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    pereSTROIKA - umBAU einer Wohnung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    pereSTROIKA - umBAU einer Wohnung
    Von Christoph Petersen

    Das Leben schreibt bekanntlich immer wieder Geschichten, die sich als Drehbuch nicht verkaufen ließen, weil sie als „zu unwahrscheinlich“ abgelehnt würden. Die Story eines Wohnungsverkaufs in St. Petersburg, die Christiane Büchner in ihrem Dokumentarfilm „pereSTROIKA – umBAU einer Wohnung“ erzählt, ist dafür ein extremes Beispiel. Auch in Deutschland hält der Haus- und Wohnungskauf eine Menge Stolperfallen bereit. Doch was in Büchners Film alles abgeht, ist für einen Zuschauer, der deutsche Verhältnisse gewohnt ist, nur schwer zu glauben. Das ändert natürlich nichts daran, dass die Geschichte wahr ist. Der Kapitalismus treibt mitunter eben auch in Russland merkwürdige Blüten, die gleichermaßen amüsieren und erschrecken.

    Während des Sozialismus gehörten alle Wohnungen dem Staat. Weil es aber zu wenig Raum gab, bekamen die Menschen oft keine ganzen Wohnungen, sondern nur einzelne Zimmer zugewiesen. Nach dem Ende des Sozialismus zeigte der Staat sich generös. Er überließ seinen Bürgern den zur Verfügung gestellten Wohnraum. So entstanden zahlreiche Gemeinschaftswohnungen, in denen jedes Zimmer einen anderen Besitzer hat. Im Gegensatz zu einer WG, wie wir sie in Deutschland kennen, leben die Menschen in St. Petersburg aber oft nicht freiwillig unter einem Dach. Das macht sich vor allem dann bemerkbar, wenn eine Wohnung verkauft werden soll. Schließlich müssen alle Parteien zustimmen, was in der Praxis noch um einiges schwerer ist, als es bereits in der Theorie klingt. Auch „pereSTROIKA“ handelt von so einem Fall: eine Wohnung, vier Zimmer, vier Parteien, die noch niemals das Zimmer der anderen betreten haben - und in der Mitte zwei Maklerinnen, die versuchen, das Unmögliche möglich zu machen.

    Wie jeder gute Kapitalist will auch jede der vier Wohnparteien das größte Stück vom Kuchen für sich. Einige wollen Geld, andere ein besseres Zimmer in einer besseren Gegend. Natürlich kann nicht jeder das größte Stück bekommen, das ist eine mathematische Unmöglichkeit. An dieser Stelle kommen die Maklerinnen ins Spiel. Sie versuchen sich als Psychotherapeutinnen, die sich geduldig durch das schwierige Beziehungsgeflecht der Wohngemeinschaft kämpfen. Und sie schachern, als ob es kein Morgen mehr gäbe. Da werden Absprachen hinter dem Rücken der anderen Parteien getroffen und Kunden per „Gute Maklerin - Böse Maklerin“ in die Knie gezwungen. Es verwundert schon, dass die Protagonisten offensichtlich keine allzu großen Probleme damit hatten, dass stets eine Kamera anwesend war. Sollte es in St. Petersburg eine Vorführung des Films für die Beteiligten gegeben haben, würde es nicht verwundern, wenn sie mit einer riesigen Massenschlägerei geendet hätte.

    Um die Weltherrschaft an sich zu reißen, hat der Bösewicht eine Atombombe mitten in einer Multimillionen-Metropole versteckt. Der Held spürt sie auf, hat aber nur noch wenige Sekunden, um sie zu entschärfen. Nun gilt es – der blaue oder der rote Draht? Das klingt nach einem Finale, bei dem jeder Hollywood-Produzent ins Schwärmen kommt. Doch verglichen mit dem Showdown in „pereSTROIKA“ ist selbst das Kindergeburtstag. Nach monatelangen Verhandlungen haben die Maklerinnen endlich die Wünsche aller Parteien unter einen Hut bekommen. 20 Leute stehen vor der Bank, um die Verträge zu unterzeichnen. Eine Feng-Shui-Lady beschwört Unheil herauf. Der heutige Tag habe kein gutes Karma, sagt sie.

    Doch wenn es heute nicht klappt, dann gar nicht. Es hängt einfach zu viel Planung an diesem Datum: Eine Familie zieht in eine Wohnung, deren Besitzer wiederum in eine andere Wohnung ziehen, deren Besitzer wiederum in eine andere Wohnung ziehen, deren Besitzer dann ausgezahlt wird. Solche Wohnungswechsel-Ketten stellt man nicht zwei Mal auf die Beine. Doch dann entdeckt eine Bankangestellte plötzlich einen Kleks auf einem Pass. Sie erklärt ihn für ungültig. Ohne diesen Pass können die Verträge nicht unterzeichnet werden. Die Uhr tickt, die Sekunden rinnen. Das Schließen der Bank hätte für den Verkauf der Wohnung ähnlich schlimme Folgen wie die Explosion der Bombe in dem Hollywood-Blockbuster.

    Fazit: „pereSTROIKA – umBAU einer Wohnung“ ist eine Dokumentation, die in Sachen Spannung mit so manchem Thriller locker konkurrieren könnte. Als Dreingaben gibt es tiefe Einblicke in den modernen Kapitalismus à la Russland und Momente voll bitterer Komik.

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