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    Der englische Patient
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Der englische Patient
    Von Ulrich Behrens

    Die filmische Adaption großartiger Romane steht immer in Gefahr, Sentimentalität in Rührseligkeit, Dramatik in Kitsch und erzählerische Tiefe und Dichte in Klischees aufgehen zu lassen. Mit Anthony Minghellas Leinwand-Epos nach dem Roman von Michael Ondaatje ist das alles ganz anders. „Der englische Patient“ gehört zu den wenigen großen Dramen der Filmgeschichte – vergleichbar in seiner Dramatik etwa mit „Casablanca“ (1942) –, die wie eine (gelungene) Mixtur aus Oper, klassischer Tragödie und sozusagen filmischer Malerei wirken, jedoch als selbständige künstlerische Schöpfung eine intensive Nähe zu Handlung und Personen produzieren, die einen Vergleich mit der literarischen Vorlage obsolet werden lassen, weil die Grandesse des Romans und die des Films sich nicht in die Quere kommen. Minghellas Film als „großes Gefühlskino“ zu spezifizieren, wäre zu einfach; das ist er auch, aber nicht nur. „Der englische Patient“ handelt vor allem von Spuren, Zeichnungen, Vertiefungen, die das Leben schreibt, emotionalen Verwicklungen und ihren unabsehbaren Folgen, einer geradezu unbeschreibbaren Leichtigkeit und Schwere des Seins zugleich – und strahlt in alldem eine faszinierende poetische Stimmung aus, die uns zugleich verdeutlicht, wie stark wir in dem Irrglauben leben, unser Leben weitgehend bewusst beeinflussen zu können.

    Minghella und Ondaatje erzählen die Geschichte des ungarischen Grafs Laszlo Almasy (Ralph Fiennes), der als Mitglied der englischen Royal Geographic Society vor dem zweiten Weltkrieg über Ägypten Flüge absolviert und die Wüste erkundet, um Karten für die Forschungsprojekte von Geographen und Archäologen zu zeichnen. Kurz vor Ende des Krieges wird er von deutschen Armeeeinheiten abgeschossen, von einem englischen Konvoi aufgenommen und von der französischen Rot-Kreuz-Schwester Hana (Juliette Binoche) gepflegt. Nur knapp hat Almasy den Absturz überlebt; sein Körper, sein Gesicht sind bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, seine inneren Organe schwer in Mitleidenschaft gezogen. Almasy leidet zudem an Amnesie. Hana entscheidet sich, mit Almasy den Konvoi zu verlassen, um ihn in Ruhe pflegen zu können. In einer Klosterruine in der Toskana lassen sich beide nieder. Zu ihnen gesellen sich zwei eng miteinander befreundete Experten der britischen Armee für das Entschärfen von Bomben: der Sikh Kip (Naveen Andrews) und Hardy (Kevin Whately). Kip und Hana lieben sich. Schließlich taucht in der Ruine noch der mysteriöse Caravaggio (Willem Dafoe) auf, der Almasy mit Misstrauen begegnet, ohne dass Hana zunächst einen Grund dafür erkennen könnte.

    Almasy versucht sich daran zu erinnern, was geschehen war, bevor er abgeschossen wurde. Erst sind es nur Bruchstücke, doch dann wird immer deutlicher, was in den Jahren zuvor passiert war. Vor dem Krieg hatte er in Kairo Katharine Clifton (Kristin Scott Thomas) kennen gelernt, die kurz zuvor ihren Kinder- und Jugendfreund Geoffrey (Colin Firth) geheiratet hatte. Almasy und Katharine hatten sich ineinander verliebt. Er erinnert sich auch an seinen Freund aus der Geographic Society Madox (Julian Wadham). Minghella erzählt im folgenden die zwei Liebesgeschichten zwischen Katherine und Almasy sowie zwischen Hana und Kip, wobei er gegenüber dem Roman die Beziehung zwischen Hana und Kip eher im Hintergrund hält.

    Es ist erstaunlich, wie Minghella, ohne dem erfolgreichen Roman Ondaatjes die intensive Atmosphäre zu nehmen, ein zauberhaftes, von Spurensuche, Leidenschaft, Liebe und Trauer durchzogenes Drama in wunderschönen, von John Seale fotografierten Bildern inszenierte, in dem die Wüste für Leben und Tod, Liebe und Zerwürfnis steht. Juliette Binoche und Kristin Scott Thomas spielen – so unterschiedlich ihre Rollen angelegt sind – zwei Frauen, die einem nicht näher sein könnten. Es sind vor allem die Bilder, die diesen Film zu einem Ereignis sondergleichen werden lassen und manchmal stark an „Lawrence von Arabien“ (1962) erinnern, ohne Plagiate zu sein. Minghella gelingt es vor allem anderen, die persönlichen, nur teilweise durch den Krieg verursachten (emotionalen) Verwerfungen der vier Hauptfiguren eindrücklich nachzuzeichnen, und das in Rückblenden, den Erinnerungen Almasys, die die Handlung nicht verworren werden lassen, sondern zum Schluss hin sich wie Mosaiksteine zusammenfügen.

    Ralph Fiennes Almasy, dem Tode nahe, rekapituliert die Liebe seines Lebens; man spürt förmlich die nicht durch Rührseligkeit verkitschte starke Beziehung zwischen Almasy und Katherine, besonders in einer Szene in einer Höhle in der Wüste, nachdem Geoffrey sich und Katherine in den Tod fliegen wollte, weil er hinter die Beziehung seiner Frau zu Almasy gekommen war. Almasy muss die schwer verletzte Katharine in der Höhle zurücklassen, um Hilfe zu holen. Doch die Engländer, auf die er nach Tagen trifft, glauben, in ihm einen deutschen Spion gefunden zu haben. Almasy ist der Verzweiflung nahe. Die Tragik der folgenden Ereignisse ist hautnah und überzeugend inszeniert, wie man dies aus anderen filmischen Adaptionen derartige Romane eher nicht gewohnt ist. Der Wechsel zwischen der filmischen Gegenwart im Kloster nach dem Krieg und den Rückblenden erhielt durch Walter Murchs Schnitt eine Homogenität, die Handlungsbrüche ausschließt.

    Die Bilder zeugen von einer extremen Gegensätzlichkeit und Einheitlichkeit zugleich. Dabei dienen diese Bilder der Geschichte, nicht umgekehrt – einer klassischen, tragischen Geschichte, die den griechischen Dramen näher ist als irgendeiner modernen (filmischen) Liebestragödie. „Der englische Patient“ ist – in einem guten Sinne – eine konservative Tragödie, in der vier Menschen ihren Gefühlen folgen, ohne Rücksicht zu nehmen – auf sich nicht und auf andere nicht und mit all den Folgen, die das hat.

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