Bei all den Dingen, die der Mensch der Natur bereits abgetrotzt hat, fehlt eigentlich nur (noch) der letzte entscheidende Schritt – die künstliche Erschaffung seines Selbst. Was man gemeinhin immer noch salopp Gott spielen nennt, ist gerade für die Künste von enormer Anziehungskraft. Goethe lässt in seiner „Prometheus"-Hymne das lyrische Ich folgendes aussprechen: „Hier sitz ich forme Menschen / Nach meinem Bilde". Damit ist auch das Selbstbewusstsein des schöpferischen Künstlers gemeint. Begriffe wie geistige Kinder gehen in eine ähnliche Richtung. Der grundlegende Gedanke dahinter schlägt sich zum Beispiel auch in nahezu jedem Artikel über Ridley Scott („Alien", „Gladiator", demnächst „Prometheus") nieder, in denen der Regisseurs als „Erschaffer von Welten" bezeichnet wird. Eine andere Macht der Kunst ist jene, die Zeiten zu überdauern und sich innerhalb der Fiktion von chronologischen Zwängen zu lösen. Dies berücksichtigt auch Benedek Fliegauf in seinem Drama „Womb". Trotz einer recht kruden Ausgangsidee erweist sich der meditativ erzählte, mit einer brillant aufspielenden Eva Green aufwartende Film als ein behutsam austariertes Experiment zum Skandalon der Gentechnik, obwohl Greens schwächelnder Co-Star Matt Smith (IV) sowie eine übertriebene Symbolik den ansonsten guten Gesamteindruck ein wenig trüben.
Rebecca (Ruby O. Fee) besucht im Sommer ihren Großvater (István Lénárt). Dieser lebt in einer idyllischen Küstengegend und ist nicht mehr der Jüngste, weshalb die Zwölfjährige viel Zeit alleine verbringt. Auf einem ihrer Streifzüge durch die Natur macht sie Bekanntschaft mit Thomas (Tristan Christopher), einem freundlichen Jungen aus der Nachbarschaft. Rasch entwickelt sich zwischen beiden eine tiefe Vertrautheit, doch ihr zartes Band wird jäh zerrissen – Rebecca reist ab, weil sie mit ihrer Mutter nach Tokio ziehen wird. Als sie (nun: Eva Green) zwölf Jahre später an den mit schönen Erinnerungen verbundenen Ort zurückkehrt, dauert es nicht lange, bis sie Thomas (Matt Smith) wiedersieht. Obwohl er jüngst einen One Night Stand mit Rose (Natalie Tena) hatte, ist die Anziehungskraft seiner Jugendliebe auf ihn ungebrochen. Doch schon kurze Zeit später kommt Umweltschützer Thomas während der Fahrt zu einem Aktivisten-Treffen auf tragische Weise ums Leben. Angesichts der mittlerweile enorm fortgeschrittenen Möglichkeiten der Biologie sieht die verzweifelte Rebecca nur einen Ausweg. Sie fasst den Plan, ihren verstorbenen Geliebten klonen zu lassen und selbst auszutragen...
Bei fantastischen Geschichten ist es immer wichtig, dass der Zuschauer auch unplausible Elemente zumindest innerhalb des Filmuniversums als gegeben akzeptieren kann. In diesem Falle geht dies jedoch gänzlich unkompliziert vonstatten, weil Benedek Fliegauf nicht übermäßig am Plot oder seinen Charakteren interessiert zu sein scheint. Anstelle dessen reiht er kunstvolle, mitunter an die Malerei der Romantik gemahnende Vignetten aneinander, die von großer Suggestivkraft sind und zum Interpretieren einladen. Durch die Konzentration auf den entrückten Ort St. Peter-Ording und dessen Umland wird zudem der Rest der Welt nahezu vollständig ausgeblendet. Eine elliptische, das Thema Zeit treffend herausstellende Erzählweise verstärkt die träumerische Atmosphäre zudem. Die Extremsituation, in der sich Rebecca befindet, stellt eine gelungene Verdichtung diverser Tabuthemen dar und vermag auch als persönliches Schicksal beziehungsweise moralisches Dilemma stellenweise durchaus zu berühren. Bei aller Sorgsamkeit fällt jedoch gelegentlich eine allzu redundante Symbolik auf, die ohnehin leicht erkennbare Entwicklungen noch einmal verdeutlicht. Es kommt überdies zu gewissen Unwahrscheinlichkeiten. Und damit sind nicht etwa die Zukunftstechnologien gemeint, sondern ganz alltägliche menschliche Verhaltensweisen, die hier zugunsten einer auf späte Enthüllungen angelegten Dramaturgie umgebogen werden.
Auf ihrem spektakulären Auftritt in Bernardo Bertoluccis „Die Träumer" aufbauend, zeigte sich Eva Green in ihrer Rollenauswahl stets sehr wählerisch, wurde einem großen Publikum allerdings spätestens durch ihre Rolle als die große Liebe von 007 in „Casino Royale" bekannt. Auch unter der Ägide Benedek Fliegaufs spielt sie die ihr eigene Symbiose aus graziler Sinnlichkeit und Intelligenz voll aus und trifft stets den richtigen Ton. Auch wenn ihre Figur schemenhaft ausgearbeitet ist, gerät ihr innerer Kampf sehr intensiv. Matt Smith hingegen enttäuscht maßlos. In seinem Spielfilmdebüt gelingt dem Briten, der immerhin die derzeitige Inkarnation des „Doctor Who" verkörpert, auf dessen Schultern also aktuell die langlebigste Science-Fiction-Serie überhaupt lastet, kaum etwas. Dies ist zwar teilweise dem Skript anzulasten, denn der Übergang vom putzigen Jungen zum grobschlächtigen Erwachsenen erscheint wenig schlüssig. Gegen Ende aber, wenn Thomas die Hintergründe seiner Entstehung dämmern, chargiert der Jungmime derart wild herum, dass man leider mitunter an einen Robert De Niro im Selbstparodie-Modus („Meine Braut, ihr Vater und ich") erinnert wird – was hier natürlich nicht passt.
„Womb" bleibt sicherlich hinter seinen Möglichkeiten zurück, funktioniert aber trotzdem über weite Strecken als fesselnde Reflexion über kulturgeschichtlich enorm aufgeladene Motive, so dass nach dem Kinobesuch für reichlich Diskussionsstoff gesorgt sein dürfte. Mitfühlen fällt hingegen eher schwer, was in erster Linie Benedek Fliegaufs Vorliebe für Stimmungsbilder und Metaphorik geschuldet ist. Trotz erzählerischen Defiziten gelingt dank seinem bemerkenswerten formalen Gestaltungswillen ein eindringliches Gedankenspiel, in dessen Zentrum eine klug besetzte Protagonistin steht.