Statt eine 08/15-Lösung zu realisieren, setzt sie eigene Akzente. So finden die erwähnten Elemente zwar alle Eingang in den Film, aber sie dominieren ihn nicht. Das gilt auch für eine überraschende Wendung im Finale, die ohne großes Tam-Tam vollzogen wird und ihre Wirkung dennoch nicht verfehlt.

    Skogland erzählt nicht nur eine fast archetypische Geschichte von Täuschung und Freundschaft, Verrat und Liebe. „50 Dead Men Walking“ ist auch ein genaues Porträt der Zeit, des Ortes und der Umstände: Die Atmosphäre im Belfast der Achtziger wird überzeugend zum Leben erweckt, drängende Fragen erhalten Resonanz: Wie kann man in dieser Welt überleben, gar eine Familie gründen? Gibt es überhaupt eine Möglichkeit, einfach sein Leben zu leben, ohne zwischen IRA, UDA (vereinfacht: das pro-britische Gegenstück der IRA), der RUC (die nordirische Polizei) und den britischen Truppen zerrieben zu werden? So verdeutlicht Skogland zu Beginn mehrfach, dass die Bevölkerung unter dem Terror der IRA, die sich als hart durchgreifende Polizei und strenger Richter in einem geriert, und den willkürlichen Übergriffen durch die britische Armee gleichermaßen zu leiden hat. Diese Unversöhnlichkeit und Ausweglosigkeit prägt hier das gesamte Leben. Als Martin gerade noch rechtzeitig von einem Undercover-Einsatz zur Geburt seines ersten Sohns im Krankenhaus eintrifft, trinkt er gemeinsam mit Fergus Alkohol, um sich zu betäuben. Der vielleicht glücklichste Augenblick im Leben eines Menschen, die Geburt des ersten Kindes, ist hier ein Moment voller Sorge: In welche Welt wird dieser junge Mann geboren?

    Die rigide Organisation der Opponenten und die von Spannungen und Misstrauen geprägte Stimmung finden ihre logischen Entsprechungen in der Figurenzeichnung und der Erzählperspektive. So werden die IRA-Mitglieder immer durch kurze Texteinblendungen mit ihrem Namen und ihrem Rang innerhalb der Organisation vorgestellt, aber fast nur in ihrem Zusammenwirken mit McGartland charakterisiert. Diese perspektivische Verengung öffnet den Blick für die Strukturen und die Gefahren, die dem Protagonisten drohen. McGartland steht ganz klar im Zentrum, selbst wenn gelegentlich die Perspektive von Fergus eingenommen wird, der zu Beginn auch als Erzähler fungiert. Skogland romantisiert indes auch ihre Hauptfigur nicht und findet die richtige Balance zwischen Distanz und Einfühlung, zwischen Realität und Fiktion. „50 Dead Men Walking“ ist keine Adaption des gleichnamigen Buchs von McGartland und seinem Co-Autor Nicholas Davies, was in Vor- und Nachspann des Films deutlich betont wird, und ohne jede Mitwirkung des Ex-Spitzels entstanden. Skogland lässt sich vom Buch inspirieren, nimmt sich aber erzählerische Freiheiten (so ist die Ben-Kingsley-Figur weitestgehend fiktional) und verdichtet die Handlung filmdramaturgisch sinnvoll.

    Da der Schwerpunkt des Films klar auf der Figur McGartland liegt, hat Hauptdarsteller Jim Sturgess (21, Crossing Over) die größte Last zu tragen. Sturgess, der spätestens seit seiner Performance in Julie Taymors herausragendem Musical-Feuerwerk Across The Universe zu den vielversprechendsten Jungstars gehört, wandelt zwischen Lässigkeit und Verzweiflung, zwischen furchtloser Coolness und Panik. Mit einem breiten irischen Akzent, den er sich unter anderem durch einen langen Aufenthalt in Belfast antrainiert hat, geht er in seiner Rolle auf. Der mit außergewöhnlich vollem Haar versehene Ben Kingsley (Gandhi, Lucky Number Slevin) verleiht dem routinierten Verbindungsmann, der am Schluss – hier kann Skogland leider ihre Finger nicht ganz von den üblichen Thrillermechanismen lassen – von seiner Behörde kalt gestellt wird und auf eigene Faust das Leben seines Spitzels retten will, dazu die angemessene Mischung aus Professionalität und Engagement.

    „Remember, you are a man of the law?” - „Since when?“

    Fazit: „50 Dead Men Walking“ ist in erster Linie ein Thriller, aber auch ein Actionfilm und eine Lebensgeschichte. Die größte Kraft entfaltet der Film jedoch als stark erzähltes, eindrucksvolles Drama über das Leben in Belfast Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger und entsprechend setzt Kari Skogland zumeist ihre Akzente. Es ist kaum zu glauben, dass dieselbe Regisseurin und Autorin vor wenigen Jahren noch für den unglaublich platten, pseudo-moralischen Thriller „Liberty Stands Still“ verantwortlich war. Während dieses Werk zu Recht auf dem Ramschregal der Videotheken landete, hätte „50 Dead Men Walking“ einen Kinostart verdient gehabt...

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